Schweizer Umweltschutzgesetz: Bundesbehörden schöpfen Potenzial bei der Plastikvermeidung nicht aus
PRESSEMITTEILUNG – 2.12.2024
Schweizer Umweltschutzgesetz: Bundesbehörden schöpfen Potenzial bei der Plastikvermeidung nicht aus
Das Schweizer Umweltschutzgesetz (USG) feiert 2025 sein 40-jähriges Bestehen. Seit Jahren haben sich die Bundesbehörden geweigert, die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen zur Reduktion von umweltschädlichem und gesundheitsgefährdendem Plastik umzusetzen. Eine zu starke Ausrichtung auf ausschliesslich wirtschaftsfreundliche Ansätze verhindert bis heute effektive Lösungen für Umweltprobleme. Die ursprüngliche Absicht des Gesetzes wird damit untergraben, obwohl die rechtlichen und wissenschaftlichen Grundlagen für entschlossenes Handeln vorhanden waren. Zu diesem Schluss kommt die international tätige Schweizer Meeresschutzorganisation OceanCare in ihrem neusten Bericht.
Obwohl die Schweizer Umweltschutzgesetzgebung seit Jahren rechtliche Grundlagen (Art. 30a Bst. a USG) bietet, um dem wachsenden Plastikproblem entgegenzuwirken, haben es die Bundesbehörden bisher versäumt, wirksame Massnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt zu ergreifen.
Die Versäumnisse der Schweizer Entscheidungsträger haben weitreichende Folgen: Umweltprobleme wie die Plastikverschmutzung verschärfen sich zusehends, wobei wertvolle Zeit verstreicht, in der die sinnvolle und systematische Wiederverwendung gefördert werden müsste. Statt mutiger Vorstösse bleibt die Schweiz bei zentralen Themen wie der Kreislaufwirtschaft und der Reduktion von Einwegplastik hinter anderen Ländern zurück.
Zu diesem Schluss kommt der von OceanCare publizierte Bericht «Die Rolle des Umweltschutzgesetzes zur Lösung des Plastikproblems. Empfehlungen für einen konsequenten Vollzug in der Schweiz.» Die Organisation, die unter anderem als UNO-Sonderberaterin in Meeresfragen fungiert, sich international für die Bewältigung der Plastikverschmutzung einsetzt und für eine Vermeidungsstrategie an der Quelle plädiert, hat die Umsetzung des Schweizer Umweltschutzgesetzes (USG) in Bezug auf Plastik eingehend analysiert und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet.
"Es ist enttäuschend zu sehen, dass die Schweiz trotz klarer gesetzlicher Grundlagen und wissenschaftlicher Erkenntnisse zögert, notwendige Massnahmen zum Schutz unserer Umwelt zu ergreifen, und bestehende Gesetze nicht angewendet werden", sagt Fabienne McLellan, Geschäftsführerin von OceanCare.
Wirtschaftsinteressen statt Umweltschutz: Ein problematischer Paradigmenwechsel
Das Umweltschutzgesetz, 1985 eingeführt, sollte den Schutz der natürlichen Ressourcen und des Menschen priorisieren. Ursprünglich hatte der Umweltschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Doch seit den 1990er Jahren dominiert ein wirtschaftsorientierter Ansatz. Freiwillige Vereinbarungen und die Delegation von Aufgaben an den Privatsektor prägen die Umsetzung des Gesetzes.
Die Realität zeigt jedoch, dass diese freiwilligen Massnahmen kaum wirksam sind. Nur zehn Branchenvereinbarungen existieren, und nationale Initiativen wie die Kunststoffsammlung hinken hinterher. Viele Vereinbarungen sind zudem nicht wirklich freiwillig, sondern basieren auf politischem Druck. Die Folge: Mensch und Umwelt bleiben unzureichend geschützt, während demokratische Prinzipien durch die einseitige Bevorzugung wirtschaftlicher Akteure unterlaufen werden, wie der Bericht detailliert aufzeigt.
Kunststoff: Ein ungelöstes Problem
Die Schweiz hat bislang keine einzige Verbotsmassnahme ergriffen, um Kunststoffprobleme wirksam anzugehen. Kunststoff ist nicht vollständig recyclingfähig. Trotz wiederholter Hinweise auf dessen schädliche Auswirkungen zögern die Behörden, proaktiv einzugreifen. Die Argumentation von Verwaltung und Bundesrat – fehlende wissenschaftliche Beweise, Verhältnismässigkeit und Abwarten auf internationale Initiativen – vernachlässigt die Dringlichkeit des Problems und untergräbt das Vorsorgeprinzip.
