pafl: PISA 2003: Analysen und Porträts für Deutschschweizer Kantone und das Fürstentum Liechtenstein
(ots)
Vaduz, 7. Dezember (pafl) -
Im Nachgang zur nationalen Berichterstattung PISA 2003 haben die Kantone Aargau, Bern, St. Gallen, Thurgau, Wallis, Zürich und das Fürstentum Liechtenstein Zusatzanalysen in Auftrag gegeben. Besonderes Augenmerk galt der Frage, welches die Gründe für die insgesamt als eher gering einzuschätzenden Leistungsunterschiede zwischen den untersuchten Bildungssystemen sind. Es zeigt sich, dass grosse soziale Unterschiede, verknüpft mit beträchtlicher kultureller Heterogenität, aber auch Faktoren wie Unterrichtsdauer oder das Alter der Jugendlichen, einen Einfluss auf die Schulleistungen der einzelnen Kantone und des Fürstentums Liechtenstein haben.
Leistungsstand in Mathematik
Die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler des Kantons Bern (deutschsprachiger Teil) liegen in der Mathematik etwas unter dem gesamtschweizerischen Durchschnitt. Die Leistungen des Kantons Zürich und des Fürstentums Liechtenstein unterscheiden sich nicht vom Schweizer Durchschnitt, jene der Kantone Aargau, Thurgau, St. Gallen und Wallis (deutschsprachiger Teil) sind leicht besser als dieser Durchschnitt.
Im internationalen Vergleich schneiden die deutschschweizerischen Schülerinnen und Schüler im Mathematikbereich Raum und Form am besten ab, in den Bereichen Quantitatives Denken sowie Veränderung und Beziehungen etwas schlechter und im Bereich Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik am schlechtesten. Kantone, die in Mathematik insgesamt gut abschneiden, haben auch in allen vier Unterbereichen gute Resultate. Kantone mit einem tieferen Gesamtwert in Mathematik weisen auch in allen vier Mathematikbereichen tiefere Leistungen auf.
Heterogenität eine Herausforderung für Schule und Gesellschaft
Die Heterogenität der Schülerschaft vermag die kantonalen Leistungsunterschiede in Mathematik teilweise zu erklären. Je grösser in einem Kanton der Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund ist und je tiefer der sozioökonomische Status dieser Jugendlichen ist, desto grösser sind im Kanton die Leistungsunterschiede zwischen den einheimischen Schülerinnen und Schülern und solchen mit Migrationshintergrund. Dies führt letztlich zu tieferen Mathematikleistungen in Kantonen mit hoher sozialer und kultureller Heterogenität.
Besonders gefordert durch die Heterogenität ist der Kanton Zürich und in etwas geringerem Ausmass der Kanton Aargau und das Fürstentum Liechtenstein. In diesen drei Bildungssystemen sind aus diesem Grund in Mathematik die Leistungsunterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern gross. In Bern und vor allem im Wallis ist die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler vergleichsweise klein. Trotz eines eher hohen Anteils an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund steht der Kanton St. Gallen im PISA-Vergleich an der Spitze. Die Belastung durch die Heterogenität ist in St. Gallen allerdings nicht ganz so hoch wie in Zürich. Der Kanton Thurgau fällt am wenigsten auf. Die Heterogenität der Schülerschaft ist dort etwas geringer.
Separative und integrative Schulmodelle im Vergleich
Auf der Sekundarstufe I finden sich zwei Schulmodelle. Im separativen Modell werden die Schülerinnen und Schüler gemäss ihrer Leistungen in Klassen mit meist drei unterschiedlichen Anspruchsniveaus eingeteilt, wobei der Unterricht praktisch ausschliesslich in diesen Klassen stattfindet. Beim integrativen Modell werden die Jugendlichen oft gemäss ihrer Leistung in Klassen mit zwei unterschiedlichen Anspruchsniveaus eingeteilt. Im Gegensatz zum separativen Modell findet aber in Kernfächern wie Mathematik oder Deutsch der Unterricht in Niveaugruppen statt, die von leistungsmässig gleich starken Schülerinnen und Schülern aus verschiedenen Klassen besucht werden. Integrativ an diesem Modell ist, dass Schülerinnen und Schüler in Kernfächern klassenübergreifend unterrichtet werden und sie gemäss ihrem Leistungsstand flexibel den unterschiedlichen Niveaugruppen zugeteilt werden können.
Der Vergleich der Leistungen in separativen und integrativen Schulmodellen ergibt, dass die Schülerinnen und Schüler etwa gleich gute Resultate erzielen, dass das integrative Modell Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Familienverhältnissen aber besser fördern kann.
Erschwerte Lernbedingungen im Schultyp mit Grundansprüchen
Mehrheitlich nach sechs Jahren Primarschule reagiert das schweizerische Schulsystem auf die Leistungsheterogenität durch die Einteilung der Schülerinnen und Schüler in unterschiedlich anspruchsvolle Schultypen. Schulen mit Grundansprüchen (vielfach Realschule genannt) werden von einem stetig abnehmenden Anteil der gesamten Schülerpopulation besucht. Die Klassen werden deshalb in Bezug auf die Leistungen, aber auch in Bezug auf die soziale und kulturelle Herkunft der Schülerinnen und Schüler je länger je homogener. Homogene Lerngruppen werden dann zu einem Problem bezüglich des Erzielens guter Leistungen, wenn sich die Lerngruppen nur noch aus leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern zusammensetzen. Auch die vergleichsweise kleinen Klassen im Schultyp mit Grundansprüchen können die Nachteile erschwerter Lernbedingungen nicht ausgleichen.
