Digital Detox: «Eifel Sonnenschein» als Marke
Zürich (ots)
Können Sie sich vorstellen, Ihre drei Wochen Sommerferien in einem Hotel in der Eifel zu verbringen? Ja?! In einem Hotel in der Eifel, das kein WLAN hat, meist gestörten Handyempfang und im ganzen Dorf nur einen DSL-Anschluss, der nach fünfminütiger Ladezeit die Anzeige der Google-Startseite ermöglicht? Ja?! Ein bisschen Digital Detox kann ja nicht schaden ... aber ganz so radikal doch lieber nicht?
Dann geht es Ihnen wie den meisten von uns. Es ist toll, mal nicht erreichbar zu sein. Für ein paar Stunden. Ansonsten aber schätzen wir die vielen Erleichterungen, die die «Mobile-Isierung» unseres Alltags bringt: rasch den nächsten Zug anzeigen lassen, nach dem Wetter schauen, im Laden einen Preisvergleich machen, den Wellengang oder die Öffnungszeiten der Badi checken und und und. Ausserdem sind Sprach- und Schriftnotizen auf dem Mobile, die Reisekasse, das Fremdsprachenlexikon, das Navi, die Playlist, der Impfpass, der Flugschein - und es taugt ja nebenbei auch noch als Telefon, wenn man mal eines braucht. Früher ging es auch ohne. Ehrlich??! Darum verlässt manch einer die Eifel fluchtartig wieder, sobald er von ihrem WLAN-Leck erfährt.
Die Welt ändert sich rasend schnell. So schnell, dass man beim Aufstehen manchmal das Heute nicht mehr erkennt und sich bereits in der Zukunft wähnt. «Was uns morgen wichtig ist - Values & Visions 2030» hielt daher die Gesellschaft für Innovative Marktforschung GIM in einer repräsentativen Studie fest, die sie kürzlich in Zürich präsentierte. Und sie werden lachen: Was uns morgen wichtig ist, ist das Gleiche wie heute. Nur wird es 2030 andere Wege geben als heute, unseren Werten gerecht zu werden und unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Und darauf müssen Unternehmen reagieren, mit ihren Produkten, ihren Services, ihrem Branding, ihrem Marketing und ihrer Kommunikation.
Ziel der GIM-Studie war es, Werte-Aussagen zu ermitteln, mit denen Unternehmen ihre Marken, Produkte und Dienstleistungen passgenau auf die Bedürfnisse der Zielgruppen von morgen zuschneiden können, quasi als Handlungsanweisung für die Zukunft. Dafür wurden die 1000 in Deutschland befragten Experten und Bürger gebeten, einzuschätzen, wie stark sich einzelne Werte bis 2030 verändern werden, und anzugeben, wie sehr sie sich diese Veränderung wünschen. Die Aussagen der Studienteilnehmer belegen ein starkes Bedürfnis nach Familie, Heimat, Tradition, menschlicher Nähe und Gerechtigkeit - Werte, die sich einschätzungsgemäss wenig verändern werden; dem gegenüber steht eine grosse Angst vor Sicherheitsmassnahmen, die die Freiheit einschränken, vor dem Verlust der Kontrolle über persönliche Daten und technische Entwicklungen sowie vor dem Zwang, dauernd seine Individualität belegen zu müssen - Lebensbereiche, in denen starke Veränderungen erwartet werden. Bis hierher überrascht die Studie wenig; ausser vielleicht damit, dass die Einschätzung der jüngeren und der älteren Studienteilnehmer sich in allen Punkten kaum voneinander unterscheidet.
Aber: Auch Genuss, Partizipation, Verantwortung, Einfachheit, Formen der Gemeinschaft und Kreativität werden sich stark verändern, prognostizieren die Befragten. Und diese Veränderungen bewerten sie als erwünscht, denn sie eröffnen neue Möglichkeiten des Zusammenlebens und der individuellen und bewussten Daseinsgestaltung. Genau hier liegt die Chance für Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle: Sie müssen Daten und digitale Entwicklungen so einsetzen, dass Kunden neue Produkte und Services als Erleichterung und Unterstützung wahr- und annehmen, dass ihr Bedürfnis nach Einfachheit, Entlastung, Geborgenheit und Verankerung bedient wird. Kein Konsument möchte sich in den Fängen einer gemeinen Datenkrake wiederfinden, aber ein unschlagbares Angebot für die schon lang gesuchten Sneakers im Laden um die Ecke oder ein automatisch nach Hause geliefertes Deo, wenn das alte leer ist - das wäre eine Bereicherung. Smart ist das neue Big.
Unser Hotelier in der Eifel wäre also gut beraten, sein «Angebot», das aus dem Nicht-Vorhandensein von Erreichbarkeit besteht, so umzustricken, dass es zum Geschäftsmodell wird. Denn es bedient den bereits vorhandenen Wunsch nach Abschalten, in der Natur sein, Konzentration auf sich selbst bei einer klar definierten Zielgruppe. Die vermissten Informationen bekämen Datenjunkies von völlig entspannten Mitarbeitern ... Fehlt nur noch die passende Marketingstrategie, und die perfekten Ferien sind da: Eifel Sonnenschein.
Apropos: Dies ist die letzte gedruckte Werbewoche vor unserer Sommerpause. Die erste danach erscheint am 18. August. Und unser Newsletter pausiert vom 17. Juli bis 14. August. Gute Erholung!
Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin Werbewoche
Editorial der Werbewoche 12/2017, erschienen am 14. Juli 2017. Werbewoche.ch
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