Der Dax wird teurer, Börsenkommentar "Marktplatz", von Christopher Kalbhenn.
Frankfurt (ots)
Für die meisten völlig überraschend, geht das bald endende erste Quartal des Jahres eindeutig an die Risiko-Assets. Die Risikoscheu, die die Akteure zur Jahreswende noch von mutigeren Engagements abgehalten hat, weicht zunehmend aus den Märkten. Gründe sind unter anderem die aufgrund ermutigender Daten schwindenden Rezessionsbefürchtungen, die beruhigende und erhebliche Liquidität in die Märkte bringende Wirkung der Dreijahrestender der Europäischen Zentralbank und die zumindest vorläufig gelungene Abwendung eines ungeordneten Staatsbankrotts Griechenlands. Mehr noch als die Tendenz verblüfft in vielen Marktsegmenten aber das Ausmaß der Aufwärtsbewegung. So haben die Aktienmärkte der Schwellenländer seit Jahresbeginn um 16% zugelegt, Industrieanleihen werden den Emittenten geradezu aus den Händen gerissen, und auch Hochzinspapiere sind inzwischen heiß begehrt und werfen satte Anlageerträge ab, zyklische Rohstoffe wie Kupfer und Nickel haben sich seit dem Jahresauftakt um 13% und 23% verteuert.
Herausragend ist nicht zuletzt auch die Entwicklung des Dax. Er hat um 21,4% auf 7158 Punkte zugelegt, so deutlich wie noch nie in den ersten elf Wochen eines Jahres. Damit ist er, eine bemerkenswerte Parallele zum zurückliegenden Jahr, mit Abstand der stärkste Index Westeuropas. Nur wenige Länder, darunter Ägypten, Russland, die Türkei, Ungarn und Vietnam, können stärkere Indexentwicklungen vorweisen. Seit dem Tief vom August des Vorjahres bei knapp 5000 Zählern summieren sich die Gewinne des Dax sogar auf mehr als 40%. Reihenweise haben die Marktbeobachter im Zuge dieser Entwicklung ihre Indexziele erhöht. Anfang des Jahres hatten deutsche Institute für den Dax per Ende März und zur Jahresmitte noch Durchschnittsprognosen von rund 5750 und 6050 abgegeben.
Allerdings hat die Entwicklung auch ihre Schattenseiten. Denn der Dax wird teurer - und zwar nicht nur wegen der starken Kurssteigerungen. Seit dem Jahresbeginn sind zudem die Gewinnschätzungen leicht weiter gesunken. Im Ergebnis hat sich damit das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Dax auf Basis der Konsensschätzungen von 9,3 auf 11,1 erhöht. Auf Deutsch: Um die im Dax enthaltenen deutschen Unternehmen zu kaufen, muss nun das Elffache ihres Jahresgewinns aufgewendet werden, während es zum Jahresauftakt nur ungefähr das Neunfache war. Zwar bewegt sich der Index mit einem KGV von 11 noch längst nicht im roten Bereich. Aber das Argument, dass der deutsche Aktienmarkt sehr günstig, ein Schnäppchen sei, hat an Kraft verloren. Ein ähnliches Bild liefert das Kurs-Buchwert-Verhältnis. Ende 2011 noch bei 1,2, liegt es mittlerweile bei knapp 1,5. Das zeigt bei weitem noch keine Überbewertung an; der Zehnjahresdurchschnitt von 1,54 ist damit aber nahezu erreicht.
Aus rein bewertungstechnischer Sicht hat der Markt - sofern Störfeuer seitens der Schuldenkrise ausbleibt - durchaus noch Spielraum nach oben. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der immensen Anlagen suchenden Liquidität, die an den großen Top-Staatsanleihemärkten nur indiskutable Ertragschancen vorfindet. Außerdem werden in den kommenden Monaten zunehmend die Ergebnisse des nächsten Jahres in den Überlegungen der Investoren Berücksichtigung finden. Legt man den Konsens für die Dax-Gewinne im nächsten Jahr zugrunde, ergibt sich ein KGV von knapp 10, das erst recht auf Aufwärtspotenzial hindeutet.
Wenn nur das Wörtchen wenn nicht wäre. Denn die vermutete günstige Bewertung steht und fällt mit der Ergebnisentwicklung beziehungsweise den Markterwartungen. Bislang hat sich in diesem Jahr bei den Prognosen noch nicht viel getan. Mit rund 722 Indexpunkten liegt der aggregierte Gewinn des Dax auf Basis des Konsenses für das Jahr 2012 ziemlich genau da, wo er am Jahresanfang war. Steigen die Gewinnerwartungen für das nächste Jahr, sinkt das KGV - den aktuellen Dax-Stand unterstellt - deutlich unter 10, und es eröffnet sich erhebliches Aufwärtspotenzial.
Doch das Jahr 2013 ist noch weit weg, und wie sich die Weltwirtschaft und die Unternehmensgewinne dann entwickeln werden, kann derzeit niemand einschätzen, nicht zuletzt, weil der ausufernde Interventionismus der Politik die Berechenbarkeit zusätzlich erschwert. Bei aller Freude über die prächtige Rally und das zuletzt aufgehellte Umfeld sind auch die schwelenden Risiken zu beachten, so neue Turbulenzen durch die Schuldenkrise und eine von manchen Experten befürchtete harte Landung in China.
(Börsen-Zeitung, 17.3.2012)
Kontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de