Herumstochern im Hebel, Kommentar zur möglichen Schlagkraft des Euro-Rettungsschirms EFSF, von Detlef Fechtner.
Frankfurt (ots)
Europas Staatsschuldenkrise zeigt mittlerweile manisch-depressive Züge. Die Stimmung wechselt episodisch zwischen übertriebenen Erwartungen und tiefer Ernüchterung - nicht nur an den Finanzmärkten, sondern auch in der Politik.
Unmittelbar vor dem Treffen der Euro-Finanzminister ist wieder einmal die Schlagkraft des Euro-Rettungsschirms EFSF ins Blickfeld geraten. Eigentlich gibt es keine Neuigkeiten. Trotzdem wimmelt es auf dem Ticker von Meldungen - und die provozieren wechselweise neue Sorgen oder Hoffnungen.
Einige Medien haben zur Schicksalsfrage erklärt, ob es der EFSF gelingen kann, die eigene Schlagkraft auf eine Bill. Euro zu hebeln. Schließlich haben die Euro-Regierungen diese Ansage gemacht. Es gleicht fast einer Sportwette, ob diese Größenordnung nun auch gelingt. Es gibt drei Antworten. Erstens: Momentan nein. Zweitens: Demnächst vielleicht. Und drittens: Das ist eigentlich nicht spielentscheidend. So kann es doch nicht überraschen, dass es im gegenwärtigen Zustand allgemeiner Verunsicherung sogar schwierig wäre, überhaupt irgendwelche Anleihen von Problemländern zu verkaufen - egal, ob zu einem Hebel von 5 oder 4 oder 3 oder auch einem Hebelchen von 2. Andererseits wäre es voreilig, daraus ableiten zu wollen, dass die EFSF-Hebel-Optionen ohnehin niemals funktionieren. Wer behauptet, heute schon zu wissen, welchen Hebel der Euro-Schirm im Januar oder März erfolgreich wird ansetzen können, muss eine gute Glaskugel haben oder sich bemerkenswert gut aufs Herumstochern im Nebel verstehen.
Das aber führt zum dritten Punkt. Selbst wenn es dem Rettungsschirm in günstigerem Umfeld möglich sein sollte, seine Kapazität auf eine Bill. Euro auszuweiten, wird er die ursprünglich beabsichtigte Wirkung wohl kaum erzielen - nämlich die Investoren von seiner Schlagkraft zu beeindrucken. Der Schirm wird immer nur ein Teil einer Lösung sein, nie die ganze Lösung.
Die EFSF ist zwar nicht ohnmächtig, denn sie kann einen Beitrag leisten, um Zeit zu kaufen. Aber sie ist - anders als mancher erhofft hat - auch nicht allmächtig. Die Währungsunion braucht eine glaubwürdige Haushaltspolitik der Regierungen, und sie ist darauf angewiesen, dass die Zentralbank ihr Interesse an einer Zukunft im Euro signalisiert. Finanztechnik und Hebelphysik allein können Italien oder Spanien nicht vor dem Schlimmsten bewahren. Wer darauf vertraut hat, hat sich von Vornherein verrechnet. Und zwar ganz egal, ob er mit 900 Mrd. oder 1,1 Bill. kalkuliert hat.
(Börsen-Zeitung, 29.11.2011)
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