pafl: 22 m2 Geschichte - Schaan von der Urzeit bis ins hohe Mittelalter
(ots)
Vaduz, 16. August (pafl) -
Der Bau eines Mehrfamilienhauses in der «Reberastrasse» in Schaan öffnete den Blick weit zurück in die Schaaner Geschichte. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesarchäologie dokumentierten im Juli akribisch mehrere Gräber sowie die Überreste eines Steingebäudes und einer hochmittelalterlichen Grube.
Archäologen müssen sich immer auf das Unerwartete einstellen. Dass Fundereignisse weder planbar noch voraussehbar sind, verdeutlicht auch das aktuelle Beispiel in Schaan. Während einer routinemässigen Kontrolle eines Aushubs auf einer unmittelbar oberhalb der Kapelle St. Peter gelegenen Baustelle kamen unverhofft Spuren aus früheren Zeiten zum Vorschein. Da sich die Relikte am Rand der Baugrube befanden, konnten die Bauarbeiten ohne zeitliche Verzögerung parallel zu den sofort eingeleiteten archäologischen Untersuchungen fortgeführt werden. Diese beschränkten sich auf eine elf Meter lange und zwei Meter breite Sondierfläche. Waren noch zu Beginn lediglich ein Mauerstumpf, Holzkohleverfärbungen und zwei menschliche Skelette erkennbar, brachte die Analyse der 22 m2 Geschichte die gemauerten Fundamente eines einstweilen nicht näher bestimmbaren Gebäudes, eine hochmittelalterliche Grube, mindestens sechs Gräber sowie einen urgeschichtlichen Horizont zu Tage.
Spektakuläres Mittelalter
Zu den jüngsten Zeugnissen, die im Sondierschnitt entdeckt worden sind, gehören die sorgfältig gemauerten, ca. 85 cm breiten Fundamente eines Gebäudes, dessen Westseite fehlt. Die Ostwand war im Innern 4,75 Meter lang. Mehrere grosse Pfostenlöcher deuten auf einen hölzernen Vorgängerbau hin. Möglicherweise aus der gleichen Zeit stammt eine 4 x 2 Meter grosse Grube. In deren Auffüllung entdeckten die Archäologen mittelalterliche Keramik und den Abbruchschutt eines Kachelofens. Die Funde datieren in das 12./13. Jahrhundert. Da aus archäologischer Sicht das mittelalterliche Schaan ganz im Gegensatz zum römischen bis anhin nur spärlich dokumentiert ist, sind diese Entdeckungen als grosse Sensation zu werten.
Das Dorfgebiet als Friedhof
Nun schon das dritte Jahr in Folge sind die Archäologen im Zentrum von Schaan an Orten, an denen sie damit nicht gerechnet haben, auf Gräber gestossen. Nach den frühmittelalterlichen Bestattungen, die «Im Reberle» und «Im Winkel» entdeckt worden sind, sind nun in der «Reberastrasse» sechs Gräber mit den Gebeinen eines Neugeborenen, zweier Kinder und dreier Erwachsener freigelegt worden. Während das unterste und damit wahrscheinlich auch älteste Skelett mit dem Kopf im Westen und den Beinen im Osten im Grab lag, waren die restlichen fünf in Richtung Nord-Süd oder Süd-Nord orientiert. Die Ränder der Grabgruben waren sorgfältig mit Steinen ausgekleidet. Da die Bestatteten keine Beigaben bei sich hatten, ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, den Befund zeitlich einzuordnen. Die Gebeine sind aber eindeutig älter als das Gebäude und die Grube. Die Nähe zum römischen Kastell und zur frühchristlichen Kirche St. Peter (nur ca. 80 Meter entfernt), die Steineinfassungen der Grabgruben und das Fehlen von Beigaben lassen den Schluss zu, dass hier Angehörige der romanischen Bevölkerung ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
und die Urgeschichte zum Schluss
Während der Notgrabung sind in den Grabeinfüllungen immer wieder vereinzelt urgeschichtliche Scherben zum Vorschein gekommen. Erst nach dem Bergen der Skelette stellte sich heraus, dass diese Keramikfragmente aus einer Schicht stammen, die sich unter allen Gräbern und Gruben befand. Die Machart der Scherben lässt eine Datierung in die Jungsteinzeit oder Bronzezeit zu (4.-2. Jahrtausend v. Chr.). Auf Schaaner Gemeindegebiet sind nur wenige Fundgegenstände dieser Zeitstellung bekannt: Fragmente von Keramik- und Bronzegefässen vom «Krüppel» sowie Tonscherben und ein Bronzedolch aus dem Kastellareal. Mit den neuen Funden schliesst sich somit eine weitere Wissenslücke in der Siedlungsgeschichte von Schaan.
Meldepflicht
Das aktuelle Fundereignis in Schaan verdeutlicht erneut eindrücklich, dass sich aus wenigen Indizien ein immer genaueres Bild von der geschichtlichen Entwicklung einer Gemeinde entwickeln kann. Aufgrund des Denkmalschutzgesetzes von 1977 besteht die Meldepflicht für kulturgeschichtliche Relikte. Archäologen auf der Baustelle bedeuten nicht zwingend einen Baustopp. Die Landesarchäologie ist - wie auch im vorliegenden Fall - bestrebt, die Arbeiten optimal aufeinander abzustimmen, um Verzögerungen nach Möglichkeit ganz zu vermeiden oder zumindest gering zu halten. Ohne entsprechende Hinweise seitens der Bauunternehmen und Bauherrschaften geht bedeutendes Kulturgut unwiederbringlich verloren.
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