pafl: "Questions concerning Liechtenstein..." - Schlussbericht der Unabhängigen Historikerkommission in Englisch
"Questions concerning Liechtenstein ..." - Final report of the Commission of Historians in English
Vaduz (ots)
Vaduz, 5. Juni (pafl) - Dieser Tage ist die englische Ausgabe des Schlussberichts der "Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg" (UHK) erschienen, übersetzt von Graham Martin (Glasgow). Das erste Exemplar haben UHK-Präsident Peter Geiger und UHK-Vizepräsident Arthur Brunhart am 2. Juni 2009 der zuständigen liechtensteinischen Aussenministerin Aurelia Frick überreicht. Der Titel lautet "Questions concerning Liechtenstein during the National Socialist period and the Second World War: Refugees, financial assets, works of art, production of armaments. Final report of the Independent Commission of Historians Liechtenstein / Second World War (ICH)". Der Bericht, 2005 in Deutsch publiziert, ist nun der weltweiten Öffentlichkeit und Forschung in englischer Sprache zugänglich.
Zu Liechtenstein waren vor Jahren - nach der Schweiz - ebenfalls spezifische Fragen und Vorwürfe zur Vergangenheit formuliert worden. Die Regierung berief 2001 eine Historikerkommission, besetzt mit den beiden Liechtenstein-Historikern Peter Geiger und Arthur Brunhart sowie den vier international renommierten Historikern David Bankier, (Jerusalem), Dan Michman (Ramat-Gan, beide auch in Yad Vashem forschend), Carlo Moos (Zürich) und Erika Weinzierl (Wien). Die Historikerkommission erhielt von der Regierung ein unbeschränktes Archivprivileg im Inland, so waren auch die Archive der zwei seinerzeitigen Banken und der Treuhänder zugänglich. Die Kommission setzte - analog der schweizerischen Bergier-Kommission - versierte Forschungskräfte ein. Dazu liess sie - analog zum in der Schweiz tätigen Volcker-Komitee - durch eine unabhängige Revisionsfirma bei den beiden liechtensteinischen Banken, die schon zur NS-Zeit bestanden hatten, nach nachrichtenlosen Vermögenswerten, "dormant accounts", suchen.
Die öffentlichen pauschalen Anschuldigungen des World Jewish Congress von 2001 - das Fürstentum Liechtenstein habe den Nazis geholfen, Raubgut zu verschieben und zu verstecken, nämlich "Gold, Geld und gestohlene Kunst", wofür der WJC die Belege vorlegen werde - erwiesen sich zwar als unzutreffend. Dass durch den WJC überhaupt die wissenschaftlichen Untersuchungen zu Liechtenstein angestossen wurden, erwies sich aber als sinnvoll, ebenso dass der damalige WJC-Generalsekretär Israel Singer (Chairman of the Board of Governors of the WJC) in den Beirat der Historikerkommission berufen wurde. Alle verfügbaren Quellen im Inland wurden gesucht und ausgewertet, ebenso in den Nachbarländern und in den USA, in Grossbritannien und Israel. Viele Einzelheiten traten zutage. Viele Teilfragen konnten mangels Quellen nicht mehr definitiv beantwortet werden. Was sich eruieren liess, wurde festgemacht und ausgesagt. Die Historikerkommission konnte mit Genugtuung feststellen, dass in kaum einem andern Land die Abklärungen in ähnlich gründlicher, alle verfügbaren Quellen einbeziehender Weise durchgeführt wurden.
