Eidg. Finanz Departement (EFD)
EFD: Übergang zur Individualbesteuerung setzt langen Zeithorizont voraus
Bern (ots)
03. Dez 2004 (EFD) Der Wechsel zu einem Individualbesteuerungssystem ist unabhängig von der konkreten Ausgestaltung kurzfristig nicht realisierbar. Administrative und steuersystematische Gründe sind ausschlaggebend dafür, dass ein solcher Wechsel nur vollzogen werden kann, wenn er gesamtschweizerisch für sämtliche Steuerhoheiten auf den gleichen Zeitpunkt hin umgesetzt würde. Für die veranlagenden Steuerbehörden ergäbe sich bei einer Einführung der Individualbesteuerung ein Mehraufwand von 30 bis 50 Prozent. Zu diesen Befunden kommt die Studie einer gemischten Arbeitsgruppe, die auf ein Postulat von Ständerat Hans Lauri (SVP/BE) zurückgeht, von welcher der Bundesrat heute Kenntnis genommen hat.
Am 2. Oktober 2002 hatte Lauri ein Postulat eingereicht, in dem vom Bundesrat ein Bericht über die Möglichkeit zur Einführung der Individualbesteuerung auf der Stufe Bund und Kantone verlangt wird. Die von der Eidg. Steuerverwaltung eingesetzte Arbeitsgruppe setzte sich aus Vertretern des eigenen Amts, aus kantonalen Steuerverwaltern sowie aus je einer Vertretung der Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren, der städtischen Steuerkonferenz und der Wissenschaft zusammen.
Die Arbeitsgruppe hat der Studie folgende finanzpolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen zu Grunde gelegt: Analog zu den Mindererträgen beim abgelehnten Steuerpaket galt für die zu erarbeitenden Modelle die Vorgabe, dass die mit einem Systemwechsel verbundenen Mindererträge bei der direkten Bundessteuer 1,5 Milliarden Franken nicht übersteigen sollen. Zweitens verlangt das Verfassungsrecht, dass ein verheiratetes Ehepaar nicht mehr Steuern bezahlen soll als ein Konkubinatspaar mit gleichem Einkommen. Drittens hat gemäss Bundesgericht die Steuerbelastung eines Ehepaars geringer auszufallen als diejenige einer alleinstehenden Person mit einem Einkommen in gleicher Höhe. Und schliesslich sind Ehepaare mit Kindern milder zu besteuern als Ehepaare ohne Kinder.
Vor dem Hintergrund der einzuhaltenden Belastungsrelationen war die Anwendung der reinen Individualbesteuerung von vorne herein illusorisch. Die Arbeitsgruppe hat daher insgesamt drei Modelle genauer unter die Lupe genommen, zwei Modelle der modifizierten Individualbesteuerung - d.h. mit bestimmten Korrektiven - sowie ein Modell, das sich an die reine Individualbesteuerung anlehnt :
Modell 1: konsequente Individualbesteuerung mit Zuordnung nach den zivilrechtlichen Verhältnissen
Modell 2: Individualbesteuerung mit teilweise pauschaler Zuordnung unterteilt nach zwei Untervarianten bei der Deklaration (1)
Modell 3: Veranlagungswahlrecht für Ehepaare (Wahl zwischen Zusammenveranlagung mit Teilsplitting oder Individualbesteuerung, die den Regeln der Besteuerung von Alleinstehenden folgt)
Geltungsbereich und Zuweisung der Steuerfaktoren
Modell 1 und 2 gelten für Ehepaare, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben sowie für Konkubinatspaare mit gemeinsamen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Gleichgeschlechtliche Paare mit gemeinsamem Haushalt werden den Ehegatten gleichgestellt, sobald das Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare in Kraft getreten ist und die Partner registriert sind. Modell 3 soll nach Vorgabe der Arbeitsgruppe nur für Ehepaare gelten, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe leben, sowie für eingetragene Partnerschaften gleichgeschlechtlicher Paare , sofern diese in gemeinsamem Haushalt leben. Konkubinatspaaren soll hingegen kein Wahlrecht zukommen. Haben sich die Ehegatten für die Individualbesteuerung ausgesprochen, gilt diese Veranlagungsart sowohl für die direkte Bundessteuer wie auch für die Kantons- und Gemeindesteuern.
Für die Zuweisung der Steuerfaktoren ist beim Modell 1 praktisch eine güterrechtliche Auseinandersetzung erforderlich. Beim Modell 2 hingegen hat jeder Ehegatte zwingend die Vermögenswerte im Privatvermögen und die daraus fliessenden Erträge sowie die privaten Schuldzinsen und Schulden je zur Hälfte zu versteuern - allerdings nicht in Bezug auf die einzelnen Vermögenswerte, sondern auf das Total dieser Werte bzw. der daraus einfliessenden Einkünfte. Für die Steuerzahler dürfte daher die Individualbesteuerung mit teilweise pauschaler Zuordnung anwendungsfreundlicher sein als die konsequente Individualbesteuerung.
