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Syrien-Experte Balanche: "Der religiöse Pluralismus im Nahen Osten wird von dschihadistischen Gruppen bedroht"

Maur (ots)

Der französische Syrien-Experte Fabrice Balanche sprach auf Einladung von Christian Solidarity International in Zürich über die Zukunft des Nahen Ostens: In weiten Teilen Syriens gebe es keine schiitischen Muslime, Christen, Alawiten und Drusen mehr. Ein Ende dieser Entwicklung sei nicht in Sicht.

"Ich bin sehr pessimistisch, was den religiösen Pluralismus im Nahen Osten betrifft", sagte Professor Fabrice Balanche an einem Anlass von Christian Solidarity International (CSI) in Zürich. Balanche ist Gastwissenschaftler am renommierten Washington Institute for Near East Policy. Der religiöse Pluralismus im Nahen Osten werde von dschihadistischen Gruppen bedroht.

Weite Gebiete Syriens religiös gesäubert

Religiöse Minderheiten sind nach Balanche "die ersten Opfer" im Konflikt. "In den Gebieten, die vom Islamischen Staat oder Jabhat al-Nusra kontrolliert werden, leben keine Christen und Schiiten mehr", sagte Balanche. Es gebe noch eine kleine drusische Minderheit, die aber zum sunnitischen Islam konvertieren musste. Bereits hätten 40% der syrischen Christen das Land verlassen, während sich Alawiten und Drusen in jene Gebiete zurückzögen, in denen sie die Mehrheit stellten - die Alawiten im Westen, die Drusen im Süden Syriens. "Religiöse Minderheiten sind nun in Regierungsgebieten konzentriert, wo auch viele sunnitische Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben." Was die Zukunft des religiösen Pluralismus im Nahen Osten betreffe, sei er sehr pessimistisch.

"Der religiöse Pluralismus wurde in autoritären Staaten aufrechterhalten, die Minderheiten schützten" - Staaten, deren Führer selber religiösen Minderheiten angehörten. Balanche betonte, dass die religiösen Minderheiten aufgrund ähnlicher Beispiele in der Vergangenheit fürchteten, "ausgeschlossen oder vernichtet" zu werden, wenn ihr Schicksal in den Händen einer religiös polarisierten sunnitischen Mehrheit läge.

"Arabischer Frühling" von Anfang an auch gegen Minderheiten

Zwar hätten sozioökonomische Faktoren zum Gewaltausbruch in Syrien und im Irak beigetragen, doch spiele der Konfessionalismus eine weit wichtigere Rolle. Für die Führungselite der sunnitischen Dschihadisten und weiterer Rebellengruppen sei der Wunsch, die verlorene sunnitische Vorherrschaft wiederherzustellen, viel bedeutender als sozioökonomische Missstände.

Bereits in der Anfangsphase des "Arabischen Frühlings" 2011 sei die konfessionelle Prägung des Konflikts deutlich sichtbar gewesen, sagte Augenzeuge Balanche. Anti-Assad-Demonstrationen fanden gemäss Balanche vorwiegend in sunnitisch-muslimischen Gebieten statt, die Parolen richteten sich gleichzeitig auch gegen die Minderheiten. Es sei deshalb nicht erstaunlich, dass die syrischen Alawiten, Christen und anderen religiösen Minderheiten sich eher auf die Seite von Präsident Assad und der syrischen Regierung stellten als auf jene der sunnitisch-islamistisch dominierten Rebellen.

Wegen sunnitisch-schiitischem Kampf um Vorherrschaft Friede weit entfernt

Laut Balanche ist eine Lösung des Kriegs in weite Ferne gerückt, da die konfessionellen Spaltungen "von regionalen Mächten befeuert wurden, die ihren Einfluss in der Region ausbauen wollen". Er beschrieb den Konflikt als Stellvertreterkrieg zwischen einer sunnitischen Achse - angeführt von der Türkei und Saudi-Arabien - und einer schiitischen "iranischen Achse" und verglich ihn mit dem Dreissigjährigen Krieg in Europa vor 400 Jahren.

Balanche ging weiter auf die Rolle von Staaten ausserhalb des Nahen Ostens ein. Er kritisierte die amerikanische und französische "Besessenheit nach einem Regierungswechsel in Syrien" und ihre stillschweigende Bereitschaft, das Verschwinden der religiösen Minderheiten im Interesse ihrer politischen Ziele zu dulden.

Zum Redner

Prof. Dr. Fabrice Balanche ist Professor und Forschungsleiter an der Université Lyon 2 und Gastwissenschaftler am Washington Institute for Near East Policy. Er lebte zehn Jahre in Syrien und im Libanon.

Weitere Infos

Interview im Tages-Anzeiger: «Putin ist notfalls schnell wieder da»
www.tagesanzeiger.ch/14104895 
Video der Rede von Fabrice Balanche: 
www.middle-east-minorities.com

Zur Vortragsreihe / weitere Anlässe

Das Referat von Fabrice Balanche war Teil der CSI-Vortragsreihe zur Zukunft der religiösen Minderheiten im Nahen Osten und der erste von drei Anlässen zum fünften Jahrestag des "Arabischen Frühlings". Christian Solidarity International (CSI) warnte bereits 2011 vor einem Genozid an den religiösen Minderheiten in Nahost. Zu allen Vorträgen ist ein Video und eine zusammenfassende Medienmitteilung online: www.middle-east-minorities.com

Wir laden herzlich zu den weiteren Anlässen im Hotel Glockenhof in Zürich ein:

Mittwoch | 4. Mai 2016 | 18.00 Uhr

Buchvorstellung mit Daniel Williams 
Forsaken. The Persecution of Christians in Today's Middle East (OR 
Books, März 2016).

Dienstag | 14. Juni 2016 | 18.00 Uhr

Dr. Mariz Tadros, University of Sussex 
Ägypten nach dem "Arabischen Frühling" - die Herausforderungen eines 
gesellschaftlichen Pluralismus

Kontakt:

Adrian Hartmann
adrian.hartmann@csi-schweiz.ch
078 836 07 47

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