pafl: Weichenstellung für den Internationalen Strafgerichtshof
Vaduz (ots)
Vaduz, 27. Mai (pafl) - Im September 2010 wird Liechtenstein den 20. Jahrestag seiner Mitgliedschaft in der UNO begehen. Die Aufnahme als 160. Mitgliedsstaat durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 18. September 1990 stellte aus staats- und souveränitätspolitischer Sicht einen bedeutenden Schritt dar. In den fast zwanzig Jahren seiner Mitgliedschaft entwickelte sich Liechtenstein zu einem respektierten Mitglied der UNO-Familie, dessen aktive Rolle weit über die Grenzen zu seinen europäischen Partnern geschätzt wird. Der bevorstehende Jahrestag soll Anlass sein, die Schwerpunkte der liechtensteinischen Aktivitäten in den Vereinten Nationen in einem monatlichen Beitrag näher zu beleuchten.
Ab der kommenden Woche diskutieren die 111 Vertragsparteien des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in der ugandischen Hauptstadt Kampala über die Zukunft der internationalen Strafjustiz. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst die Frage, ob das Römer Statut von 1998 - der Gründungsvertrag des ICC - geändert werden soll. Die Konferenz wird aber auch Bilanz über das bisher Erreichte ziehen und die Herausforderungen der nächsten Jahre skizzieren. Liechtenstein stellt mit Botschafter Christian Wenaweser den Vorsitz der Konferenz - zugleich eine Anerkennung des wichtigen Beitrages, den Kleinstaaten in internationalen Beziehungen leisten können.
Sieben Jahre über "Aggression" verhandelt
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht der Abschluss der Verhandlungen zum Verbrechen der Aggression. Diese Verhandlungen wurden seit 2003 von der liechtensteinischen Delegation geleitet. Bei der Annahme des ICC-Statuts im Jahre 1998 war sich die Staatengemeinschaft uneinig darüber, ob "Aggression", wie etwa ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, als eines der zu verfolgenden Hauptverbrechen ins Römer Statut aufzunehmen sei. Die Schwere des Verbrechens - das bereits in den Nürnberger Prozessen eine zentrale Rolle spielte - stand dabei ausser Frage. Strittig waren jedoch die Definition und die Rolle des UNO-Sicherheitsrats bei der Entscheidung, ob ein Akt der Aggression begangen worden sei. Vor allem die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sind der Auffassung, dass der ICC nur mit Zustimmung des Sicherheitsrats im Zusammenhang mit einem solchen Verbrechen tätig werden dürfe. Für die meisten anderen Staaten ist dies mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit des ICC nicht zu vereinbaren. Die Verhandlungsleitung zu diesem Thema war für die liechtensteinische Delegation nicht einfach, da die stark unterschiedlichen Interessen aller UNO-Mitgliedstaaten sowie komplexe völkerrechtliche Fragen berücksichtigt werden mussten. Die besondere Position Liechtensteins als neutraler Kleinstaat ohne eigene Armee sowie der jahrelange Einsatz für die internationale Strafgerichtsbarkeit waren dabei wichtige Garanten für die Glaubwürdigkeit dieses Einsatzes. In zahlreichen Verhandlungsrunden, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Liechtenstein Institute on Self-Determination der Princeton University, wurden grosse Fortschritte gemacht, insbesondere zur Definition von "Aggression". Ob das Bemühen letztlich von Erfolg gekrönt sein wird, ist aber noch offen.
Kaum Änderungen notwendig
Abgesehen vom Verbrechen der Aggression wird Kampala keine signifikanten Änderungen am Römer Statut bringen. Insbesondere herrscht Einigkeit darüber, dass die Gerichtsbarkeit nicht über Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen (und allenfalls Aggression) hinaus auszudehnen sei. Einzelne Initiativen etwa zur Aufnahme von Terrorismus oder Drogenhandel als Tatbestände fanden kaum Unterstützung und stehen in Kampala nicht auf der Tagesordnung.
Zu Änderungen prozeduraler und institutioneller Aspekte besteht ebenfalls keine dringende Notwendigkeit. Die vorliegenden Erfahrungen sind dazu noch nicht ausreichend, denn der ICC hat noch keinen Prozess abgeschlossen. Ein Urteil im Fall des kongolesischen Milizenführers Lubanga wird für Sommer 2010 erwartet. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang das einzigartige Wahlverfahren für ICC-Richter, das 2002 auf liechtensteinischen Vorschlag hin angenommen wurde: Es sieht ein ausgeklügeltes System vor, das die Wahl einer im Hinblick auf geographische Herkunft und Geschlecht ausgewogene Richterbank fördert, ohne jedoch fixe Quoten zu verwenden. Das System funktioniert: Derzeit sind die Richterkammern zur Hälfte mit Frauen besetzt - ein Rekord im Vergleich zu anderen internationalen Gerichtshöfen.
Zukunft der internationalen Strafgerichtsbarkeit
Kampala wird auch der Schauplatz sein für eine Diskussion über die Zukunft der internationalen Strafjustiz - das wohl revolutionärste Projekt der jüngeren Vergangenheit im Bereich des Völkerrechts. Die internationalen Tribunale für das ehemalige Jugoslawien, Ruanda, Sierra Leone und Kambodscha werden ihre Arbeiten bald abschliessen, voraussichtlich mit gemischten Bilanzen. Eine der Hauptüberlegungen bei der Schaffung des ICC war gerade auch, dass er als permanenter Gerichtshof die Schaffung solcher Ad-hoc-Einrichtungen unnötig machen würde. Das Römer Statut hat aber weiterhin keine universelle Anwendbarkeit: Wohl haben inzwischen 111 Staaten das Römer Statut akzeptiert - weit mehr als für diesen Zeitpunkt prognostiziert worden war, aber gleichzeitig fallen gravierende Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit wie etwa jene in Sri Lanka und im Gaza-Streifen nicht in den Tätigkeitsbereich des ICC.
Die universelle Zuständigkeit des ICC bleibt ein Fernziel - nicht unmöglich, aber in jedem Fall lange Jahre entfernt, denn gerade einige mächtige Staaten werden dem ICC noch einige Jahre fernbleiben. Damit werden die Staaten wieder stärker an den Grundsatz der "Komplementarität" erinnert, auf welchem der ICC aufbaut: Er soll nur dort eingreifen, wo nationale Gerichte ihre Kompetenz nicht ausüben können oder wollen. Der politische Druck auf Staaten zur Wahrnehmung ihrer nationalen Verantwortlichkeit wird damit steigen.
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