Liechtenstein, 160 Quadratkilometer gross, im Zweiten Weltkrieg neutral und unbesetzt, zählte damals 12'000 Einwohner. Es grenzte an die neutrale Schweiz und an das an Hitlerdeutschland angeschlossene Österreich. Liechtenstein nahm jüdische Flüchtlinge auf, nicht viele, aber im Verhältnis zu andern Ländern pro Kopf weitaus am meisten. Man wies an der Grenze auch Flüchtlinge ab, ebenso schriftliche Gesuche. Die damals etwa 1'000 liechtensteinischen Sitzgesellschaften verwalteten Kapitalien verschiedener Herkunft und Besitzer - jüdische, reichsdeutsche, alliierte, andere - und wickelten Transaktionen nach allen Seiten ab. Es gab dabei Verbindungen zu Hitlerdeutschland wie zu den Alliierten. Eine systematische Drehscheibenfunktion für die Verschiebung von NS-Vermögen und für Raubgut übte der damals kleine Finanzplatz mit zwei Banken und einem Dutzend Treuhänder nicht aus. An nachrichtenlosen Vermögenswerten fanden sich fünf Konten und zwei Sparhefte; eines der Konten mit seinerzeit 500 Franken konnte einem 1949 in Jerusalem verstorbenen jüdischen Emigranten zugerechnet werden. Liechtenstein war kein Platz für Versicherungsraub oder für den Absatz von Raubgold oder Raubkunst.
Das Fürstenhaus war in Österreich und in der Tschechoslowakei begütert. Die fürstliche Güterverwaltung erwarb ab 1938 in Österreich und im "Protektorat" einzelne Betriebe der Papier- und Verlagsbranche aus jüdischem Besitz. 1944/45 wurden auf einigen fürstlichen Landwirtschaftsgütern in der Nähe von Wien ungarische KZ-Häftlinge zur Arbeit eingesetzt - was sie zugleich vor der Vernichtung bewahrte. Ein einzelner Kunsterwerb für die Fürstlichen Sammlungen in Wien kam aus einer früheren "Judenauktion" in Deutschland, der Kauf (ein Bureauplat) erfolgte gutgläubig; bei einer Reihe weiterer Kunsterwerben der fraglichen Zeit für die Sammlungen lässt sich jüdischer Vorbesitz nicht ausschliessen.
In Liechtenstein entstanden Ende 1941 drei metallverarbeitende Fabrikbetriebe, welche direkt oder indirekt der deutschen Rüstung zuarbeiteten: Die Press- und Stanzwerk AG produzierte 20-mm-Hülsen für die Fliegerabwehrkanonen von Oerlikon Bührle; Maschinenbau Hilti war Zulieferer verschiedener deutscher Rüstungskonzerne; die Präzisions-Apparatebau AG Vaduz fertigte Lehren und andere Messinstrumente. Aus liechtensteinischer Sicht zählten die Arbeitsplätze mehr als die Bedenken wegen der Dienste für die deutsche Rüstung. Einzelne Akteure fanden sich auf den alliierten "Schwarzen Listen" wieder.
Insgesamt stellte die Historikerkommission fest, dass das Bild der liechtensteinischen Handlungsweisen "nicht schwarz und nicht weiss" war, sondern in "Zwischentönen" zu sehen ist. Sie standen im Kontext der Interessen von Land und Fürstenhaus, der geopolitischen Lage, der Anschlussgefahr, des Anschlussdrängens einer gewaltbereiten einheimischen NS-Anhängerschaft und der Abwehr des NS-Einflusses, getragen von Behörden, Regierung, Fürst und grosser Mehrheit der Bevölkerung.
Im englischsprachigen Schlussbericht sind die drei Anhänge des Berichts in Deutsch, nämlich die Mandate der Historikerkommission und des Beirats sowie das Gesetz vom 17. Oktober 2001, nicht enthalten; es handelt sich um Texte, die im deutschen Wortlaut rechtlich verbindlich sind und im deutschsprachigen Bericht nachgesehen werden können. Nach der Übersetzung des ganzen Berichts selber waren Korrekturlesen (durch Drew Keeling, Chronos), Anpassung der englischen Elemente des Apparats (durch Thomas Batliner, Triesen) und Ausstattung des Namenregisters mit neuen Seitenzahlen erforderlich. Schliesslich hat die Unabhängige Historikerkommission aufgrund einer Kritik von Nachkommen des im Bericht erwähnten Deutschen Josef Steegmann an drei Stellen der englischen Ausgabe eine Differenzierung vorgenommen und sie jeweils in einer Fussnote begründet.
