Gottfried Honegger: "trotzallem". Eine Rückschau
Vaduz (ots)
Vernissage: 8. November 2001, 18 bis 21 Uhr Ausstellungsdauer: 9. November 2001 bis 17. Februar 2002
Gottfried Honegger, geboren 1917 in Zürich, gehört zu den international bedeutenden Vertretern einer abstrakten bzw. einer nicht-gegenständlichen Kunst. Sein Werk ist geprägt von dem Bestreben zur Beschränkung der Mittel bei gleichzeitiger Beibehaltung einer grösst möglichen Handlungsfreiheit für gestalterische Spielräume. Er unterscheidet sich darin sehr deutlich von der Gruppe der Zürcher Konkreten um Max Bill und Richard Paul Lohse, die in systematischer Manier die Forderungen der Konkreten Kunst, die Theo van Doesburg 1931 formuliert hatte, umsetzten. Dazu gehört insbesondere die vollkommene Freiheit des Kunstwerks von jeder Abbildfunktion, d.h. das Kunstwerk bedeutet nur sich selbst in seinen Formen, Farben und kompositorischen Elementen. Auch Honegger bedient sich klarer Ordnungssysteme und vermeidet jeden Bezug zur Abbildfunktion des Kunstwerks. Gegenüber der entschieden abstrakten Vorstellungswelt der Zürcher Gruppe erhielt sich Honegger jedoch bewusst die sinnliche Dimension des ästhetischen Erlebens und liess sie in seine Werke mit einfliessen.
Zugleich aber beschränkt sich Honegger nicht auf die konsequente Anwendung abstrakt-geometrischer Gestaltung. Vielmehr sieht er seine bildkünstlerische Tätigkeit untrennbar verbunden mit der Welt, in der sie statt findet. Deshalb hat sich Honegger seit Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit konsequent mit ethischen Fragen auseinander gesetzt. Der zentrale Begriff seiner ethischen und ästhetischen Grundsätze ist der der Freiheit. Die gegenstandsfreie Kunst ist ihm ein Garant für die Erhaltung von Freiheit, wie er selbst sagt: "Das naturalistische Bild begrenzt die Freiheit, ist Information. Das gegenstandslose Bild lässt Freiheit; Sehen wird ein kreativer Akt." Aus diesem Grunde hat sich Honegger auch stets in die allgemeine politische Lage eingemischt, besonders in seinem Heimatland, der Schweiz. Aber er hat auch in zahlreichen Vorträgen, Artikeln und Publikationen in anderen Ländern und vor den verschiedensten Zielgruppen für die Erkenntnis geworben, dass Kunst grundsätzlich eine politische Dimension hat.
Honeggers frühes Oeuvre ist fast ganz von der Farbe Rot geprägt. Er verfolgt durch die radikale Reduktion auf eine Farbe und die gegenstandslose Darstellung die paradoxe Absicht, den eigentlichen Reichtum der Kunst durch den Einbezug der Wahrnehmung der Werke durch den Betrachter und dessen aktives Sehen zu erreichen.
Die Entwicklung der Werkgruppe der roten Bilder erfolgt mit einer bemerkenswerten Folgerichtigkeit und zugleich in bedachtsamen Schritten. Zunächst verwendet Honegger fast ausschliesslich quadratische Kartonstücke und setzt sie zu ebenfalls quadratischen Flächen zusammen. Wenige Jahre später trennt er die Entsprechung von Binnenstruktur und Gesamtfigur, es entstehen auch rechteckige Bilder. Daraus folgen jene Werke, in denen Rechtecke zu Rechtecken geformt werden und Rechtecke und Quadrate in Rechtecken zugleich existieren. Als nächstes Element wird die Diagonale eingeführt, die auch das Dreieck mit sich führt. Und seit Ende der sechziger Jahre tauchen Halbkreis und Kreissegment in den Werken auf. Alle diese Elemente werden zunehmend miteinander kombiniert und verschränken sich darüber hinaus mit der Einführung weiterer Materialien und Farben in das Bild. Blau, Orange, Grün, Weiss, verschiedene Grautöne und Gold finden Verwendung, und seit 1969 dann auch Metall.
