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Sturz von der Klippe, Kommentar zum US-Haushaltsstreit von Peter De Thier

Frankfurt (ots)

Die Uhr läuft unerbittlich, und die Wahrscheinlichkeit, dass es in Washington im bitteren Streit um die Umgehung der "Fiskalklippe" noch in letzter Sekunde einen Kompromiss gibt, wird immer geringer. Einigen sich die beiden politischen Lager, Demokraten und Republikaner, nicht, laufen zum Jahresende befristete Steuersenkungen aus. Außerdem kommt es dann zu einer gesetzlich verankerten Senkung von Staatsausgaben.

Den Kontrahenten verschließt sich offenbar, welchen massiven Schaden sie mit einem möglichen Sturz von der Klippe anrichten würden. Mit dem drohenden Stimulusentzug könnten Regierung und Opposition die weltgrößte Volkswirtschaft in die nächste Rezession stürzen. Mindestens ebenso schwer wöge dabei der Schaden für das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des politischen Systems. Eine weitere Herabstufung der US-Bonität durch die Ratingagenturen könnte folgen. Dies dürfte erst recht der Fall sein, wenn es Weißem Haus und Repräsentantenhaus auch nicht gelingt, sich auf eine Erhöhung der immer näherrückenden gesetzlichen Grenze für die US-Verschuldung zu einigen. Ökonomen fürchten bereits, dass Washington in wenigen Monaten zahlungsunfähig wird.

Doch die Fronten sind bei beiden Streitthemen festgefahren. US-Präsident Barack Obama beharrt auf seinem Plan, Besserverdienende stärker zur Kasse zu bitten, während die republikanische Opposition sich auf die Hinterbeine stellt und Steuererhöhungen selbst für Millionäre blockieren will. Bis zum Jahresende wird es bestenfalls gelingen, eine Übergangslösung zu finden, um die drohenden Steuererhöhungen für 98% aller US-Haushalte abzuwenden. Das aber wäre reines Flickwerk. Wie es nämlich gelingen soll, langfristig den wachsenden staatlichen Schuldenberg abzutragen, bleibt ein Rätsel.

Nichts gelernt

Wie kann es bloß angehen, dass nach dem Desaster im Sommer vergangenen Jahres, als der Staat vor der Pleite stand und zum ersten Mal in der Geschichte eine führende Ratingagentur amerikanische Staatsanleihen herabstufte, die Politiker nichts dazugelernt haben? Es liegt zum einen daran, dass sich beide Seiten an ideologischen Positionen festgebissen haben. Der sozialliberale Präsident versteht sich als Verteilungspolitiker. Er will dem wachsenden Einkommensgefälle zwischen den Reichen und der nach wie vor unklar definierten Mittelklasse ein Ende setzen. Republikaner hingegen weigern sich dogmatisch, höheren Steuern zuzustimmen.

Zuletzt scheiterte Oppositionschef John Boehner in seinem Bemühen, mit der höheren Besteuerung von Haushalten, die mehr als 1 Mill. Dollar im Jahr verdienen, wenigstens minimales Entgegenkommen zu signalisieren, am Widerstand der eigenen Partei. Ein weiteres Problem ist, dass das Debakel seinen Ursprung bereits vor mehr als einem Jahrzehnt hatte. Als 2001 die ersten befristeten Steuernachlässe verabschiedet wurden, über deren Verlängerung nun gestritten wird, hieß der Präsident George W. Bush. Er hatte von seinem Vorgänger Bill Clinton Haushaltsüberschüsse geerbt und wollte die Überschüsse den Steuerzahlern zurückerstatten. Doch die Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen sind längst vorbei. Aus einem Überschuss von 236 Mrd. Dollar, den Clinton seinem Nachfolger überließ, wurde ein jährlicher Fehlbetrag von mehr als 1 Bill. Dollar. Die Staatsverschuldung beträgt mehr als 100% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und bereits am Montag, das ließ US-Finanzminister Timothy Geithner am Mittwoch den Kongress wissen, wird die gesetzliche Verschuldungsgrenze ein weiteres Mal erreicht sein. Nur mit buchhalterischen Tricks kann dann die Zahlungsunfähigkeit noch ein paar Monate hinausgeschoben werden.

Affentheater

Die Lage ist ernst, doch das politische Affentheater geht weiter. Selbst um den Preis von über 3,4 Millionen Arbeitsplätzen, die nach Ansicht der unabhängigen Haushaltsbehörde CBO vernichtet würden, sollten die USA in die nächste Rezession abgleiten. An den Weltfinanzmärkten drohen heftige Turbulenzen.

Es ist unfassbar, dass es intelligenten Menschen, die ins Amt gewählt wurden, um Kompromisse zu schmieden und das Gemeinwohl über das eigene politische Dogma zu stellen, offenbar nicht gelingen will, einen Mittelweg zu finden. Die Hauptschuld trifft die Republikaner. Sie stemmen sich rigide gegen politisch tragfähige und ökonomisch sinnvolle Steuererhöhungen, denen eine klare Mehrheit der Wähler zustimmt - selbst viele von denen, die betroffen wären. Aber auch Obama hat keine blütenweiße Weste. Schließlich hat er die konkreten Vorschläge jener paritätisch besetzten Schuldenkommission, die er selbst ernannt hatte, einfach ignoriert. Damit will er der dringend notwendigen Diskussion um die Reform der gesetzlichen Ausgabenprogramme aus dem Weg gehen. Diese zum Verhandlungsgegenstand zu machen, haben die Republikaner hingegen zur Conditio sine qua non erklärt.

Wegen der festgefahrenen Positionen ist das angestrebte umfassende Haushaltsgesetz, mit dem der Grundstein gelegt werden sollte, um langfristig den Schuldenberg abzutragen, außer Reichweite. Vermutlich wird nun die Gefahr des Sturzes von der fiskalischen Klippe über den Jahreswechsel in Kauf genommen. Dann, im neuen Jahr, werden die eingetretenen Steuererhöhungen wohl rasch wieder rückgängig gemacht. Denn formal einer Steuersenkung zuzustimmen, stünde sowohl Republikanern als auch Demokraten politisch besser zu Gesicht - und leider scheint ihnen dies derzeit das einzig Wichtige zu sein.

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