Politisierte Bank, Kommentar zur Neubesetzung der Spitze bei der britischen Großbank Barclays, von Carsten Steevens.
Frankfurt (ots)
Ob sich nun externe Kandidaten mit Investmentbankexpertise freiwillig aus dem Rennen verabschiedeten oder ob sie am Ende doch nicht erste Wahl waren: Mit der Beförderung des Leiters der Retailbankensparte, Antony Jenkins, zum neuen Konzernchef signalisiert die vom Skandal um Manipulationen der Interbankenzinssätze Libor und Euribor erschütterte britische Großbank Barclays den angekündigten Wandel in der Unternehmenskultur und in den Geschäftspraktiken. Der als bodenständig geltende Brite ist als das personifizierte Kontrastprogramm zu seinem hoch bezahlten Vorgänger zu sehen, dem amerikanischen Investmentbanker Bob Diamond, der nur 18 Monate als Vorstandsvorsitzender von Barclays amtierte und der einem Großteil der Öffentlichkeit in Großbritannien den Eindruck vermittelte, den Boden unter den Füßen verloren zu haben.
Mit der Berufung eines Retailbankers an die Spitze eines Instituts, dessen Erlöse zum überwiegenden Teil aus dem Investmentbankgeschäft stammen, beugt sich Barclays Volkes Zorn. Ein Investmentbanker, wie ihn Investoren bevorzugt hätten, erschien dieser zwar nicht teilverstaatlichten, dafür aber hochgradig politisierten Bank angesichts andauernder Ermittlungen wegen der Beteiligung an Zinsmanipulationen, wegen undurchsichtiger Gebührenzahlungen bei Kapitalerhöhungen durch das Emirat Katar und wegen anderer rufschädigender Vorfälle wohl nicht vermittelbar. Dabei ist es keine vier Jahre her - die Finanzkrise hatte damals in Großbritannien bereits zur vollständigen Verstaatlichung des regionalen Hypothekenfinanzierers Northern Rock geführt -, dass Barclays mit der Übernahme des Nordamerikageschäfts der kollabierten US-Investmentbank Lehman Brothers den Ehrgeiz erkennen ließ, weltweit um die ersten Plätze im Investment Banking mitspielen zu wollen. Und jetzt?
Die skeptische Reaktion der Börse auf die Ernennung des Diamond-Nachfolgers zeigt Ratlosigkeit an. Wie will diese Bank in Zukunft wettbewerbsfähige Renditen erreichen und auf Dauer ihre Kapitalkosten verdienen, wenn nicht vor allem über die Erträge im Anleihe-, Devisen- und Rohstoffhandel sowie in anderen Geschäften der Investmentbanksparte? Die Entscheidung für einen internen Kandidaten hat den Vorteil, dass der neue Chef keine lange Zeit zur Akklimatisierung braucht. Jenkins wird nicht nur Signale der kulturellen Läuterung senden, sondern rasch auch seine Konzernstrategie präsentieren müssen. Viel Geduld werden ihm Anleger, Kunden und Mitarbeiter kaum entgegenbringen.
(Börsen-Zeitung, 31.8.2012)
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