Die Tatsache, dass Honeggers Bilder keine planen Flächen sind sondern stets ein - wenn auch flaches - Profil aufweisen, führte schon früh zu ihrer Benennung als "Tableaux-Reliefs". Damit wird das konzeptionelle Grundmuster der Arbeiten Honeggers deutlich. Er sucht stets nach einer Ganzheit in seinem Werk, die die klassischen Klassifikationen unterläuft. Diese Ganzheit kann eigentlich nur dann erzielt werden, wenn das einzelne Werk bei aller Manifestation von Ordnung und Schönheit zugleich eine Reihe von wahrnehmungsspezifischen Widerhaken hat. Diese Widerhaken dienen der Belebung des Seh-Sinnes der Betrachter und tragen auf diese Weise dazu bei, dass sich eben jene Freiheit einstellt, von der der Künstler im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit spricht.
In diesem Sinne manifestiert sich der Titel dieser Ausstellung als ein Motto, das ästhetischer Kriterien nicht entbehrt. Das "trotzallem" ist die Einsicht, dass es in der Ästhetik wie im gelebten Alltag keine einfachen Lösungen gibt. Bei Gottfried Honegger enthält jedes Kunstwerk neben der Formulierung seiner Einmaligkeit auch zugleich seine eigene Infragestellung.
Das Werk der letzten Jahre steht in bemerkenswert komplementärem Verhältnis zur Werkgruppe der roten Bilder. Es handelt sich um Skulpturen, deren Aufbau von zwei Elementen gekennzeichnet ist. Einerseits geht der Künstler von einer Grundform aus, die in der Regel bereits im Entwurfsmaterial, meist Karton, vorgegeben ist, d.h. von einem Rechteck oder einem Zylinder. Der zweite Schritt besteht aus Schnitten in diese Form, die entweder zu weiteren Faltungen führen, aus denen sich schliesslich die endgültige Form ergibt, oder die die Grundform in einzelne Teile zerlegen, die wieder neu zusammengesetzt werden. Diese modularen Skulpturen sind in ihrer Grösse grundsätzlich variabel. Sie existieren zunächst als ein ca. 40 cm hohes Karton-Modell, das die Vorlage für die Übersetzung der Form in das stabile Skulpturen-Material bildet. Die Skulpturen selbst existieren in Höhen zwischen 80 cm und 450 cm.
In diesem Verfahren hat Honegger eine seiner wesentlichen Forderungen nach einer partizipatorischen Kunst, nach ihrer Demokratisierung, erfüllen können. Er selbst übernimmt in diesem viele Schritte durchlaufenden Prozess fast nur noch die Rolle des Initiators für die Form, deren konkrete Ausbildung in weiten Teilen von anderen übernommen werden kann. Diese konzeptuelle Dimension gibt den jüngsten Arbeiten Honeggers eine enorme Aktualität, da sie von den spät-modernen Konzepten der konkreten Kunst und der Minimal Art die strukturellen Aspekte übernimmt und mit den Vernetzungs-Systemen der jüngeren Künstlergenerationen verknüpft. Daneben jedoch überlässt diese Lösung auch Honegger selbst die Möglichkeit, seine ganz eigenen, seine persönlichen Skulpturen zu realisieren.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein zeigt eine repräsentative Auswahl von roten Bildern sowie Skulpturen und "Tableaux-Reliefs" aus den letzten vier Jahren. Das die Ausstellung begleitende Buch enthält ergänzend dazu zahlreiche Texte des Künstlers zu Ästhetik und Politik sowie erstmals umfangreiche Auszüge aus seinen Tagebüchern. Gleichzeitig erscheint, in Koproduktion mit SWR2, eine CD mit einem Gespräch von Gerwig Epkes mit Gottfried Honegger zu Kultur, Kunst, Ethik und Politik.
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