Mit den Untersuchungen der Unabhängigen Historikerkommission ist für Liechtenstein eine bedeutende Aufgabe bewältigt: Sowohl die heute im Fürstentum lebende Bevölkerung als auch die internationale Öffentlichkeit und die Geschichtsforschung verfügen nun über einen vertieften Kenntnisstand zu heiklen Fragen der liechtensteinischen Zeitgeschichte. Die Regierung hat inzwischen Projekte zur weiteren zeitgeschichtlichen Forschung und zur Bereitstellung pädagogischer Materialien initiiert.
Peter Geiger, Arthur Brunhart, David Bankier, Dan Michman, Carlo Moos, Erika Weinzierl: Questions concerning Liechtenstein during the National Socialist period and the Second World War: Refugees, financial assets, works of art, production of armaments. Final report of the Independent Commission of Historians Liechtenstein / Second World War (ICH). Vaduz, Zurich 2009, 301 pages. - ISBN 978-3-906393-45-2 (Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Vaduz), ISBN 978-3-0340-0962-1 (Chronos Verlag, Zurich).
English Version:
"Questions concerning Liechtenstein ..." - Final report of the Commission of Historians in English
The English edition of the final report of the Independent Commission of Historians Liechtenstein / Second World War (ICH) translated by Graham Martin (Glasgow) was published this week and the first copy was presented to the foreign minister of Liechtenstein, Aurelia Frick, by the Commission's president, Peter Geiger, and its vice-president, Arthur Brunhart, on June 5, 2009. The full title of the report reads "Questions concerning Liechtenstein during the National Socialist period and the Second World War: Refugees, financial assets, works of art, production of armaments". The report published in German in 2005 is now accessible in English for the public and for research worldwide.
Years ago, after a similar review had taken place against Switzerland, specific questions and reproaches concerning its past were also formulated against Liechtenstein. The Liechtenstein Government appointed an Independent Commission of Historians (ICH) composed of the Liechtenstein historians Peter Geiger and Arthur Brunhart as well as the internationally renowned historians David Bankier (Jerusalem), Dan Michman (Ramat-Gan), both of whom are also doing research in Yad Vashem, Carlo Moos (Zurich) and Erika Weinzierl (Vienna, Austria). The Liechtenstein Government granted this commission the unlimited access to the national archives and to the archives of the trustees and the two then active banks. The commission employed experienced researchers similar to the Swiss Bergier Commission. Like the Volcker Commission which was then active in Switzerland the ICH also engaged an independent auditing firm to look for "dormant accounts" in the two Liechtenstein banks that had been active in the National Socialist period.
The sweeping accusations publicly presented by the World Jewish Congress (WJC) in 2001 proved to be unfounded. The WJC had accused the Principality of Liechtenstein of helping the National Socialists to transfer and hide spoils, i.e. "gold, money and stolen works of art". The WJC had thus initiated the scientific research of Liechtenstein's role, and the then Chairman of the Board of Governors of the WJC, Israel Singer, became a member of the advisory board of the Commission of Historians. All accessible sources in Liechtenstein, in the neighbouring countries, in the USA, in Great Britain and in Israel were searched out and thoroughly evaluated. Many details surfaced. However, many questions of detail could not be answered for lack of sources. What could be found out was made public. The Commission of Historians was pleased to state that in hardly any other country had the research been carried out in such a thorough way and with the inclusion of all accessible sources.