Verspäteter Schuleintritt
Verspätete Einschulungen und Verzögerungen der individuellen Schullaufbahnen führen dazu, dass Schülerinnen und Schüler in der neunten Klasse älter sind, als dies auf Grund des gesetzlich vorgesehenen Schuleintrittsalters zu erwarten wäre. In Bern, Zürich und dem Fürstentum Liechtenstein sind etwas mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in der neunten Klasse mindestens ein Jahr älter als erwartet, im Aargau und Thurgau sind es rund 40 Prozent, in St. Gallen rund zwei Drittel und im Wallis nahezu vier Fünftel.
Kantone mit hohem Durchschnittsalter in der neunten Klasse erzielen bessere Leistungen in PISA. Das höhere Alter der Schülerinnen und Schüler zum Testzeitpunkt hat zu den guten Leistungen der Kantone St. Gallen, Aargau, Thurgau und Wallis beigetragen. Dies liegt daran, dass älteren Jugendlichen mehr Zeit für die Entwicklung ihrer intellektuellen Fähigkeiten zur Verfügung stand. Allerdings zeigt der Vergleich mit dem französischsprachigen Wallis, dass auch mit einem tieferen Einschulungsalter gute Leistungen erzielt werden können.
Unterschiedliche Unterrichtsdauer in Mathematik
Dass sich die Unterrichtsdauer im Fach Mathematik zwischen den Kantonen beträchtlich unterscheidet, wird bei der Interpretation der Ergebnisse von PISA kaum beachtet. Die Schülerinnen und Schüler in Bern setzen sich bis ans Ende der obligatorischen Schulzeit während weniger als 1200 Stunden mit Mathematik auseinander, im Thurgau sind es mit knapp 1500 Unterrichtsstunden 25 Prozent mehr. Die Analysen zeigen, dass Kantone mit einem grösseren Umfang an Mathematikunterricht höhere Mathematikleistungen erzielen.
Schulische Lernbedingungen und Schulautonomie
Die Schulleitungen und die Jugendlichen der untersuchten Deutschschweizer Kantone und des Fürstentums Liechtenstein werten die schulischen und unterrichtlichen Lernbedingungen im internationalen Vergleich mehrheitlich positiv. Zwischen den Kantonen und dem Fürstentum bestehen aber beträchtliche Unterschiede. Im Thurgau und mit Einschränkungen in Zürich sind die Einschätzungen fast durchgängig positiv. Der Kanton Thurgau fällt auf durch einen hohen Wert in der Lehrerpartizipation. Im Kanton Zürich wird vor allem das Schulklima sehr positiv beurteilt. Über Defizite wird hauptsächlich im Wallis geklagt. Insbesondere das Schulklima, aber auch die personellen und materiellen Ressourcen sowie Schulautonomie und Lehrerpartizipation werden vergleichsweise tief eingeschätzt. In den Schulen des Fürstentums sind die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Lehrpersonen kleiner, hingegen ist die Autonomie der Schulen deutlich weiter fortgeschritten als in der Deutschschweiz. In Klassen mit Grundansprüchen berichten die Jugendlichen häufiger über Unterrichtsstörungen, die sich gemäss den Analysen negativ auf die Mathematikleistungen auswirken.
Der Bericht PISA 2003: Analysen und Porträts für Deutschschweizer Kantone und das Fürstentum Liechtenstein. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. kann zum Preis von 15 Franken (+ Porto/Versand) bezogen werden bei der Kantonalen Drucksachen- und Materialzentrale, Räffelstrasse 32, Postfach, 8090 Zürich (Tel. 043 259 99 99) oder ist als elektronisches Dokument unter www.bi.zh.ch / Downloads & Publikationen / Schulleistungsstudien erhältlich. Zudem besteht ein vertiefender Bericht (PISA 2003: Analysen für Deutschschweizer Kantone und das Fürstentum Liechtenstein. Detaillierte Ergebnisse und methodisches Vorgehen.), der über die gleichen Stellen bezogen werden kann.
Auskunftspersonen: Kantone Aargau und Zürich: Urs Moser, Kompetenzzentrum für Bildungsevaluation und Leistungsmessung an der Universität Zürich, Wilfriedstrasse 15, 8032 Zürich, Tel. 043 268 39 61
Kanton Bern: Robert Furrer, Generalsekretär der Erziehungsdirektion, Sulgeneckstr. 70, 3005 Bern, Tel 031 633 84 35
Kanton St. Gallen: Rolf Rimensberger, Leiter Unterricht im Amt für Volksschule, Davidstrasse 31, 9001 St. Gallen. Tel. 071 229 32 23
Kanton Thurgau: Agnes Weber, Leitung Schulentwicklung und Bildungsplanung, Departement für Erziehung und Kultur, 8510 Frauenfeld. Tel. 052 724 25 51
Kanton Wallis: Antoine Mudry, Verantwortlicher für Forschung und Bildungssysteme, Dienststelle für tertiäre Bildung, Departement für Erziehung, Kultur und Sport, Rue de Conthey 19, 1951 Sitten, Tel. 027 606 41 68
Fürstentum Liechtenstein: Christian Weidkuhn, Pädagogische Arbeitsstelle, Schulamt Vaduz, 9490 Vaduz, Tel. 00423 236 67 68