«Die Schweizer Behörden sollten ihre frühere Ambition wieder aufgreifen und Art. 74 der Bundesverfassung entsprechen (‚Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen Einwirkungen‘). Als Teil einer echten Kreislaufwirtschaft muss der Materialverbrauch konsequent verringert und die Wiederverwendung gefördert werden. Die Anwendung von bestehenden Verboten sind griffige Massnahmen, um von unnötigem Einwegplastik wegzukommen», sagt Dr. Ewoud Lauwerier, Plastikpolicy-Experte und Autor des Berichts.
Forderungen: Konkrete Massnahmen statt Untätigkeit
Es ist höchste Zeit, dass die Schweizer Regierung ihre Verantwortung ernst nimmt und den gesetzlichen Spielraum des USG ausreizt. Konkret fordert OceanCare:
- Wirksame Verbotsmassnahmen: Produkte, die Umwelt und Gesundheit nachweislich schaden, wie unnötige Einwegkunststoffprodukte, müssen schnellstmöglich verboten werden.
- Förderung von Reduktion und Wiederverwendung: Recycling alleine reicht nicht. Die Hierarchie „Reduzieren, Wiederverwenden, erst dann Recyceln“ muss im Fokus stehen.
- Stärkung der staatlichen Rolle: Der Staat darf sich nicht auf freiwillige Massnahmen der Wirtschaft verlassen, sondern muss eine führende Rolle im Umweltschutz übernehmen, zumal es um ein so hohes Ziel wie den Schutz von Mensch und Umwelt geht.
«Dem Umweltschutzgesetz kommt noch eine viel weitreichendere Bedeutung zu, da es auch global zum schonenderen Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde beitragen soll. Der Umweltschutz beginnt vor unserer eigenen Haustüre, muss aber auch über die Grenzen hinweg angegangen werden, denn die Folgen nationalen Handelns machen nicht an der Landesgrenze halt», betont Fabienne McLellan.
Das Meer beginnt in der Schweiz
Jedes Jahr gelangen rund 9 Millionen. Tonnen Plastik in die Weltmeere. Mittlerweile sind alle Ozeane von Plastikabfall betroffen, einsame Strände ebenso wie der Meeresgrund der Antarktis. Allein im Mittelmeer landen jährlich rund 17.600 Tonnen Plastik. OceanCare setzt sich international für ein globales Plastikabkommen und für die Begrenzung von Plastik ein - entlang des gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen: von deren Gewinnung, Produktion und Verwendung, bis hin zu Entsorgung und Wiederverwendung.
Flüsse sind die Wurzeln der Meere. Entsprechen hat das Meer seinen Ursprung auch in der Schweiz. Auch in der Schweiz stellt Plastik für Mensch und Umwelt eine ernsthafte Gefährdung dar.
Pressekontakte
- Dr. Ewoud Lauwerier, Plastikpolicy Experte, +41 76 708 59 89, elauwerier@oceancare.org
- Fabienne McLellan, Geschäftsführerin, Leiterin Plastikprogramm, +41 79 456 77 07, fmclellan@oceancare.org
Bericht
- OceanCare: Die Rolle des Umweltschutzgesetzes zur Lösung des Plastikproblems. Empfehlungen für einen konsequenten Vollzug in der Schweiz – Zusammenfassung (Deutsch) – Ganzer Bericht (Englisch)
Über OceanCare
OceanCare ist eine internationale Nichtregierungsorganisation zum Schutz der Meere, die 1989 in der Schweiz gegründet wurde. Die Organisation setzt sich für den Schutz und die Wiederherstellung der Meeresumwelt und der Meerestiere ein und kombiniert dabei Forschung, Schutzprojekte und Bildung. Zu den Aufgaben von OceanCare gehören die Meeresverschmutzung, der Klimawandel, die Jagd auf Meeressäuger und die Umweltfolgen der Fischerei. Die Arbeit von OceanCare wird von einem Team wissenschaftlicher, juristischer und politischer Experten unterstützt und umfasst eine strategische Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Koalitionen auf der ganzen Welt. OceanCare ist ein offiziell akkreditierter Partner und Beobachter bei mehreren UN-Konventionen und anderen internationalen Foren. www.oceancare.org
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