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Discours Suisse: Integration von ausländischen Kindern an Tessiner Schulen - ein Modell, das sich seit bald drei Jahrzehnten bewährt

Bern (ots)

Seit 1990 stellen die Tessiner Schulen zusätzlich
Lehrpersonen zur Verfügung , die fremdsprachigen Schülern italienisch
beibringen und ihnen helfen, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. 
Heute als gesamtschweizerisches Modell beachtet, gehen die Anfänge 
dieses Systems im Tessin bis ins Jahr 1970 zurück. Es hat sich im 
Verlaufe der ersten Jahre selbst ohne rechtlich ausgefeilte 
Rahmenbedingungen erfolgreich bewiesen.
An den Tessiner Grundschulen sind rund 25 Prozent der Schüler 
Ausländer oder sind aus anderen Teilen der Landesteilen hinzugezogen.
Das ist höher als der gesamtschweizerische Durchschnitt von rund 20 
Prozent. "Diese Zahl hat sich statistisch seit 1970 nicht verändert",
sagt Diego Erba, Chef des Tessiner Schulamts. "Zwar sind die 
Herkunftsländer der Schüler und die Muttersprachen heute andere, doch
das Anliegen, die Kinder in unseren Alltag zu integrieren ist 
prioritär geblieben".
Diego Erba betont, dass der Kanton Tessin zusammen mit Genf zu 
jenen Kantonen zählt, die an den Schulen Integrationspolitik 
hervorragend umsetzen.  "Es geht dabei nicht nur um die Integration 
der fremdsprachigen oder ausländischen Schüler, sondern auch um jene 
von psychisch oder physisch behinderten Kindern", sagt Diego Erba.
Seit 1990 in Kraft
Die rechtliche Grundlage für die sprachliche Förderung ist auf 
Kantonsebene 1990 in Kraft getreten. "Wir mussten auf die Flucht 
ganzer Familien aus dem Balkan wegen des Krieges reagieren", erzählt 
Leonia Menegalli, Stellvertretende Leiterin des Amts für kommunale 
Schule in Bellinzona und ehemalige Schulleiterin in Biasca.  "Wenn 
ein Kind nicht italienisch spricht, klären wir zuerst sein 
schulisches Wissen ab, um zu entscheiden, welche Klasse es besuchen 
wird", sagt sie. Dabei spiele es keine Rolle, ob das Kind aus dem 
Ausland in die Schweiz komme oder aus der Deutschschweiz oder 
Romandie ins Tessin. "Je nach Herkunft haben die Schüler ganz andere 
Schulstoffe behandelt. Es geht darum, ein angemessenes Niveau für sie
zu finden", führt Menegalli aus.
Sobald das Kind am entsprechenden Unterricht teilnimmt, kommt der 
Förderunterricht zum Zug. Eine Lehrperson nimmt sich für das Kind 
während zwei bis drei Stunden pro Woche Zeit, um ihm beim 
Sprachenlernen zu helfen.  Durch den Lehrer sei auch die Verbindung 
zur Familie garantiert, erklärt Leonia Menegalli weiter. "Die 
Stützlektionen finden während der regulären Unterrichtszeit während 
rund zwei Jahren statt und werden dann evaluiert. Je nach Bedarf kann
das Angebot verlängert werden".
Menegalli, die als Schuldirektorin in Biasca umfangreiche 
Erfahrungen mit ausländischen Kindern gemacht hat, ist überzeugt 
davon, "dass die Integration an den Tessiner Schulen gut 
funktioniert, auch im Hinblick auf religiöse Bekleidung und 
Feierlichkeiten. Ich hatte auch nie Probleme mit muslimischen 
Schülern wegen christlichen Festen wie Weihnachten oder Fasnacht. 
Gerade bei Kindern strenggläubiger Religionen könnte es aber 
Konflikte geben", sagt sie.
Turnunterricht für den gegenseitigen Respekt
Beim Turnunterricht oder während der Fastenzeit Ramadan 
beispielsweise werden mit den muslimischen Familien Kompromisse 
