"Freier Fall in den Abgrund" – Ein Jahr nach Explosion in Beirut treibt die Wirtschaftskrise Kinder in den Hunger
"Freier Fall in den Abgrund" – Ein Jahr nach Explosion in Beirut treibt die Wirtschaftskrise Kinder in den Hunger
Zürich, 29. Juli 2021 – Gemäss der Kinderrechtsorganisation Save the Children gehen Hunderttausende Kinder im Libanon hungrig zu Bett. Ihre Eltern sind am Ende des Monats nicht mehr in der Lage, grundlegende Dinge wie Lebensmittel, Strom und Medikamente zu bezahlen.
Seit der Explosion in Beirut vor einem Jahr hat sich die finanzielle Situation für Familien drastisch verschlimmert. Eine Analyse der Kinderrechtsorganisation Save the Children ergab, dass Familien aus praktisch allen Einkommensschichten Beiruts tiefer in die Armut gerutscht sind und Kinder vermehrt arbeiten gehen müssen. Den am stärksten betroffenen, sehr armen Familien fehlen im Durchschnitt pro Monat 5,5 Millionen libanesische Pfund, um sich das Nötigste zu leisten. Dies entspricht 3'600 US-Dollar zum offiziellen Bankkurs bzw. 456 US-Dollar zum informellen, inflationsgetriebenen Kurs.
"Ein freier Fall in den Abgrund"
Najwa, eine alleinerziehende libanesische Mutter von zwei Kindern, erhält finanzielle Direktunterstützung von Save the Children. Sie sagte: "Unsere Kinder sehnen sich nach Essen – so einfach und tragisch ist das. Meine Kinder (16 und 13 Jahre alt) haben erheblich an Gewicht verloren, und die ganze Situation hat nicht nur ihre körperliche, sondern auch ihre geistige Gesundheit beeinträchtigt. Meine Eltern sind beide ältere Menschen mit chronischen Krankheiten. Mein Vater hat Krebs, und aufgrund der Situation verpassten wir einige Monate der Behandlung. Die Medikamente waren entweder nicht verfügbar oder zu teuer. Ich weiss nicht, wie lange wir diese Situation überleben werden. Monatelang haben wir gewartet und gehofft, dass es besser wird, aber alles, was wir erleben, ist ein freier Fall in den Abgrund".
Explosion, Covid-19, Wirtschaftskrise – Kinder überleben nur knapp
Am 4. August letzten Jahres verloren bei der Explosion im Hafen Beiruts über 200 Menschen ihr Leben und mehr als 7'000 wurden verletzt, wobei der Hafen sowie Tausende Häuser und Geschäfte in Beirut zerstört wurden. Die Auswirkungen der Explosion in Verbindung mit der anhaltenden Wirtschaftskrise, COVID-19 und den weltweit am stärksten gestiegenen Lebensmittelpreisen führen dazu, dass immer mehr Familien im Libanon zu verzweifelten Massnahmen greifen, die vor allem die Jüngsten und Schwächsten treffen – Kinder.
Um über die Runden zu kommen, kaufen Familien weniger und qualitativ schlechtere Lebensmittel. Oftmals ist dies nur durch Kredit oder den Verkauf von Möbeln möglich. Viele kürzen ihre Ausgaben für Gesundheit und Bildung und überleben mit Ersparnissen, geliehenem Geld oder indem sie ihre Kinder zu gefährlichen Arbeiten schicken.
"Sie überleben, aber nur knapp", sagt Jennifer Moorehead, die Länderdirektorin von Save the Children im Libanon. "Hunderttausende Kinder gehen hungrig zu Bett, oft ohne eine einzige Mahlzeit am Tag gegessen zu haben. Die Familien können sich weder den Strom für den Kühlschrank noch heisses Wasser oder die Medikamente zur Behandlung von Krankheiten leisten. Je länger diese Situation anhält, desto wahrscheinlicher ist es, dass Kinder in die Unterernährung abrutschen, was zum Tod führen kann."
Von Menschen gemachte humanitäre Krise
Der wirtschaftliche Niedergang des Libanon hat nicht nur Auswirkungen auf die finanzielle Situation von Kindern und ihren Familien. Die Armut hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Bildung der Kinder, ihre Gesundheitsversorgung, ihr Wachstum, ihre geistige Entwicklung und ihr Wohlbefinden. Säuglinge und Kleinkinder, die sich nicht gesund ernähren, sind von Unterernährung und Krankheiten bedroht.
Jennifer Moorehead weiter: "Die libanesische Regierung und die internationale Gemeinschaft müssen die Situation im Libanon als das behandeln, was sie ist – eine humanitäre Krise, die durch eine völlig zusammengebrochene Wirtschaft verursacht wird. Diese Krise ist vollständig von Menschen gemacht, also kann sie auch von Menschen rückgängig gemacht werden. Wenn das nicht geschieht, könnten Kinder jeden Tag an Hunger sterben."
Save the Children fordert die internationale Gemeinschaft auf, vorrangig Mittel für eine transparente Verteilung der Bargeldunterstützung für die bedürftigsten Familien aller Nationalitäten im Libanon bereitzustellen. Ein auf Bargeld basierendes soziales Sicherheitsnetz durch die Regierung würde die monatlichen Grundbedürfnisse der Familien decken, damit sichergestellt ist, dass die Kinder Zugang zu Nahrungsmitteln, Strom, Gesundheitsversorgung und sauberem Wasser haben und weiterhin zur Schule gehen können.
Kontakt
Fabian Emmenegger
Communications Manager
044 267 74 68
fabian.emmenegger@savethechildren.ch
Save the Children Schweiz
Jedes Kind verdient eine Zukunft – ob in der Schweiz oder auf der ganzen Welt. Mit dieser Überzeugung unterstützt der Verein Save the Children Schweiz kompromisslos und unermüdlich die am stärksten benachteiligten Kinder. In der Schweiz verwurzelt, ist Save the Children zudem seit 1919 die weltweit führende Kinderrechtsorganisation. Dank unserer lokalen Verankerung in 120 Ländern kennen wir die Situation vor Ort, passen unsere Projekte entsprechend an und können im Notfall unverzüglich helfen. Wir verändern nachhaltig und positiv das Leben von Kindern, besonders in Krisen, auf der Flucht oder in Slums.