Anlagenotstand, Börsenkommentar "Marktplatz", von Thorsten Kramer.
Frankfurt (ots)
Eines ist gewiss: Vergnügungssteuer wird an der Börse dieser Tage nicht fällig. Das konjunkturelle Bild trübt sich seit einigen Wochen zunehmend ein und stellt die Nerven der Marktteilnehmer auf die Probe. Viele Akteure hatten sich - wenn auch vorsichtig - seit dem Jahreswechsel auf eine Belebung der Weltwirtschaft eingestellt. Anstelle der erhofften positiven Signale erhalten sie nun aber viele enttäuschende Indikationen aus den Vereinigten Staaten und Europa, aber auch aus China - und dies in einer Zeit mit historisch niedrigen Zinsen, in der es zu Aktieninvestments im Grunde keine echte Alternative gibt. Der Anlagenotstand wird größer.
Für institutionelle Investoren spitzt sich die Lage damit weiter zu. Um die Schuldenquoten auf noch einigermaßen beherrschbaren Levels zu halten, gelten niedrige Zinsen als zwingend erforderlich; die großen Notenbanken haben sich längst mit entsprechenden Aussagen positioniert. Dies bedeutet aber auch, dass an den Anleihemärkten langfristig bei den sichersten Papieren, auf die etwa Versicherer oder Pensionskassen angewiesen sind, nichts zu holen sein wird. Im Segment für Staatsanleihen müssen Investoren schon Bonds aus der europäischen Peripherie ins Depot holen, wenn sie noch eine auskömmliche Rendite im Bereich von 4% erzielen wollen. Aber dies ist mit höheren Risiken verknüpft. Und im Segment für Firmenpapiere müssen Unternehmen mit bester Bonität schon lange keine hohen Zinsen mehr bieten, damit ihnen die Anleger das Material aus den Händen reißen. Auch hier müssen Anleger höhere Risiken akzeptieren.
Um das Kapital gegen eine schleichende Entwertung zu schützen, gehören Aktieninvestments folglich in jedes Portfolio. Das wissen auch die Anleger. Ihnen fehlt aber das Vertrauen, wie aktuelle Sentiment-Indikatoren und die anhaltend niedrigen Handelsumsätze an den Aktienmärkten zeigen. Im Dax-Handel zum Beispiel lag das Volumen vor fünf, sechs Jahren grob geschätzt um 50% höher. Die Hoffnung, dass die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken der Konjunktur doch noch auf die Sprünge hilft, hat indes zwangsläufig Bestand. Denn sollte die bereitgestellte enorm hohe Liquidität nicht dazu führen, dass sich die Perspektiven aufhellen, hätten die Investoren noch ganz andere Probleme.
In den Fokus des Interesses rückt nun die bevorstehende Ratssitzung der Europäischen Zentralbank am kommen Donnerstag in Bratislava. Eine Vielzahl von Marktteilnehmern und Analysten wettet inzwischen darauf, dass die Notenbank zusätzliche Stimuli beschließt, zumal aktuelle Wirtschaftszahlen die Schwäche der Eurozone unterstreichen.
Die Kreditvergabe an den öffentlichen Sektor blieb im März schwach: Sie sank auf Jahresfrist, wie schon im Vormonat, um 0,8%, wie die Notenbank vor dem Wochenende mitteilte. Dabei haben speziell kleine und mittelgroße Unternehmen aus den Peripherieländern Probleme bei der Finanzierung: Jede neunte Gesellschaft aus dieser Gruppe bekommt nach Notenbankangaben in der Eurozone zurzeit kein Bankdarlehen; zudem unterscheiden sich die Konditionen zwischen den Ländern erheblich. Am Freitag machten dann außerdem noch Meldungen die Runde, dass die Regierung in Madrid ihre Prognose für die Veränderung des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2013 von minus 0,5% auf minus 1,3% korrigiert.
Für Volkswirte durchaus denkbar wäre es beispielsweise, dass die Europäische Zentralbank künftig direkt Kredite an die kleinen und mittelgroßen Unternehmen vergibt. Zur Unterstützung der Konjunktur könnten die Währungshüter zudem darauf abzielen, die Zinsen im längeren Laufzeitenbereich zu drücken, in dem sie beispielsweise einen neuen Langfristtender anbieten. Entsprechende Beschlüsse dürften die Notierungen an den Aktienmärkten anschieben.
Anlagestrategen werden in der Erwartung weiterer Notenbankmaßnahmen jedenfalls nicht müde, ihre Überzeugung einer globalen konjunkturellen Belebung im Laufe des zweiten Halbjahres zu wiederholen. In der nun abgelaufenen Woche äußerten sich beispielsweise Experten der beiden Privatbanken Metzler und Sal. Oppenheim sowie der Investmentbank Goldman Sachs dementsprechend. Behalten sie recht, wird der Aktienmarkt den Investoren im Verlauf des zweiten Halbjahres sicherlich mehr Freude bereiten als derzeit.
(Börsen-Zeitung, 27.4.2013)
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