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Media Service: Schweizer Presserat: Stellungnahme 49/2009 Parteien: Associazione Ticinese dei Giornalisti c. «Il Mattino della domenica» (Beschwerde gutgeheissen)
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Interlaken (ots)
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Respektierung der Privatsphäre
I. Sachverhalt
A. Am 9. November 2008 veröffentlichte der «Mattino della domenica» einen ganzseitigen Artikel von Chefredaktor Giuliano Bignasca mit dem Titel «Niente 13a AVS, ma 10 milioni per un ex convento». Der Lead lautete: «Se gli anziani luganesi in difficoltà economica non receveranno la gratifica natalizia, potranno ringraziare, oltro al pensionato d'oro Petro Martinelli e al superfunzioniari cantonale da 180mila Fr all'anno Martini Ro$$o, l'expartitone che, travolto dalle faide intestine, fa ostruzionismo alla Tredicesima AVS con l'unico obiettivo di fare uno sgarbo alla Lega! Eh già, per gli avvocatoni milioniari liblab le esigenze degli anziani luganesi non sono la Tredicesima AVS, ma sono 'altre'! Probabilmente nuovi campi da golf, poù gioellerie in via Nassa e un inutile polo culturale da 200 milioni!!»
Unter dem Untertitel «Non volgiono dare la Tredicesima AVS» sind Porträtbilder von Petro Martinelli, Martino Rossi sowie des Anwalts Giorgio Grandini abgedruckt. Dies zusammen mit folgender Aufforderung: «Nonni di Lugano, non avete i soldi per fare il regalo di Natale ai vostri nipoti? Telefonate a chi vuole affossare la Tredicesima AVS agli anziani che tirano la cinghia!!»
B. Am 2. Januar 2009 gelangte die Associazione Ticinese dei Giornalisti (ATG) mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Bericht des «Mattino della Domenica» an den Presserat. Die Veröffentlichung der Telefonnummern der drei im Artikel kritisierten Personen verletze deren Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»). Gemäss der Richtlinie 7.3 zur «Erklärung» hätten auch Prominente Anspruch auf Respektierung ihrer Privatsphäre.
C. Am 1. März 2009 machte Giuliano Bignasca dazu geltend: «Il 'Mattino della Domenica' è di proprietà del sottoscritto e pertanto ci scrivo quello che mi pare e piace, senza bisogno dell'autorizzazione di nessuno e men che meno dell'ATG (...) È mia intenzione continuare a pubblicare a mia totale discrezione i numeri di telefono di politicanti o di altri sedicenti personaggi publici che riterrò, sempre a mia totale discrezione, meritevoli di tale attenzione.»
D. Am 3. März 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher. Vizepräsident Edy Salmina trat von sich aus in den Ausstand.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 18. September 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Ziffer 7 der «Erklärung» lautet: «Sie respektieren die Privatsphäre der einzelnen Person, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.» Die Richtlinie 7.1 (Privatsphäre) zur «Erklärung» verdeutlicht hierzu, dass jede Person Anspruch auf den Schutz ihres Privatlebens hat. Den Gegenpol zur Privatsphäre bildet der öffentliche Raum (sog. Gemeinsphäre), wo es im Rahmen des öffentlichen Interesses erlaubt ist, über Auftritte von Personen - auch bildlich - zu berichten.
b) Die Richtlinie 7.3 (Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens) zur «Erklärung» bekräftigt ausdrücklich, dass auch Personen des öffentlichen Interesses ein Recht auf eine geschützte Privatsphäre haben. Im Gegensatz zu in der Öffentlichkeit unbekannten Personen ist bei Prominenten die Privatsphäre enger begrenzt. Sie können zudem nicht beanspruchen, dass über sie nur in einem genehmen Zusammenhang berichtet wird (Stellungnahme 52/2006).
2. Die Berichterstattung über die politische Forderung der Lega Ticinese nach Einführung einer 13. AHV-Rente bewegt sich in der öffentlichen Sphäre. Entsprechend ist es ohne weiteres zulässig, Gegner dieser Forderung, die zu den Personen des öffentlichen Lebens gehören, in diesem Zusammenhang öffentlich harsch zu kritisieren und polemisch anzugreifen.
3. Auch wenn politische Auseinandersetzungen zuweilen hart geführt werden, berechtigt dies aber auch bei Prominenten nicht dazu, in ungerechtfertigter Weise in das Privatleben einzugreifen. Der Presserat hat in der Stellungnahme 10/2007 befunden, es sei unverhältnismässig, im Zusammenhang mit einer Lärmkontroverse in der Aarauer Innenstadt, die genaue Wohnadresse einer Person zu veröffentlichen, die in diesem Zusammenhang eine Bürgermotion eingereicht hatte. Dies gelte selbst dann, wenn eine Wohnadresse bereits aufgrund des Namens und weiterer Angaben unter Umständen durch Dritte herausgefunden werden kann. Denn der Zugriff werde durch die direkte Nennung im Medienbericht wesentlich erleichtert. «Derartige Angaben bergen grundsätzlich die Gefahr unerwünschter Reaktionen.»
4. Ausgehend von diesen Überlegungen ist auch die Veröffentlichung der Telefonnummern der drei Kritisierten durch den «Mattino della domenica» offensichtlich unzulässig. Erst recht gilt dies für die damit verbundene Aufforderung zur telefonischen Belästigung, die gegen jegliche Grundsätze fairer Berichterstattung verstösst.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Der «Mattino della domenica» hat mit der Veröffentlichung des Berichts «Niente 13a AVS, ma 10 milioni per un ex convento» vom 9. November 2008 die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Respektierung der Privatsphäre) verletzt.
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