gesucht. "Wir haben noch immer Lösungen gefunden", betont Menegalli. 
Die Zahl strenggläubiger Muslime sei auch eher klein.  Einmal sei sie
mit einer 10jährigen libanesischen Schülerin konfrontiert gewesen, 
die das Kopftuch im Unterricht getragen habe. "Aber sie hat schnell 
damit aufgehört".
Gerade Sportunterricht eignet sich für die Integration der Kinder,
ist auch Ivo Robbiani, Verantwortlicher für den Tessiner Schulsport- 
Unterricht, überzeugt. "Der Sportunterricht ist im Tessin 
obligatorisch und wir haben mit den muslimischen Familien 
beispielsweise noch immer Übereinstimmungen gefunden", sagt er. 
Umgekehrt haben wir auch schon das Tragen des Kopftuchs während des 
Unterrichts zugelassen oder, weil in der Fastenzeit Ramadan die 
Energie schwindet, eine Stunde vom Freitag auf einen anderen Tag 
gelegt".  Doch seien dies Ausnahmen.
Der Sportunterricht, betont der dafür Verantwortliche, sei eine 
Methode, um den gegenseitigen Respekt zu fördern und sich trotz 
unterschiedlichen religiösen Ansichten zu achten. Die Toleranz sei 
ein wichtiger Wert und spiele für die didaktische und pädagogische 
Umsetzung der Integration eine wichtige Rolle.
Robbiani erinnert daran, dass "Toleranz und Integration gerade 
durch die Gleichbehandlung durch Institutionen ermöglicht werden".  
Was die Ausnahmen anbelangt, nennt Robbiani das Beispiel muslimischer
Eltern, die verlangt hatten, dass ihre Tochter vom Schwimmunterricht 
suspendiert wird. Die Schule hatte daraufhin angeboten, für die 
Mädchen separate Lektionen zu organisieren, was die Familie aber 
ebenfalls ablehnte. Die Familie hat das Kind daraufhin ganz aus der 
Schule genommen. "Aber, ich betone, es handelt sich um einen 
Einzelfall", so Robbiani. So habe es einmal auch eine katholische 
Familie gegeben, die nicht wollte, dass das Kind nach dem 
Sportunterricht duscht.
Nur 53 Prozent "italophone" Kinder
Für Luca Pedrini, unter anderem Präsident der kantonalen 
Kommission, welche die Italienischkurse koordiniert, funktioniert das
Tessiner Integrationsmodell für nicht italienischsprachige Schüler - 
Italiener werden bezüglich Sprache und Kultur in diesem Falle nicht 
als ausländische Staatsbürger angesehen - sehr gut. Dies trotz einem 
weniger koordinierten Vorgehen als in Genf, einem Kantonshauptort, in
dem es dank geografischen Verhältnissen möglich sei, so genannte 
"Einführungsklassen" zu führen. Das Modell mit dem Stützunterricht 
bleibe wichtig, auch wenn die Dringlichkeit für 
Integrationsmassnahmen wie zu Zeiten des Balkan-Krieges vorbei sei. 
Während in den 90er Jahren viele der zu integrierenden Kinder aus Ex-
Jugoslawien stammten, sind es heute solche aus so genannten 
Mischehen, die sich neu niederlassen.  So wurden viele der Kinder in 
Mittel- oder Südamerika geboren.  In fast jeder Schule im Tessin 
brauche es eine Lehrperson, welche die Schüler sprachlich 
unterstütze, so Pedrini.
"Von den 35 Schulen im Kanton Tessin stellen 27 eine solche 
Lehrperson zur Verfügung. Insgesamt sind es 22 Lehrpersonen, einige 
davon können mehrfach eingesetzt werden", erklärt der 
Kommissionspräsident. Doch stehen die Regionen respektive die 
Lehrpersonen stark in Konkurrenz, denn nicht überall im Kanton sieht 
die Situation gleich aus: So hat es an der Oberstufen-Schule in Ambri
(Leventina) keinen einzigen Zuzug aus dem Ausland gegeben, in Cevio 
