Europäischer Reisemarkt im Umbruch - Flexible Angebote für flexible Kunden
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München /Zürich (ots)
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- Künftig nur noch moderates Wachstum im traditionellen Pauschalreise-Geschäft
- Radikale Veränderung der Kundenanforderungen und des Wettbewerbsumfelds
- Neuausrichtung der Geschäftsmodelle wesentlich für den zukünftigen Erfolg der Reiseveranstalter
Die europäischen Reiseveranstalter müssen ihre Geschäftsmodelle tief greifend überdenken und neu ausrichten. Der Grund: Sowohl der nationale als auch der internationale Reisemarkt verändern sich nachhaltig. So ist im klassischen Veranstaltergeschäft nur noch ein moderates Wachstum zu erwarten, während alternative Vertriebskanäle wie Online-Buchungen und eine umfassende Betreuung der Gäste am Urlaubsort, beispielsweise durch so genannte All-Inclusive-Angebote, für zusätzlichen Umsatz sorgen können. Das sind die Kernaussagen der aktuellen Studie "Europäischer Reisemarkt im Umbruch" von Mercer Management Consulting. Im Rahmen dieser Untersuchung hat die Unternehmensberatung die Geschäftsmodelle der wichtigsten Reiseveranstalter analysiert und wesentliche Erfolgsfaktoren identifiziert. Um am künftigen Wachstum des Tourismusmarkts teilzuhaben, müssen Reiseveranstalter viel flexibler sein sowie Marke, Produkt und Vertrieb konsequent auf das veränderte Kundenverhalten ausrichten.
Europa ist nach wie vor der weltweit grösste Tourismusmarkt. Die Europäer haben im Jahr 2005 rund 982 Milliarden US-Dollar für private Reisen ausgegeben. Die Ausgaben für private Reisen lagen 2005 in der Schweiz bei ca. 53 Milliarden US-Dollar und repräsentieren damit 16,2 Prozent der privaten Ausgaben. In Gesamteuropa liegt dieser Anteil bei ca. 12 Prozent. Doch die Lage für die Reiseveranstalter ist trotz dieser beeindruckenden Zahlen nicht rosig. Gemessen in Euro, das heisst ohne die deutliche Abwertung des US-Dollars, die die weltweiten Statistiken verfälscht, ist der europäische Reisemarkt in den letzten Jahren nicht gewachsen, sondern sogar leicht geschrumpft.
In den Jahren 2001 bis 2004 ging der Umsatz der 150 grössten Veranstalter um durchschnittlich 0,6 Prozent pro Jahr zurück. Die 15 grössten europäischen Anbieter mussten in diesem Zeitraum sogar einen Umsatzrückgang von 3,7 Prozent hinnehmen, und ihre EBITA-Marge (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Firmenwertabschreibungen) betrug lediglich 1,1 Prozent. Daran hatte My Travel, die krisengeschüttelte Nummer drei im Markt, grossen Anteil. Einige Veranstalter aber ragten mit ihren Zahlen positiv heraus: First Choice (Grossbritannien), Kuoni (Schweiz) und Iberostar (Spanien) gelang es 2004, eine EBITA-Marge von jeweils rund vier Prozent zu erwirtschaften. In den kommenden Jahren wird das klassische Veranstaltergeschäft nur noch zwei bis drei Prozent Wachstum verzeichnen können, gegenüber durchschnittlich 6,5 Prozent in den Jahren 1997 bis 2001. Damit gleicht sich die Branche, die traditionell doppelt so schnell wie die Gesamtwirtschaft gewachsen ist, der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung an.
Tief greifende Veränderungen im Kundenverhalten
"An die Stelle der Wachstumsdynamik ist die Veränderungsdynamik getreten", fasst Joris D'Incà, Partner der globalen Travel & Transportation-Practice und Office Head Zürich bei Mercer, den Wandel in Marktstruktur und Wettbewerbsumfeld zusammen. "Das Kundenverhalten hat sich in allen reifen Tourismusmärkten Europas drastisch verändert - zu Ungunsten der Reiseveranstalter." Wiederkehrende Krisen in verschiedenen Regionen, SARS, Terroranschläge oder der Tsunami, das starke Aufstreben der Low-Cost-Airlines, die leichte Verfügbarkeit von Informationen über das Internet sowie die allgemein stagnierende wirtschaftliche Entwicklung haben das Buchungs- und Reiseverhalten nachhaltig geprägt. An die Stelle der klassischen Badeferien mit einer Länge von ein bis zwei Wochen treten heute mehrere kürzere Reisen. Zudem werden die Kundenanforderungen hinsichtlich Reiseart und -dauer, Angebotsqualität und Zusatzleistungen immer vielfältiger. Das Resultat: Die Nachfrage nach Pauschalreisen ist deutlich zurückgegangen - von 35 Prozent der gesamten Ferienreisen mit mindestens einer Übernachtung in der Schweiz im Jahr 2001 auf nur noch 28 Prozent im Jahr 2004.
