Schwellenländer in Not, Börsenkommentar "Marktplatz", von Thorsten Kramer.
Frankfurt (ots)
Die strukturelle Story in den Emerging Markets behält ihre Gültigkeit" - Schwellenländerexperten großer Vermögensverwalter im In- und Ausland werden nicht müde, Investoren auf die langfristig positiven Perspektiven in den wachstumsstarken Ländern insbesondere in Asien hinzuweisen. Nur: Ihre Botschaft zieht nicht mehr.
Besonders augenfällig werden die Zweifel der Anleger zurzeit in Indien. Galt der Subkontinent lange Zeit als einer der Hotspots, an denen ein langfristig ausgerichteter Akteur unbedingt einen Teil seines Anlagevermögens platziert haben sollte, geraten dort die Notierungen nun zusehends unter Druck. Selbst drastische Beschränkungen im Devisenhandel führten vor dem Wochenende nicht dazu, dass sich die indische Rupie stabilisierte. Im Gegenteil: Ein Dollar erreichte in der Spitze ein Niveau von 62 Rupien - so teuer ist er zuvor noch nie bezahlt worden. An der indischen Börse gerieten die Notierungen aufs Neue unter Druck. Der Leitindex BSE Sensex fiel um rund 4% und notierte somit um knapp 4,5% unter seinem Stand vom Jahresbeginn, während die Leitindizes an den großen Industriestandorten der Erde im laufenden Jahr bereits kräftige Gewinne verbuchten. Der US-Benchmarkindex kletterte bereits um knapp 17%, der EuroStoxx 50 trotz Staatsschuldenkrise immerhin um knapp 8% und der japanische Nikkei sogar um deutlich mehr als 30%.
Die Regierung in Neu-Delhi hatte zur Wochenmitte unter anderem den Import von Goldmünzen verboten. Sie zielt zugleich darauf ab, etwa die Infrastruktur schnell und nachhaltig zu verbessern, um wieder mehr Kapital aus dem Ausland anzuziehen. Zuvor hatte die indische Notenbank bereits die Zinsen für kurzfristige Kredite angehoben und indische Auslandsinvestitionen begrenzt. Die indische Konjunktur wächst derzeit mit einer Rate von 5%, also so langsam wie seit zehn Jahren nicht mehr. An den Märkten führte das dazu, dass ausländische Akteure bereits 11,6 Mrd. Dollar aus indischen Wertpapieren abzogen. Beobachter fürchten nun, dass sich die Spirale weiterdreht, sprich weitere Mittel aus dem Land herausfließen und die Rupie anhaltend unter Verkaufsdruck steht.
Auf der Suche nach renditestarken Investments war in den zurückliegenden Jahren viel billiges Geld in die wachstumsstarken Schwellenländer geflossen. Seitdem die US-Notenbank Federal Reserve eine baldige Drosselung ihrer Anleihenkäufe angedeutet hat, kehrt sich, so ist unter Marktanalysten zu hören, dieser Kapitalfluss um. Dies ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit, denn Anleger zeigen sich schon seit Längerem darüber enttäuscht, dass in Indien ebenso wie in China oder Brasilien die Wachstumsraten nicht mehr die Niveaus der zurückliegenden Jahre erreichen. Zugleich hellen sich die konjunkturellen Perspektiven in den Industrieländern nachhaltig auf, so dass viele Investoren dort nun die deutlich besseren und womöglich sichereren Renditechancen erkennen.
Zu nennen ist dabei in erster Linie die weltgrößte Volkswirtschaft USA. Dort ist freilich längst nicht alles Gold, was glänzt, wie in den zurückliegenden Tagen manche Wirtschaftsstatistik in Erinnerung gerufen hat. Doch ist dort der Erholungstrend etwa am Immobilienmarkt unverkennbar. Nicht zufällig denkt die Fed über eine Abkehr vom ultralockeren Kurs in der Geldpolitik nach. Derweil kommt auch die Konjunktur in der Eurozone in Fahrt. Die nun veröffentlichten Zahlen zum Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal werteten Volkswirte ebenso wie Anlagestrategen als Beleg dafür, dass die Region nun endlich das Thema Rezession ad acta legen kann und die Belebung mit Blick auf das neue Jahr dann richtig Fahrt aufnimmt. Hinzu kommt die anhaltende Zuversicht der Akteure mit Blick auf Japan, auch wenn dort die jüngsten Wachstumsdaten den Erwartungen nicht gerecht werden konnten. Unter Analysten überwiegt deshalb die Hoffnung, dass die Weltwirtschaft mehr Tempo aufnimmt.
Speziell an Europas Aktienmärkten, die noch als vergleichsweise günstig bewertet eingestuft werden, erkennen Anlagestrategen großer Banken Chancen für Investoren. Sie raten dabei indes dazu, sich die einzelnen Titel ganz genau anzusehen. Dabei steht der zu erwartende Gewinntrend im Fokus des Interesses. Als aussichtsreich gelten nun etwa Unternehmen mit einem hohen Geschäftsanteil in den Vereinigten Staaten. Zugleich sollten Akteure im Blick behalten, wie es um die Verschuldung eines Konzerns bestellt ist. Dort, wo Kredite oder Anleihen bald fällig werden, könnten sich die Veränderungen des Zinsniveaus in Reaktion auf die Fed-Politik nachteilig auswirken.
(Börsen-Zeitung, 17.8.2013)
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