(Valmaggia) drei, während es in der Region Lugano 38 waren. Insgesamt
sind nur 53 Prozent der gesamten Schüler im Tessin "italophon". 
Gefolgt werden sie von Jugendlichen, die zuhause serbokroatisch (12,9
Prozent) sprechen, portugiesisch (9,5 Prozent), spanisch (3,7 
Prozent), deutsch (2,5 Prozent), englisch (2,3 Prozent), türkisch (1,
7 Prozent) oder französisch (1,1 Prozent).
Modell vorgesehen ab Kindergarten
Das Integrationsmodell an den Tessiner Schulen wird 
voraussichtlich auch an den Kindergärten eingeführt. Leonia Menegalli
unterstützt dieses Vorhaben stark. Ihre Erfahrungen als 
Schuldirektorin in Biasca hätten zur Erkenntnis geführt, dass 
Sprachförderung bereits vor der obligatorischen Schulzeit sinnvoll 
wäre. "Viele Kinder, die mit drei Jahren einen Kindergarten besuchen,
sprechen überhaupt kein italienisch, selbst wenn sie hier geboren 
wurden", sagt sie. Der einzige Kontakt dieser Kinder sei jener zur 
Mutter. Gelegenheit, die Sprache zu lernen, hätte es somit nie 
gegeben. Vor allem muslimische Mütter aus dem Balkan oder der Türkei 
hätten wenig Kontakte und würden ein Leben fern von der Aussenwelt 
leben, quasi hinter geschlossenen Türen. Die Sprachförderung im 
Kindergarten sei wichtig, denn achtzig Prozent der Kinder besuchen 
diesen bereits im Alter von drei Jahren, "25 Prozent sind anderer 
Muttersprache", sagt sie.
Einige Versuche in diese Richtung wurden bereits unternommen. Eine
Arbeitsgruppe wurde damit beauftragt, das Modell zu prüfen. "Man darf
keine Zeit verlieren", sagt Menegalli. "Die Integration der 
anderssprachigen Kinder, die hier geboren wurden, ist wichtig. Dies 
braucht noch Zeit, doch für die nächste Generation ist dafür das 
Problem gelöst", schlussfolgert sie.
EXTRA
Schleier sorgt für hitzige Debatten
In einer Petition zuhanden des Tessiner Grossen Rats hat Giorgio 
Ghiringhelli von der politischen Bewegung "Guastafeste" verlangt, 
dass das Tragen des Schleiers  an den Tessiner Schulen ganz verboten 
werde. Eine Forderung, die den Imamen des Kantons aufgeschreckt hat.
Ghiringhelli ist bekannt für seine politischen Schlachtrufe, deren
Anliegen oft zum Vornhinein zum Scheitern verurteilt sind. In seiner 
jüngsten Forderung stellt er sich auf den Standpunkt, dass das Tragen
von Schleiern gegen die Gleichstellung von Mann und Frau verstösst. 
"Der Islam sieht das Kopftuch für Mädchen bis zur Pubertät gar nicht 
vor", sagt hierzu Imam Samir Jelessa. Ghiringhelli stellt sich auf 
den Standpunkt, dass das Pubertätsalter bereits in der Sekundarstufe 
I beginnt. "Vergessen wir nicht, dass der Schleier die weiblichen 
Formen verdecken will", sagt er. Doch sollten die jungen Muslimen das
Recht haben, sich frei zu entwickeln und sich zu integrieren. "Die 
Schule müsste die Unterwerfung eines Geschlechts unter dem Deckmantel
eines religiösen Symbols verhindern".
Notiz: Dieser Text erscheint im Rahmen des Projektes Discours 
Suisse. Hinter diesem Projekt, das zur Verständigung zwischen den 
Sprachregionen beitragen will, stehen das Forum Helveticum, das 
Netzwerk Müllerhaus und die SDA. Einzeltexte aus den Sprachregionen 
sind ab dem 15. Februar im Internet zu finden unter 
www.discours-suisse.ch
Gemma d'Urso

Kontakt:

Discours Suisse
c/o FORUM HELVETICUM
Postfach
5600 Lenzburg 1
Tel.: +41/62/888'01'25
Fax: +41/62/888'01'01
E-Mail: info@forum-helveticum.ch

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