Der Trend hin zum so genannten "De-Packaging", das Zusammenstellen der einzelnen Reisebausteine auf Internetplattformen durch den Kunden selbst, trifft den Kern des klassischen Veranstalterangebots. "Die Wettbewerbsarena hat heute mehr Spieler als noch vor fünf Jahren. Insbesondere Fluggesellschaften und Hotels setzen den Reisebürovertrieb der Veranstalter mit ihrem verstärkten Online-Vertrieb unter Druck", analysiert Alexander Neuhaus, Co-Autor der Studie, die veränderte Wettbewerbssituation.
Flexibilität wird entscheidender Erfolgsfaktor
Bis vor einigen Jahren wurde von praktisch allen grösseren Anbietern auf das Geschäftsmodell des vertikal integrierten Reiseveranstalters gesetzt. Die Kontrolle der Wertschöpfungskette vom Vertrieb über das "Packaging" (Veranstalterfunktion) bis hin zu Transport und Hotel sollte dafür sorgen, den Markt strategisch abzusichern und die niedrigen Margen aus dem Kerngeschäft durch profitablere Aktivitäten in den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen aufzubessern. Dieses Modell hatte bei nachhaltigem Marktwachstum in den neunziger Jahren durchaus seine ökonomische Berechtigung. Allerdings funktioniert es am besten für Unternehmen, die zumindest in allen grossen europäischen Quellmärkten eine führende Marktposition haben. So ist sichergestellt, dass die integrierten Kapazitäten gut ausgelastet sind und damit profitabel sein können.
In den letzten Jahren, die von starken Veränderungen gekennzeichnet waren, hat sich die Inflexibilität, die in diesem Modell steckt, zunehmend als nachteilig erwiesen. Einige Veranstalter reagierten bereits darauf und passten ihr Geschäftsmodell an. TUI versucht, seine Kapazitäten bestmöglich auszulasten. Das Unternehmen halt eigene Flugzeuge für maximal 65 Prozent und eigene Hotels für maximal 15 Prozent der Kunden vor. Darüber hinausgehender Kapazitätsbedarf wird flexibel zugekauft. Einzelne Reisebausteine können die Kunden direkt bei den TUI-Leistungsträgern buchen, seien es Flüge, Hotels oder Incoming-Services wie etwa Ausflüge vor Ort. Der englische Veranstalter First Choice gestaltete sein Angebot neu und passte sein Kapazitätsmanagement an. Waren im Jahr 2000 noch 65 Prozent der Hotelkapazitäten von First Choice fix garantiert, sind dies 2004 nur noch 40 Prozent gewesen. Zusätzlich wurde mittlerweile etwa ein Drittel der Flugzeugflotte auf flexiblere Leasing-Verträge umgestellt. Die durchschnittliche Leasing-Laufzeit von sechs Jahren ermöglicht es zudem, jährlich ein Sechstel der Flugzeugkapazität zu reduzieren.
Marke, Produkt und Vertrieb anpassen
Ein konsequentes Markenmanagement wurde von vielen Reiseveranstaltern jahrelang vernachlässigt. Ziel muss es deshalb sein, die Veranstaltermarken hinsichtlich Produktangebot, Markenversprechen, Werbung und Vertrieb möglichst klar auf einzelne Kundensegmente auszurichten. Eine einzelne Marke kann grundsätzlich nicht die Bedürfnisse mehrerer Kundensegmente erfüllen. Die klare Ausrichtung des Markenportfolios von Kuoni zeigt eindrucksvoll die Bedeutung und den wirtschaftlichen Nutzen konsequenter Markenpolitik. Eine klare Positionierung der Marke erfordert aber auch eine entsprechende Produktpolitik. Werden die angebotenen Destinationen und Hotels reduziert, sinken die Kosten für das Kapazitätsmanagement, für Kataloge und Vertriebsprozesse. Das ist der zentrale Hebel, um die niedrigen Margen zu steigern. Zusätzlich verlagerte zum Beispiel First Choice sein Angebot teilweise in Segmente, die weniger anfällig für Wettbewerb durch Low-Cost-Airlines und Internetveranstalter sind. Hierzu gehört auch die Strategie, profitablere Nischenmärkte, wie etwa Kreuzfahrten, Wintersport- oder Abenteuerreisen, mit klar abgegrenzten Marken und auf die Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Produktangeboten zu besetzen.
