Tiefschlag für den Ölpreis, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots)
Die Talfahrt des Ölpreises scheint kein Ende nehmen zu wollen. Nur einen Tag nachdem die als globale Benchmark dienende Nordseesorte Brent Crude erstmals seit vier Jahren unter die Marke von 80 Dollar je Barrel (159 Liter) rutschte, befand sie sich am Freitag zeitweise schon unter 77 Dollar das Fass. Das Tagestief wurde bei 76,76 Dollar festgestellt. Gegenüber dem Jahreshoch vom Juni von mehr als 115 Dollar hat sich Brent damit schon um 34% verbilligt. Eine Bodenbildung ist derzeit noch nicht erkennbar.
Grund für die Verluste am Freitag war der jüngste Ölmarktbericht der Internationalen Energieagentur IEA. Aus Finanzinvestorensicht ist der Bericht ein weiterer Tiefschlag, nachdem bereits am Mittwochabend Hinweise des saudi-arabischen Ölministers Schockwellen ausgelöst hatten. Bemerkenswert ist am Ölmarktbericht der Agentur, die die Industrieländer in Fragen der Energiepolitik berät, dass sie sich diesmal ungewöhnlich konkret zur weiteren Entwicklung des Ölpreises äußert. Was sie schreibt, ist für Anleger wenig erfreulich. Die IEA erwartet nämlich, dass der Abwärtsdruck auf den Ölpreis anhalten wird. Die Vorhersage von Angebot und Nachfrage weise darauf hin, dass sich der Preisdruck in der ersten Jahreshälfte 2015 sogar noch weiter aufbauen werde. Dabei hilft es laut IEA auch wenig, dass von der Konjunkturseite her der Tiefpunkt 2014 erreicht sein könnte und dass für das Gesamtjahr 2015 mit einer Zunahme des Ölverbrauchs im Vorjahresvergleich zu rechnen sei. Im Frühjahr kommt nämlich die saisonale Komponente hinzu. Nach der Heizperiode auf der Nordhalbkugel wird die weltweite Nachfrage deutlich zurückgehen, was im Preis unweigerlich Spuren hinterlassen wird.
Ernste Lage
Was die Nachfrageseite betrifft, so könnte die Lage noch ernster sein als bislang gedacht. Die meisten Ökonomen waren nämlich 2013/14 für die Konjunkturentwicklung in Europa und Asien zu optimistisch, und die IEA hatte sich auf den Erwartungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) aufbauend bei der Vorhersage des Ölverbrauchs deutlich nach oben verschätzt. Darin scheint ein Systemfehler zu stecken: Für Europa werden die langfristigen Auswirkungen der Politik der Haushaltssanierung, die viele Staaten zur Verarbeitung der Folgen der Finanzkrise durchführen müssen, auf Konsum und Konjunktur nach wie vor unterschätzt. Und was die konjunkturelle Abbremsung in China angeht, waren die Schätzungen ebenfalls zu zuversichtlich. Insofern bestehen Risiken wohl eher in der Richtung, dass die wirkliche Lage auch weiter schwieriger ist als vorausgesagt.
So ist es durchaus denkbar, dass die IEA ihre aktuelle Erwartung eines Anstiegs der Nachfrage im kommenden Jahr um 1,1 Mill. Barrel pro Tag (bpd) auf 93,6 Mill. bpd erneut nach unten korrigieren muss. Möglicherweise ist die Sichtweise des Förderkartells Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) realistischer. Die Opec rechnet damit, dass die Nachfrage nach ihrem Öl 2015 um rund 1 Mill. bpd auf 29,2 Mill. bpd fallen wird.
Was die Angebotsseite betrifft, so hat es aus Sicht der Finanzinvestoren weitere schlechte Nachrichten gegeben. Nach Angaben der amerikanischen Energy Information Administration (EIA) sind in der vergangenen Woche in den USA erstmals seit den siebziger Jahren wieder mehr als 9 Mill. bpd produziert worden. Dies wirft ein grelles Schlaglicht auf die von weltweiter Überproduktion gekennzeichnete Lage.
Es ist übrigens nicht zu erwarten, dass die von Saudi-Arabien verfolgte Strategie, durch den Preisrutsch die neuen nordamerikanischen Wettbewerber, die zu höheren Kosten aus unkonventionellen Quellen fördern, aus dem Markt zu drängen, von raschem Erfolg gekrönt sein wird. Die IEA hat ihre Prognose für die US-Produktion im kommenden Jahr mit Blick auf die Preisentwicklung bislang nur um rund 100000 bpd zurückgenommen. Sie geht für 2015 von einer täglichen Produktion in den USA von 9,42 Mill. Barrel aus. Das wären immer noch rund 850000 bpd mehr als 2014. Wenn die saudische Strategie Wirkung zeigt, dann wird sich der Erfolg eher mittelfristig einstellen.
Zurückhaltung der Opec
Fundamental sieht es derzeit also stark danach aus, dass sich der Preisdruck noch eine ganze Weile fortsetzt. Auf welchem Niveau die Bodenbildung stattfindet, ist derzeit schwer abzuschätzen - auch wenn klar ist, dass die Opec einen Fall ins Bodenlose nicht zulassen wird. Dass sie schon in Kürze eingreift, gilt als eher unwahrscheinlich. Auf ihrem Ölministertreffen am 27.November wird vermutlich noch nichts Wesentliches geschehen.
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