Die Humanität muss neu konzipiert werden (BILD)
Luzern (ots)
Die Welt ist brutaler und ungewisser geworden, doch die humanitären Werte bleiben sich gleich: Wie das IKRK mit den neuen Herausforderungen umgeht, machte IKRK-Präsident Peter Maurer am Dienstagabend im Bourbaki Panorama Luzern deutlich. Maurer war Gast der Themenmonate Menschlichkeit, die bis im Mai 2015 dauern.
Das grosse Rundgemälde im Bourbaki Panorama Luzern gilt als Mahnmal der Menschlichkeit. Es erinnert an den Februar 1871, als die Schweiz 87'000 Soldaten aus dem Deutsch-Französischen Krieg über die Grenze treten liess und ihnen Asyl gewährte. Einige Jahre vor der Entstehung des Gemäldes hatte der Genfer Henri Dunant (1828-1910) nach der verlustreichen Schlacht von Solferino (1859) erste Schritte zum Schutz der Menschen in Konfliktsituationen eingeleitet. Seine humanitäre Initiative führte schliesslich zur Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).
Das Rundbild sei von unverminderter Aktualität, sagte Peter Maurer am Dienstag Abend im Bourbaki Panorama. Es zeige, womit das IKRK jeden Tag konfrontiert sei. Allerdings hätten sich die Rahmenbedingungen heute drastisch geändert. Auf den Schlachtfeldern seien völlig neue Akteure im Einsatz: Nicht einfach klar fassbare Armeen, sondern immer mehr unstrukturierte Gruppierungen, die teilweise völlig ausserhalb der international ratifizierten Rechte und Pflichten operieren würden. Dazu komme eine enorme Bandbreite von modernen Waffen. "Die Dynamik von Extremismus und Gewalt hat eine globale Dimension angenommen."
Neue Ausgangslagen
Die veränderten Ausgangslagen fordern das IKRK in mehrfacher Hinsicht heraus. Zentral bleibe die Aufgabe des Verhandelns mit den Konfliktparteien die aber immer mehr Zeit beanspruche. "2014 haben wir mit zehn Leuten während eines halben Jahres Tausende von Stunden verhandelt, nur um in Aleppo eine grössere humanitäre Lieferung machen zu können." In den Verhandlungen versucht das IKRK die Parteien für die humanitären Anliegen zu sensibilisieren, wie sie in den Genfer Konventionen enthalten sind: Schutz für Vertriebene und Flüchtlinge, Einsatz für die Zivilbevölkerung sowie Pflege von Verwundeten und Kranken.
Die neuartigen Gewaltereignisse und vermehrt asymmetrischen Konflikte verändern sukzessive auch die Einsätze des IKRK: Laut Maurer dauern heutige Konflikte länger, sind immer mehr Menschen hilfsbedürftig und brechen ganze Systeme zusammen, weil so viele Menschen vertrieben werden und von überforderten Staaten betreut werden. Dessen ungeachtet: "Ich bin fest überzeugt, dass die humanitären Norme und Werte, die in die Gesellschaft eingebracht wurden, immer noch relevant sind", sagte Maurer. "Aber wir werden gezwungen, die ursprüngliche Art unserer humanitären Arbeit neu zu konzipieren."
Gratwanderungen und Dilemmas
Dazu gehört, dass das IKRK nicht nur Lebensmittelhilfen leistet, sondern die Bevölkerung generell unterstützt, damit sie überleben kann. Es werden Wasserversorgungssysteme errichtet und Gesundheitssysteme aufgebaut. Neben der Kriegschirurgie wird auch die Rehabilitation immer wichtiger. Die kurzfristige Hilfe wird von längeren Einsätzen abgelöst. Oft sind es Gratwanderungen, wenn es gilt, individuell zu helfen und gleichzeitig das System zu stärken oder mit Partnern zusammen zu arbeiten und gleichzeitig neutral zu bleiben.
In der anschliessenden Diskussion mit dem Publikum, die vom Historiker Daniel Speich Chassé von der Universität Luzern geleitet wurde, bekräftigte Maurer, dass die Schweiz auf internationalem Parkett in der humanitären Politik immer noch ent-scheidende Wegmarken setze. Zur innenpolitischen Sicht auf die Werte von Humanität und Völkerrecht wollte er sich nicht äussern. Wohl aber bekannte sich Maurer zu einer eingeschränkten Definition von Humanität, um sie möglichst aus dem Zugriffsbereich der Politik zu nehmen. "Humanitäre Hilfe im ursprünglichen Sinne des Wortes meint, dass wir in den Konfliktzonen unbehelligte Räume schaffen, in denen Hilfe geleistet werden kann."
Entscheidend ist für Maurer, dass das IKRK nicht die Ursache von Konflikten thematisieren kann. "Das ist eine fundamental politische Frage. Wenn sich das IKRK in diesem Bereich engagierte, würde es sich die Möglichkeit verspielen, seine Tätigkeiten ausführen zu können." Auch ein anderes Dilemma verschwieg Maurer nicht: "Würden wir alles sagen, was wir sehen, könnten wir unsere Arbeit nie in diesem Ausmass machen."
Politik, Kunst, Wissenschaft
Der Abend mit IKRK-Präsident Peter Maurer hat die Themenmonate Menschlichkeit im Bourbaki Panorama Luzern weiter in den Fokus gerückt. Mit Reto Wyss, Regierungspräsident Kanton Luzern, Stefan Roth, Stadtpräsident Luzern und Franz Wüest, Kantonsratspräsident Luzern war die höchste Politprominenz vertreten. Vor Ort waren neben Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft auch die Kunstschaffenden Max Hari, Christoffer Joergensen sowie Christoph Rütimann. Sie tragen mit ihren Arbeiten im Bourbaki Panorama zur Ausstellung und den Themenmonaten Menschlichkeit bei. Die Themenmonate dauern bis im Mai 2015 und wurden von der Stiftung Bourbaki Panorama Luzern und dem Kurator Marco Stoffel organisiert.
INFOBOX
Themenmonate Menschlichkeit im Bourbaki Panorama
Die Schweiz gilt als Hochburg der humanitären Tradition. Wie steht es heute um die Menschlichkeit? Was haben die Wissenschaft und die Kunst dazu zu sagen? Vom 8. Januar bis 8. Mai 2015 widmet sich das Bourbaki Panorama Luzern diesem Thema. Impulse liefern die vom Juristen Marco Stoffel kuratierte Ausstellung «Ein Weg der Menschlichkeit» sowie über 30 Rahmenveranstaltungen. Trägerschaft ist die Stiftung Bourbaki Panorama. www.bourbakipanorama.ch
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