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ARD-Dokumentation deckt Doping und Vertuschungsapparat in Russland auf
Aktive Sportler, Trainer und Insider packen aus

Köln (ots)

In bisher so noch nie gesehener Deutlichkeit haben Sportler, Trainer und weitere Insider vor laufender Kamera und mit zahlreichen Belegen die Reputation des diesjährigen Olympia- und künftigen Fußball-WM-Gastgebers Russland erschüttert. In der Sendung "Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht" (Mittwoch, 3. Dezember, 18.50 - 19,50 h, Das Erste) liefern etliche Beteiligte aus dem russischen Sport umfangreiche Belege über staatlich unterstütztes Doping sowie massive Korruption und Vertuschung. "Man kann seine Ziele nicht ohne Doping erreichen. Du musst dopen, so läuft es in Russland. Die Funktionäre und Trainer sagen klar, dass Du mit deinen natürlichen Voraus¬setzungen nur so und so weit kommen kannst. Um Medailen zu bekommen, brauchst Du Hilfe. Und diese Hilfe, das ist Doping. Verbotene Substanzen", sagte Vitaliy Stepanov der ARD. Stepanov war drei Jahre lang Angestellter der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA und beriet etwa den Generaldirektor. Er berichtet zum ersten Mal und offen vor der Kamera von seinen Erlebnissen.

Auch seine Ehefrau Yuliya Stepanova, eine derzeit wegen Dopings gesperrte 800-Meter-Läuferin der Weltklasse, klagt das russische Sportsystem an, viele seiner Erfolge nur durch großflächigen Betrug errungen zu haben: "Das wird den Trainern eingehämmert und die Trainer hämmern es den Athleten ein. Die Athleten denken deshalb gar nicht, wenn sie verbotene Präparate einnehmen, dass sie etwas Unrechtes tun." Und weiter: "Die Trainer nehmen ein beliebiges Mädchen, füttern sie mit Tabletten und sie läuft dann. Und morgen wird sie gesperrt und dann sagen sie, wir finden ein neues. Sie füttern sie und sagen: 'Ja, nehmt das, alle nehmen das. Nimm diese Substanzen.' Und wenn einer erwischt wird, schmeißen sie den Sportler weg und nehmen einen neuen."

Um die Vorwürfe zu belegen, hat Yuliya Stepanova zahlreiche Audio- und Videoaufnahmen unter Gefahr heimlich aufgezeichnet und diesen Datensatz der ARD zur Verfügung gestellt. So belegen die Aufzeichnungen etwa die Verstrickungen eines der Cheftrainer der russischen Leichtathleten, Alexey Melnikov, und des führenden Sportmediziners Sergey Portugalov in das Dopingvergabesystem und die Vertuschung positiver Dopingproben. Sowohl Melnikov als auch Portugalov ließen Fragen der ARD zu Dopingpraktiken unbeantwortet.

In einem der WDR-Dopingredaktion zugespielten Handyvideo berichtet auch die 800-Meter-Olympiasiegerin von London 2012, Mariya Savinova, über ihre Dopingpraktiken etwa die Einnahme des verbotenen anabolen Wirkstoffes Oxandrolon. Ihr Trainer Vladimir Kazarin wird gezeigt, wie er Tabletten mit dem Wirkstoff Oxandrolon an eine andere Athletin gibt. Alle in dem Film enthaltenen Videos und Audios liegen der ARD-Dopingredaktion im Originalton, ungeschnitten und in voller Länge vor. Auch Kazarin und Savinova reagierten nicht auf Anfragen der ARD.

Dass es trotz der offensichtlichen Einnahme verbotener Substanzen zu wenigen positiven Dopingtestergebnissen kommt, beschreibt Vitaliy Stepanov: "Es gab Zeiten in der Russischen Anti-Doping-Agentur, da haben Leute vom Ministerium, von der dortigen Anti-Doping-Abteilung angerufen und wollten wissen wer der Athlet ist, der einen positiven Test hat. Wenn es ein unbekannter Sportler war, dann war der Test halt positiv - aber wenn es jemand Berühmtes oder eine junge Medaillenhoffnung war, dann war es ein 'Fehler' und es wurde nicht weiter verfolgt." Er ergänzt: "Ich bekam ganz klar mit, dass Offizielle versucht haben sicherzustellen, dass einige Athleten erst gar nicht getestet wurden." Davon betroffen seien etwa Athleten der Sportarten Schwimmen, Radfahren, Biathlon, Leichtathletik, Gewichtheben und Ski nordisch.

In einem Interview mit der ARD weist der heutige Generaldirektor der RUSADA, Nikita Kamaev, der ins Amt kam, nachdem Vitaliy Stepanov die RUSADA verlassen hatte, alle Anschuldigungen zurück. Eine der ARD vorliegende Email rückt die RUSADA aber in zweifelhaftes Licht. In dieser fordert die RUSADA Yuliya Stepanova auf, für einen Dopingtest zu bezahlen und für diesen bei der RUSADA zu erscheinen. Dopingtests mit Ankündigung aber widersprechen den Prinzipien einer effektiven Dopingbekämpfung. Konkrete Fragen dazu wollte die RUSADA nicht beantworten.