Liechtenstein, a country of 160 square kilometers and a population of 12'000 at that time, remained neutral and unoccupied in the Second World War. It bordered neutral Switzerland and Austria (then annexed by Hitler-Germany). Liechtenstein admitted a few hundred Jewish refugees, and in comparison to other countries, it took in by far the most refugees per capita. However some refugees were also turned away at the border and numerous written requests were rejected. At that time, approximate 1'000 off-shore companies in Liechtenstein managed funds of different provenience and holders (Jewish, National-Socialist, Allied, and others) and conducted transactions worldwide. There were relations with both Hitler-Germany and the Allies. The then small financial centre with two banks and a dozen trustees did not function as a systematic exchange centre for National-Socialist funds and stolen goods. Concerning "dormant accounts", five bank accounts and two savings books of non-traceable owners could be discovered. One of the accounts that amounted to 500 Swiss francs at that time was eventually attributed to a Jewish emigrant, deceased in Jerusalem in 1949. Liechtenstein was no place for insurance fraud nor was it an outlet for stolen gold or stolen works of art.
The Princely Family had extensive properties in Austria and Czechoslovakia. From 1938 onwards, the princely management acquired some businesses in the paper and publishing trade from Jewish owners in Austria and in the "protectorate". In the years 1944 and 1945 Hungarian concentration camp prisoners were employed on some princely agricultural properties in the proximity of Vienna. This, incidently, saved them from extermination. Only one art acquisition of the princely collections of art in Vienna could be traced back to a former "Judenauktion" (auction of Jewish properties) in Germany. This purchase (a bureau plat) was made trustingly. Previous Jewish ownership cannot be excluded for a number of further princely acquisitions of works of art during the time in question.
At the end of 1941 three metal processing factories were founded in Liechtenstein, which directly or indirectly worked for the German armaments industry. The Press- und Stanzwerk AG produced 20-mm cases for the air defence canons of the Oerlikon Bührle combine. Maschinenbau Hilti was a supplier for different German armaments combines and the Präzisions-Apparatebau AG Vaduz produced gauges and other measuring instruments. From the point of view of Liechtenstein jobs were more important than reservations about the work for the German armaments industry. Some persons involved were eventually found on the "black lists" of the Allies.
All in all, the Commission of Historians ascertained that the image of Liechtenstein's behaviour was "neither black nor white", but "a mixture of greys". The behaviour should be seen in the context of the interests of the country and the Princely Family in the face of the geo-political situation, namely the threat of annexation and the demands of joining Hitler-Germany by the local radical National Socialists, while the rejection of National Socialist influence was supported by the authorities, the government, the reigning Prince and the majority of the population.
The three appendices of the report in German, namely the mandates of the Commission of Historians and the advisory body as well as the law from October 17, 2001 are not included in the final report in English. Those are texts which are bound by law in the German wording and can be consulted in the German version of the report. The translation of the whole report eventually needed proofreading (by Drew Keeling, Chronos), the adaptation of elements of the critical apparatus (by Thomas Batliner, Triesen) and the supplementing of the list of names with new page numbers. Finally, because of criticism voiced by descendants of the German Josef Steegmann (mentioned in the report), the ICH made a minor modification in three places of the English edition and explained it in a footnote.
With the investigation by the Independent Commission of Historians, a significant task has been dealt with for Liechtenstein. Today's population of Liechtenstein and the international general public and historical research now have extended information on delicate matters in the contemporary history of Liechtenstein. In addition the Liechtenstein government has initiated several projects of historical research and for the production of pedagogical material.
Peter Geiger, Arthur Brunhart, David Bankier, Dan Michman, Carlo Moos, Erika Weinzierl: Questions concerning Liechtenstein during the National Socialist period and the Second World War: Refugees, financial assets, works of art, production of armaments. Final report of the Independent Commission of Historians Liechtenstein / Second World War (ICH). Vaduz, Zurich 2009, 301 pages. - ISBN 978-3-906393-45-2 (Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Vaduz), ISBN 978-3-0340-0962-1 (Chronos Verlag, Zurich).
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Tel.: +423 375 88 42
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