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Zürcher Tierschutz

Die Milchkuh: fitgespritzt und ausgelaugt

Die Milchkuh: fitgespritzt und ausgelaugt
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Zürich (ots)

Zum Weltantibiotika-Tag am 18.11. publiziert der Zürcher Tierschutz sein neuestes Nutztier-Dossier "Die Milchkuh - eine fitgespritzte Ausdauersportlerin" und kritisiert darin die Höchstleistungen, die durch hohe Medikamentengaben erkauft werden. Die Kuh, einst Symboltier der Schweizer Landwirtschaft, wird zur Milchmaschine degradiert.

Kühe geben heute je nach Rasse rund doppelt so viel Milch wie vor 50 Jahren. In der Schweiz liegen die Tagesleistungen bei 20 bis 35 Litern, doch die Rekorde steigen von Jahr zu Jahr. Den Preis dafür zahlen die Tiere: Sie müssen viel Kraftfutter (Soja, Mais, Weizen) fressen statt nur gesundes Grünfutter und landen viel zu früh im Schlachthof. Kühe könnten 20 Jahre alt werden, doch im Schnitt werden sie nach nur vier Laktationen (=Melkphasen) mit knapp sieben Jahren entsorgt. Meist wegen Unfruchtbarkeit: Wenn sie trotz Hormongaben nicht mehr trächtig werden, sind sie nutzlos - denn ohne Kalb, keine Milch. Der zweithäufigste Grund für Abgänge ist aber eine Euterentzündung, quasi die "Berufskrankheit" der Milchkühe.

Tiefe Zellzahl als Anreiz für hohen Antibiotika-Einsatz

Bei akuten Euterentzündungen sind Antibiotika zwingend, um grosse Schmerzen, Absterben von Eutergewebe und eine lebensbedrohliche Blutvergiftung zu verhindern. Die Menge körpereigener Abwehrzellen in der Milch (Zellzahl) dient als Hinweis auf eine mögliche Infektion und als Mass für die Milchqualität. Liegt diese Zellzahl unter 100'000 pro ml, so erhalten die Bauern von den Molkereien einen kleinen Zuschlag beim Milchpreis. Liegt sie aber über den gesetzlich erlaubten 350'000 pro ml (Milchhygieneverordnung), drohen happige Abzüge. Ein Drittel der Milchmenge geht zudem an Käsereien, die Rohmilch verarbeiten. Hier sind die Limiten noch deutlich tiefer, weil sich damit die Käsemenge (Ausbeute) steigern lässt. Da viele Bauern wegen dem tiefen Milchpreis finanziell stark unter Druck sind, kann dieses Bonus-Malus-System der Milchabnehmer auch einen Fehlanreiz darstellen, die Zellzahlen bei schleichenden Euterentzündungen durch Antibiotika zu drücken. Auch Michèle Bodmer vom Tierspital Bern bestätigt: "Die tiefe Bestrafungsgrenze kann vor allem bei Rohmilchproduzenten ein Faktor für den hohen Antibiotikaverbrauch sein." Im Vergleich zu EU-Ländern sind die Schweizer Zellzahl-Vorgaben übertrieben - kein Wunder, spritzen Schweizer Bauern europaweit am meisten Antibiotika in die Zitzen!

Mehr Antibiotika für Euterbehandlungen in der Laktation

Ab etwa acht Wochen vor der nächsten Geburt werden Kühe nicht mehr gemolken ("trockengestellt"), damit sich das Euter erholen kann. In dieser Phase wurden früher alle Kühe prophylaktisch mit Langzeit-Antibiotika behandelt, man spricht von generellem antibiotischem Trockenstellen. Dies wurde 2016 verboten, in der Folge sank die Menge der Langzeit-Antibiotika bis 2019 um 10 Prozent auf 826 kg. Hingegen hat die Menge aller während der Laktation verabreichten Antibiotika seither um 17 Prozent auf 2059 kg zugenommen - obwohl die Zahl der Kühe von Jahr zu Jahr sinkt! Dies kann darauf hindeuten, dass sich Fehlentscheide beim Trockenstellen in der folgenden Melkphase rächen. Hierzu Michèle Bodmer: "Es braucht Verbesserungen in der tierärztlichen Diagnostik und Beratung, um schleichenden Euterproblemen vorzubeugen und Antibiotika gezielt einzusetzen." Da die nötige Dosis je nach Wirkstoff variiert, erhebt der Bund seit 2020 neben der Antibiotikamenge auch die entsprechende Anzahl Euterbehandlungen, um der Entwicklung auf den Grund zu gehen.

Kurze Absetzfrist als Anreiz für Reserve-Antibiotika

In der Melkphase haben Antibiotikabehandlungen meist eine Sperrfrist für die Milch zur Folge. Daher besteht ein zweiter Fehlanreiz, bevorzugt Reserve-Antibiotika mit kürzerer Absetzfrist einzusetzen - obwohl diese für Ernstfälle reserviert wären, etwa wenn herkömmliche Antibiotika wegen Resistenzen nicht mehr wirken. So erfordern gewisse Injektionslösungen, die Cephalosporine der 3. Generation enthalten, gar keine Milchsperre und werden daher allzu oft bei Klauen-, Gebärmutter- oder Lungenentzündungen eingesetzt.

Massnahmen für weniger Antibiotika

Nadja Brodmann, Co-Geschäftsleiterin beim Zürcher Tierschutz, fordert, die Fehlanreize für den Einsatz von Antibiotika zu beseitigen: "Einerseits sind die übertriebenen Zellzahl-Vorgaben der Milchabnehmer zu überdenken. Andererseits ist der Missbrauch von Reserve-Antibiotika im Rahmen des Vollzugs zu erheben und national einheitlich, streng zu bestrafen. Auch eine staatliche Antibiotika-Abgabe ist zu prüfen, um den Verbrauch zu senken." Michèle Bodmer bestätigt: "In Skandinavien wird dies erfolgreich praktiziert - Voraussetzung ist aber, dass sich die Tierärzte gezielt weiterbilden, um verstärkt auf Herdenebene beraten zu können, anstatt rein kurativ tätig zu sein."

Forderungen für eine nachhaltigere Milchproduktion

Der Zürcher Tierschutz kritisiert in seinem Dossier die Ausbeutung der Milchkühe und vergleicht sie mit Radtourenprofis, die auf die Dauer an Gewicht verlieren, weil die Energie aus der Nahrung nicht reicht, um die hohen Leistungen zu decken. Radsport zählt zu den härtesten Sportarten und ist von Doping geprägt. Ebenso würde das Hochleistungssystem Kuh ohne den hohen Antibiotika- und Hormoneinsatz nicht funktionieren. "Hochleistungstiere laufen tagtäglich am Limit. Fütterung, Management und Hygiene im Stall müssen auf Topniveau sein, sonst werden die Tiere krank oder unfruchtbar und müssen dann fitgespritzt oder vorzeitig geschlachtet werden", so Brodmann. Sie fordert die Zuchtverbände auf, statt anfällige Hochleistungstiere vermehrt robuste, langlebige Kühe zu züchten.

Link zur Medienseite des Zürcher Tierschutz mit weiteren Informationen und dem neuesten Dossier zur Milchkuh als Download (pdf):

https://ots.ch/g12XZC

Pressekontakt:

Nadja Brodmann, Co-Geschäftsleiterin Zürcher Tierschutz (8044 Zürich)
Tel. +41 261 43 36 / +41 79 334 91 70
E-Mail: nbrodmann@zuerchertierschutz.ch

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