Media Service: Bundesratswahl
Die ganze TV-Nation war gerührt, als François Angéloz (87) vor Freude weinte, als sein Enkel Alain Berset (39) am Mittwoch zum Bundesrat gewählt wurde.
Luzern (ots)
Daran muss sich François Angéloz zuerst gewöhnen. Dass sein Enkel Bundesrat ist. Dass Alain Berset die höchste Stufe der helvetischen Politik erklommen hat. Dass er, François, 87-jährig und Alains Grossvater mütterlicherseits, aufgewachsen in einfachsten Verhältnissen in der Freiburger Gemeinde Corminboeuf FR, Vorfahre des neuen Innenministers sein würde. Die ganze vor dem Fernseher versammelte Schweiz wurde Zeuge, wie Angéloz am Mittwoch auf der Tribüne im Parlament Freudentränen ins Gesicht schossen, wie er mit seiner Familie die Wahl feierte.
François Angéloz, hätten Sie erwartet, dass einer Ihrer Enkel dereinst zum Bundesrat erkoren würde? François Angéloz: Nein, natürlich nicht. Ich stamme aus einer bescheidenen Familie, hatte 11 Geschwister, mein Vater arbeitete als Schreiner. Ich habe die schreckliche Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren erlebt, damals gab es überhaupt keine soziale Sicherheit. Niemand in unserer Familie konnte damals ein Studium in Angriff nehmen. Ich habe zuerst auf Baustellen Geld verdient. Nach der Rekrutenschule nahm ich eine Stelle bei den SBB in Freiburg im Bereich Güterverkehr an. François Angéloz wirkte während Jahrzehnten, bis 1978 im Gemeinderat von Bélfaux FR. Der Gewerkschaftler politisierte auch im Freiburger Kantonsparlament. Seine Tochter fuhr ihn und andre Familienmitglieder am Mittwoch nach Bern, zum grossen Tag, an dem die Vereinigte Bundesversammlung der SVP einen zweiten Sitz verweigerte. Es schien manchmal, als ob die Ersatzwahl für Calmy-Rey zur Randnotiz verkäme. Nicht so für Angéloz.
Ihr Enkel Alain erhielt schon im ersten Wahlgang 114 Stimmen und wurde im zweiten Durchgang gewählt. Eine klare Sache. Angéloz: Ich habe ein viel knapperes Resultat erwartet. Sein parteiinterner Gegner Pierre-Yves Maillard ist ein brillanter Politiker, wie Alain. Mein Enkel hat eine Blitzkarriere hingelegt. Es ist klar, dass ich bei der Wahl tief berührt war. Wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, dass Alain ausserordentliche Fähigkeiten besitzt? Angéloz: Schon als Knirps war er den gleichaltrigen Gspänli voraus. Alain entpuppte sich als neugieriger Bub, der von klein auf alles wissen wollte. In der Schule erzielte er ausgezeichnete Noten, die Matura schloss er ein Jahr früher als üblich ab. Er war in allen Fächern sehr talentiert und doktorierte schliesslich in Wirtschaftswissenschaften. Stolz ist Angéloz nicht nur auf die akademische Karriere seines Enkels. Er freut sich auch über dessen Lebensintelligenz. Nach dem Gymnasium bereiste Alain Südamerika, vor allem Brasilien. «Dort verdiente er sein Brot mit Auftritten am Klavier. Zudem erteilte er Klavier- und Französischunterricht.» Berset verkörpert nicht nur musikalische Talente. Alain Berset war ein überdurchschnittlich schneller 800-Meter-Läufer, schaffte es zeitweise bis zur Elite der Schweizer Leichtathleten. «Wir haben ihn an den Rennen unterstützt, für ihn gefant», sagt Angéloz. Und: Die Geburtstage seiner Grosseltern vergisst Alain nie. Bis 23 Uhr hat Angéloz am Mittwoch in Bélfaux in jenem Restaurant gefeiert, in dem sich die Sozialdemokraten treffen. Bis am Wochenende sind per Post zahlreiche Glückwunschkarten eingetroffen, viele Freunde haben Angéloz telefonisch gratuliert. Per SMS funktioniert das nicht. «Wir haben kein Natel.» Angéloz lebt mit seiner Frau nur einen Kilometer entfernt von Bersets Haus, in dem er mit seiner Frau und seinen drei Kindern wohnt. «Alain lädt uns häufig zum Essen ein, wir begegnen uns oft, das wird jetzt nicht anders werden.»
Werden Sie sich jetzt, da Ihr Enkel das Land regieren muss, vermehrt um Ihre drei Urgrosskinder kümmern? Angéloz: Nein, dazu sind meine Frau und ich zu alt. Alains Eltern und sein Onkel leben im gleichen Haus und helfen. Befürchten Sie, dass der neue Bundesrat seine Familie kaum noch sieht? Angéloz: Alain legt viel Wert auf seine Familie. Er wird seine Kinder nicht der Politik wegen vernachlässigen. Politische Differenzen mit seinem Enkel identifiziert Angéloz keine. Der stolze Grossvater sagt: «Wir vertreten die gleiche Linie. In den grossen Fragen sind wir uns einig.» Aber natürlich verfüge sein Enkel über detailliertere Kenntnisse. Dann endet das Telefongespräch am Freitagmorgen. François und seine Frau Céline müssen den nächsten Bus erwischen.
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