Der staatliche Einfluß im offenkundigen Dopingsystem wird unter anderem deutlich durch einen Erlass der Regierung von 2010 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Vladimir Putin, der der ARD-Dopingredaktion vorliegt. Dieser besagt, dass der Transport und die Ausfuhr von Urin- und Blutproben durch ausländische Kontrolleure behördlich genehmigt werden muss und solche Proben an den Grenzen vom Zoll sogar geöffnet werden dürfen.

Wie sich Sportler vor Kontrollen im Ausland schützen, beschreibt etwa Yuliya Stepanova: "In einem Trainingslager in Portugal, da haben unsere Athleten einfach unter falschem Namen gewohnt. Sie haben verbotene Substanzen eingenommen, sie haben eine Dopingkur gemacht und damit die ausländischen Kontrolleure nicht kommen und sie nicht testen, haben sie falsche Namen angegeben."

Der Präsident des russischen Leichtathletikverbandes, Valentin Balakhnichev, ließ Anfragen der ARD ebenfalls unbeantwortet und verweigerte sich auch in einer Interviewsituation der Konfrontation. Dabei dürfte er, der gleichzeitig Schatzmeister des Leichtathletikweltverbandes IAAF ist, nach den Recherchen der ARD-Dopingredaktion wohl selbst in den vermutlich größten Korruptionsfall in der Geschichte der Leichtathletik verstrickt sein. Liliya Shobukhova, eine der besten Marathonläuferinnen der Welt, erkaufte sich nach eigener Darstellung in der ARD-Dokumentation gegen Zahlung von 450.000 Euro an russische Funktionäre die Teilnahme an den Olympischen Spielern 2012 in London. Zu diesem Zeitpunkt lagen dem russischen Verband bereits ihre extrem auffälligen Blutwerte der Jahre 2009 bis 2011 vor, die der Leichtathletikweltverband als Dopingverstoß gewertet hatte. Shobukhova behauptet, dass einer der russischen Leichtathletikcheftrainer, Alexey Melnikov, das Geld forderte: "Wir gaben das Geld ab und man sagte uns: 'Alles wird gut werden´."

Während der Recherchen zu der Dokumentation wurde Liliya Shobukhova Ende April 2014 doch noch vom russischen Verband gesperrt. Die IAAF selbst gibt an, dass bei Sperren aufgrund von Blutpassprofilen die Sanktionierung länger dauern kann, spricht aber im Fall von Liliya Shobukhova auch von einer signifikanten Verzögerung. Laut Angaben von Liliya Shobukhova und ihrem Mann Igor Shobukhov forderten sie das bezahlte Geld zurück. 300.000 Euro seien Ihnen tatsächlich zurück¬gezahlt worden. In der ARD-Dokumentation werden Belege gezeigt, dass der Präsident des russischen Leichtathletikverbandes, Valentin Balakhnichev, in diesen Vorgang offensichtlich involviert war. Auf konkrete Fragen dazu antwortete Balakhnichev nicht.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur zeigte sich angesichts der vorliegenden Beweise und Indizien schockiert. WADA-Generaldirektor David Howman sagte: "Die Kombination all dieser Dinge ist fürchterlich schockierend, viele Einzelheiten sind auch menschlich enttäuschend. Wenn sie die Sachen zusammenfügen und auf die Fakten schauen und das was ich gesehen und gehört habe, dann ist das natürlich schockierend. Was wir nun machen müssen ist, diese Dinge furchtlos anzugehen aber auch sicherzustellen, dass die, die schon furchtlos waren, dass die beschützt sind."

WADA-Gründungspräsident Richard Pound erklärte: "Das ist ein umfassender und extrem alarmierender Fall. Nun muss man sich darauf Antworten überlegen. Wenn etwas dieser Kategorie in einem Land organisiert wird ist das ein Riesenproblem für die Glaubwürdigkeit des internationalen Sports und die Glaubwürdigkeit der Dopingbekämpfung. Es ist grässlich zu sehen, dass es bis in einen Weltverband geht, das ist ebenso gravierend."

+++ Bitte beachten Sie: Die früher genannte Sperrfrist für die Berichterstattung über den Film ist hiermit aufgehoben.+++

Filme mit weiteren Recherchen aus Russland zu diesem Thema werden am Sonntag, 7. Dezember, in der »ARD-Sportschau« (18.00 Uhr, Das Erste) und am Montag, 8. Dezember, in der Sendung »sport inside« (22.45 Uhr, WDR-Fernsehen)

Kontakt:

Uwe-Jens Lindner
WDR Presse und Information
Telefon 0221 220 7123 uwe-jens.lindner@wdr.de

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