Ein weiteres attraktives Geschäftspotenzial stellen Ausgaben in der Urlaubsregion dar: für den Transport zum Hotel, für Ausflüge, Kulturprogramme, Einkäufe und Mahlzeiten. So geben deutsche Urlauber im Durchschnitt 20 bis 25 Prozent ihrer Urlaubsausgaben vor Ort ausserhalb ihres Hotels aus. Die Gewinnmargen sind hier drei bis vier Mal höher als im klassischen Veranstaltergeschäft. Durch All-Inclusive-Angebote und exklusive Sportangebote oder Exkursionen kann dieses Umsatz- und Gewinnpotenzial ausgeschöpft werden. Einige Veranstalter betreiben hierfür so genannte "Incoming-Agenturen": Kuoni gehört hier zu den Weltmarktführern und hat das Incoming-Geschäft mit einem Umsatzanteil von insgesamt 17 Prozent zu einem äusserst profitablen Standbein aufgebaut. Die Incoming-Agentur von alltours erwirtschaftet eine EBITA-Marge von circa zehn Prozent.
Im Vertrieb besteht die Herausforderung darin, die Kunden in den Vertriebskanal zu lenken, der für den Veranstalter jeweils optimal ist. Dies funktioniert über differenzierte Preisgestaltung oder Servicegebühren. Vertriebskosten und Kundenbindung sind dabei wichtige Steuerungskriterien. Grundsätzlich sollten einfach strukturierte Buchungen mit geringem Beratungsbedarf über Internet oder Callcenter abgewickelt werden. Über alle Vertriebskanäle eines Veranstalters hinweg ist es wichtig, das Markenversprechen aufrecht zu erhalten. Das bedeutet auch eine stärkere Differenzierung der Reisebüros gemäss den Anforderungen der einzelnen Veranstaltermarken.
Individueller Weg durch schwieriges Gelände
Auch wenn sich das Umfeld in den letzten Jahren stark verändert hat, besitzt der Reisemarkt weiterhin grosses Wachstumspotenzial. Die Reiselust insbesondere der Schweizer, Deutschen, Engländer und Niederländer ist ungebrochen. "Jeder Reiseveranstalter muss seinen eigenen Weg finden, den Wandel erfolgreich zu meistern", so D'Incà. "Was wir jedoch künftig von den erfolgreichen Veranstaltern sehen werden, ist ein flexibles Geschäftsmodell mit einer ausgeprägten Differenzierung des Angebots für die strategischen Kundensegmente und einer Professionalisierung des Kapazitäts-, Marken- und Vertriebsmanagements."
Erfolgsfaktoren für europäische Reiseveranstalter
1. Lockerung der vertikalen Integration
Das klassische Geschäftsmodell des vertikal vollständig integrierten Reiseveranstalters muss flexibler werden, um den Veränderungen im Kundenverhalten und im Wettbewerbsumfeld gerecht zu werden. Nur wenige grosse Touristikunternehmen werden dieses Konzept erfolgreich realisieren können. Alle übrigen Veranstalter werden sich wieder stärker auf Vertrieb und Packaging konzentrieren.
2. Klare Marken- und Produktpositionierung
Um zukünftig die einzelnen Kundengruppen zielgenau ansprechen zu können, ist eine klare Marken- und Produktpositionierung erforderlich. Die Kunden müssen eine Veranstaltermarke eindeutig einem bestimmten Produktnutzen zuordnen können. Gleichzeitig sind vor allem in der klassischen Pauschalreise die Komplexitätskosten durch eine konsequente Straffung der Angebotsvielfalt, der Veranstaltermarken und Vertriebskanäle zu reduzieren.
3. Ausschöpfen des Ertragspotenzials am Zielort
Da das Wachstum im klassischen Veranstaltergeschäft begrenzt ist, gilt es, Ertragspotenziale aus der besseren Betreuung der Urlauber in den Zielgebieten auszuschöpfen. Attraktive Sport- und Wellnessangebote, Ausflüge, Events sowie All-Inclusive-Angebote versprechen Zusatzumsatz mit überdurchschnittlichen Gewinnmargen.
4. Professionelles Multi-Channel-Management
Das veränderte Kundenverhalten und der Trend zum De-Packaging erfordern den Einsatz alternativer Vertriebskanäle. Das professionelle Management dieser Vertriebskanäle bietet den Kunden die jeweils bevorzugten Wege zu Beratung und Buchung bei gleichzeitig reduzierten Vertriebskosten. Damit wird es zum entscheidenden Instrument, um Marktpotenziale auszuschöpfen und das Ergebnis zu verbessern.
Mercer Management Consulting ist Teil von Mercer Inc., New York, einer der führenden internationalen Unternehmensberatungen mit 160 Büros in 40 Ländern. Weltweit erwirtschaften 15.000 Mitarbeiter einen Umsatz von 3,1 Milliarden US-Dollar. Die Büros in Zürich, München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg tragen mit rund 520 Mitarbeitern zu diesem Erfolg bei.
Kontakt:
Dr. Jochen Schilcher
Mercer Management Consulting
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