Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse
Junge Erwachsene trinken wahrscheinlich doppelt so viel Alkohol wie bisher angenommen
Fortschritte in der Alkoholforschung dank Mobiltelefonen
Bern (ots)
Am meisten Alkohol konsumieren junge Erwachsene an Samstagabenden, männliche Personen im Durchschnitt 2 Liter Bier. Sie trinken wahrscheinlich doppelt so viel Alkohol wie bisher angenommen. Das sogenannte Warmtrinken, also das preisgünstige Trinken im privaten Kreis vor dem Besuch eines Lokals, verringert den darauf folgenden Alkoholkonsum nicht, im Gegenteil. Das zeigt ein vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstütztes Forschungsprojekt.
Viele junge Menschen in der Schweiz konsumieren an den Wochenenden grosse Mengen Alkohol. Die Folgen sind unter anderem Unfälle, Spitaleinweisungen und gewalttätige Auseinandersetzungen. Nicht bekannt war bisher, wie sich der Alkoholkonsum im Verlauf eines Abends entwickelt und welche Konsumformen vorherrschen - für die Prävention zentrale Fragen.
Der Psychologe Emmanuel Kuntsche und sein Team von Sucht Schweiz in Lausanne haben mit einer Mobiltelefon-Befragung das Trinkverhalten von 183 Westschweizern und -schweizerinnen - 86 Männer und 97 Frauen - im Alter zwischen 19 und 26 Jahren bestimmt. Die Teilnehmenden gaben während fünf Wochen von Donnerstag bis Samstag stündlich ihren aktuellen Alkoholkonsum an, vom frühen Abend bis Mitternacht sowie am Morgen danach. Zudem wurden sie zu Beginn der Befragung zu ihrem Konsum der letzten 30 Tage befragt.
Am Samstagabend bis zu 28 Gläser Alkohol Die jungen Erwachsene gaben direkt am Abend gefragt einen fast doppelt so hohen Alkoholkonsum an als retrospektiv. Dieses Resultat ist für Kuntsche beunruhigend, weil es darauf hindeutet, dass Jugendliche wahrscheinlich doppelt so viel trinken wie bisher angenommen: Die Schätzungen des Alkoholkonsums basieren fast ausschliesslich auf retrospektiven Einschätzungen. Für alle 1441 untersuchten Abende lag der Durchschnitt bei ungefähr 3 Gläsern Alkohol pro Person und Abend, wobei 1 Glas 2.5 dl Bier, 1 dl Wein oder 0.25 dl Schnaps entspricht. Die männlichen Befragten tranken durchschnittlich 5 Gläser am Donnerstag, 7 am Freitag und 8 am Samstag, mit Spitzenwerten bis zu 28 Gläsern an einem Abend. Mädchen tranken durchschnittlich 4.5, 5 und 5.5 Gläser, maximal 25. Unterschiede zwischen den Wochentagen zeigten sich jeweils zu später Stunde: Während der Konsum pro Stunde im Verlauf der Donnerstagabende abnahm, blieb er an den Freitagabenden konstant; markant stieg er an den Samstagabenden an.
Verbreitet ist unter jungen Erwachsenen das sogenannte Warmtrinken: Sie kaufen sich im Supermarkt Alkohol, den sie entweder im privaten Kreis oder im öffentlichen Raum trinken, bevor sie einen Klub besuchen, in dem der Alkohol deutlich teurer ist. Das Warmtrinken führt jedoch nicht dazu, dass die Jugendlichen im Verlauf des restlichen Abends weniger tränken, im Gegenteil. So war der Alkoholkonsum an Abenden, an denen sich die Befragten warmgetrunken hatten, etwa doppelt so hoch wie sonst.
Öffnungszeiten einschränken, Preise erhöhen Laut Kuntsche würden die Ergebnisse für die Deutschschweiz ähnlich ausfallen. Die Daten deuteten darauf hin, dass einige Jugendliche die psychoaktiven Wirkungen des Alkohols gezielt einsetzten, «um abzuschalten und dem Stress und dem Alltag zu entfliehen oder um einen Kick zu erleben und in euphorische Stimmung zu kommen». Weil in diesen Fällen Ratschläge nicht ausreichten, empfiehlt Kuntsche zusätzliche strukturelle Präventionsmassnahmen, beispielsweise abends und nachts eingeschränkte Öffnungszeiten für Geschäfte, die Alkohol verkaufen, oder die Erhöhung der Preise. «Heute ist ein Vollrausch bereits ab 10 Franken erhältlich und damit selbst für Jugendliche mit kleinem Budget problemlos zu realisieren», sagt Kuntsche.
Eine Kurzfassung des Projekts sowie der Text dieser Medienmitteilung stehen auf der Website des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
Kontakt:
Dr. Emmanuel Kuntsche
Florian Labhart
Sucht Schweiz
Avenue Ruchonnet 14
CH-1001 Lausanne
Tel: 021 321 29 52
E-Mail: ekuntsche@suchtschweiz.ch