Nur ein kleiner Schritt, Kommentar zur Verdoppelung des japanischen Mehrwertsteuersatzes, von Martin Fritz.
Frankfurt (ots)
Es wurde langsam Zeit: Nach 15 Jahren des Zauderns haben Japans Politiker eine parteiübergreifende Koalition für eine Verdopplung der Mehrwertsteuer bis 2015 geschmiedet und das Gesetz tatsächlich beschlossen. Damit ist die finanzielle Zukunft der Volksrente, die zur Hälfte steuerfinanziert ist, gesichert. Zwar riskiert man mit dem großen Steuersprung einen Konjunktureinbruch. Aber in Japans stark gealterter Gesellschaft ist es wohl effektiver, eher den Verbrauch als die Einkommen zu besteuern, auch wenn dies die wenigen Jungen zugunsten der vielen Alten benachteiligt.
Premierminister Yoshihiko Noda, der mehr Führungskraft zeigt als seine fünf Vorgänger zusammen, handelt auch unter dem Eindruck der Ereignisse in Europa. Der japanische Schuldenturm von brutto 10 Bill. Euro - mehr als das Doppelte der eigenen Wirtschaftsleistung - hat sich zu einer Bedrohung für das globale Finanzsystem entwickelt. Noda beweist Verantwortungsbewusstsein, wenn er den Turm stabilisiert. Aufatmen kann die Welt dennoch nicht. Japan ist nur ein kleiner Schritt zur Vermeidung des Staatsbankrotts gelungen. Die Anleihenflut aus Tokio wird nur gebremst. Bei anhaltend schwachem Wachstum ist der japanische Haushalt frühestens in zehn Jahren ausgeglichen. Bis dahin wird die Schuldenquote auf neue Rekordwerte steigen.
Immerhin steht noch einige Jahre lang genug Kapital im Inland für neue Schulden bereit. Dafür sprechen die Rückflüsse aus Japans riesigem Auslandsvermögen sowie die enormen Rücklagen von Bevölkerung und Unternehmen. Aber es gibt berechtigte Zweifel, ob der Staat sich weiter so billig finanzieren kann wie bisher. Schon eine Verdopplung des Kupons der zehnjährigen Staatsanleihe auf 2% würde die aktuelle Bond-Blase zum Platzen bringen und den Insolvenzfall auslösen. Dafür dürfte es paradoxerweise schon genügen, dass Japan die Deflation überwindet und sein Wachstum beschleunigt.
Die Steuererhöhung ist für Politiker und Beamte der einfachste Weg, sich Zeit zu kaufen. Nun kann das Finanzministerium noch einige Jahre im alten Stil weitermachen. Um den Schwelbrand der fiskalischen Dauerkrise wirklich zu löschen, müssten die Ausgaben für Senioren gestutzt, das Dickicht der Staatsfirmen gelichtet, die Einwanderung gefördert und mehr Freihandel erlaubt werden. Stattdessen ist bei vielen Verantwortlichen eine Lust an der Depression zu beobachten. Alle wissen, dass der aktuelle Kurs auch nach dieser kleinen Korrektur immer noch in die Katastrophe führt. Trotzdem wird nichts getan.
(Börsen-Zeitung, 27.6.2012)
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