Bei Modell 3 kann das Veranlagungswahlrecht nur gemeinsam durch übereinstimmende Willenserklärung ausgeübt werden. Der einseitige Antrag eines Ehegatten auf die Individualbesteuerung hat demnach keine Wirkung. Wählen die Ehegatten die Individualbesteuerung, wird jeder wie ein Alleinstehender veranlagt. Wie viele Ehepaare sich bei diesem Modell für die Zusammenveranlagung und wie viele für die Individualbesteuerung entscheiden würden, ist nur schwer abschätzbar. In Deutschland, das ein allerdings nur beschränkt vergleichbares Wahlrecht kennt, waren es 1998 bloss zwei Prozent der Ehepaare, die sich für die Individualbesteuerung entschieden. In der Schweiz würden gemäss den statistischen Unterlagen zur direkten Bundessteuer schätzungsweise fünf Prozent der Ehegatten für die Individualbesteuerung optieren.
Auswirkungen auf die Verwaltung und die Volkswirtschaft
Die Einführung der Individualbesteuerung würde das heutige System der Familienbesteuerung grundlegend ändern. Ein solcher Wechsel liesse sich nur gesamtschweizerisch und auf den gleichen Zeitpunkt hin bewerkstelligen. Denn eine unterschiedliche Regelung auf der Stufe Bund und Kantone wäre veranlagungstechnisch nicht zu bewältigen und würde auch hinsichtlich der interkantonalen Steuerausscheidung zu Problemen führen. Der Mehraufwand für die kantonalen Steuerverwaltungen lässt sich wie folgt beziffern: Zirka 1,6 Millionen mehr Steuererklärungen und zirka 1 Million zusätzliche Wertschriftenverzeichnisse. Zudem müssten - vom Modell 3 abgesehen - die Veranlagungen der Ehegatten miteinander koordiniert werden, was zu einem personellen Mehraufwand führen würde. Dazu kommen Aufwendungen für die Anpassungen der notwendigen Software, der Stammdaten für die Reorganisation der Adress- und Aktenverwaltung, des Versands sowie des Inkasso- und Mahnwesens.
Ingesamt schätzen die Kantone den administrativen und personellen Mehraufwand gegenüber der Zusammenveranlagung auf 30 bis 50 Prozent. Generell bleibt festzuhalten, dass sich bei Einführung eines Veranlagungswahlrechts für Ehepaare gemäss Modell 3 die Auswirkungen auf den administrativen Aufwand der Kantone weniger genau abschätzen lassen. Auch in diesem Fall entstünde ein gewisser Mehraufwand für Kontrolle und Koordination - wenn auch aufgrund der gemachten Erfahrungen in Deutschland von eher untergeordneter Bedeutung.
Bei den volkswirtschaftlichen Auswirkungen beschränkt sich die Arbeitsgruppe auf summarische Feststellungen. Wegen sinkender Grenzsteuersätze wird bei einer reinen Individualbesteuerung die Erwerbstätigkeit für Zweitverdiener attraktiv. Dadurch fällt das Bruttoinlandprodukt (BIP) grösser und die Steuerbasis breiter aus als bei der Zusammenveranlagung. Infolge der weiter oben genannten, verfassungsrechtlich notwendigen Korrektive schwächen sich bei der modifizierten Individualbesteuerung die positiven Effekte des Systemwechsels auf Arbeitsmarkt und BIP allerdings ab.
Kasten: Der gesellschaftliche Wandel in der Schweiz
Die demographischen Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten sind bemerkenswert. So nahm die Zahl der Familienhaushalte auf rund zwei Drittel ab, während diejenige der Einpersonenhaushalte auf einen Drittel anstieg. Die Ehe ist jedoch weiterhin in rund 80 Prozent der Fälle die vorherrschende Lebensform der Familie, sei dies mit oder ohne Kinder. Mit diesem Wandel der Lebensform ging auch eine Veränderung der sozioökonomischen Bedingungen einher: Vor 30 Jahren waren noch 70 Prozent aller Familienhaushalte traditionell als Einverdienerehe organisiert. Heute sind es noch knapp 50 Prozent. Die Erwerbsquote verheirateter Frauen mit Kindern stieg deutlich an. Grund dafür ist zum einen die ökonomische Notwendigkeit, zum andern ein gewandeltes Rollenverständnis der Ehepaare. Die steuerlichen Rahmenbedingungen sind diesen Veränderungen bisher jedoch nur bedingt gefolgt.
(1) Die eine Untervariante sieht zwei Steuererklärungen mit einem gemeinsamen Einlageblatt für privates Vermögen und private Vermögenserträge vor. Die andere umfasst eine Steuererklärung für beide Ehegatten mit einer gemeinsamen Rubrik für privates Vermögen und private Vermögenserträge.
Auskunft für Medienschaffende: Brigitte Behnisch Scheidegger, Eidg. Steuerverwaltung, Tel. 031 32274 77 Urs Jendly, Eidg. Steuerverwaltung, Tel. 031 322 73 35
Eidgenössisches Finanzdepartement EFD Kommunikation Bundesgasse 3 CH-3003 Bern http://www.efd.admin.ch