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Schweizer Presserat - Conseil suisse de la presse - Consiglio svizzero della stampa

Media Service: Schweizer Presserat Stellungnahme 54/2009 Parteien: Elpos c. «Tages-Anzeiger» Beschwerde abgewiesen

Interlaken (ots)

Wahrheitssuche / Entstellung von Tatsachen
()
vom 30. Oktober 2009
I. Sachverhalt
A. Am 28. Februar 2009 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» auf 
der Frontseite einen Bericht von Maurice Thiriet mit dem Titel 
«Ritalin-Hersteller umgehen Werbeverbot für Medikamente». Der Lead 
lautet: «Eine breit angelegte Studie zeigt, dass Selbsthilfegruppen 
für hyperaktive Kinder und Erwachsene den Verkauf des Medikaments 
Ritalin ankurbeln.» Der Bericht beruft sich auf eine Studie der 
Universität Bremen und zitiert den Studienleiter: «In 
Selbsthilfegruppen erhalten die Menschen die entsprechende Literatur 
und werden für alle Behandlungsarten sensibilisiert - auch für die 
medikamentöse. Entsprechend bewusster treten sie an die behandelnden 
Ärzte heran.»
Auch in der Schweiz existiere seit 1995 ein Netz von 
ADHS-Selbsthilfegruppen, das sich im Dachverband Elpos organisiert. 
Seither habe sich der hiesige Markt für Ritalin und ähnliche Produkte
verachtfacht. «Die Pharmafirmen unterstützen Elpos nicht direkt, 
finanzieren die Vermittlung von Know-how der medikamentösen 
Behandlung von ADHS jedoch indirekt. Ein international anerkannter 
Kinderarzt und ADHS-Experte, der mit Unterstützung der Pharmafirmen 
Weiterbildungsanlässe organisiert», sei mit Elpos eng verbunden. 
Neben Selbsthilfegruppen und Ärztekongressen nutzten die Pharmamultis
auch Massenmedien, um die Diagnose ADHS ins Bewusstsein der 
Öffentlichkeit zu rücken.
Ein weiterer Artikel zum Thema («ADHS thematisieren und Ritalin 
verkaufen») desselben Autors auf Seite 2 der gleichen Ausgabe des 
«Tages-Anzeiger» führt die Rolle der Medien näher aus. So habe die 
Ringier-Zeitschrift «Gesundheit Sprechstunde» in den letzten zwei 
Jahren sechs Beiträge zum Thema veröffentlicht. Novartis sponsere die
TV-Sendung zum Heft jährlich mit sechsstelligen Beiträgen. Der Basler
Pharmamulti habe überdies lange ein Bilderbuch vertrieben, das die 
Geschichte einer hyperaktiven Krake erzähle, die mit einer kleinen 
weissen Tablette behandelt werde. Auch Symposien und 
Weiterbildungs-veranstaltungen für Ärzte, Lehrer und Patienten fänden
regelmässig statt. «Häufig tritt Meinrad Ryffel auf, ausgewiesener 
und anerkannter ADHS-Fachmann mit Praxen in Münchenbuchsee und 
Bremgarten, wo auch seine Frau eine Praxis führt.» Den Anlass habe 
eine deutsche Firma finanziert, die einen Monat später ihr neues 
Präparat in der Schweiz auf den Markt gebracht habe. Darauf habe 
Ryffel in der Folge auch in seinem Newsletter hingewiesen. Auch bei 
anderen Chemiefirmen habe sich der Arzt für die volle oder teilweise 
Finanzierung mehrerer Anlässe bedankt. Ryffel betone, selber nichts 
an der Zusammenarbeit mit den Pharmafirmen zu verdienen. Ebenso wie 
die Pharmafirmen stünden auch die Selbsthilfegruppen von Elpos in 
Verbindung mit dem ADHS-Spezialisten. Die Sekretärin der 
Schweizerischen Fachgesellschaft ADHS sei dieselbe wie diejenige von 
Elpos. «Und das Postfach von Elpos befindet sich in Bremgarten. Dort 
wo Meinrad Ryffel und seine Frau eine Praxis betreiben.» Ryffel sehe 
zwischen dem finanziellen Engagement der Pharmafirmen an 
Ärztekongressen und dem Erfolg ihrer Medikamente keinen Zusammenhang.
«'Die Medikamente lindern das Leiden. Das ist es, was den Betroffenen
Eindruck macht.'»
B. Am 19. April 2009 gelangte Elpos Schweiz - Verein für Eltern 
und Bezugspersonen von Kindern sowie für Erwachsene mit POS/ADHS - 
mit einer Beschwerde gegen die obengenannten Berichte des 
«Tages-Anzeiger» an den Presserat. Die beiden Berichte seien 
«unglaublich unseriös» recherchiert und diffamierten die Arbeit von 
Elpos massiv. Entgegen der unwahren und verzerrenden Darstellung der 
Berichte sei Elpos eine unabhängige Selbsthilfeorganisation von 
betroffenen Eltern und mache weder Werbung für die Pharmaindustrie 
noch werde Elpos von dieser unterstützt. Zu den Aufgaben von Elpos 
gehöre es selbstverständlich, Mitglieder und Interessierte aktuell 
über das Thema zu informieren sowie den Gedankenaustausch mit 
anerkannten Fachleuten zu pflegen. Bedenke man, dass sich weniger als
100 Eltern in Gesprächsgruppen von Elpos träfen, sei es absurd zu 
behaupten, damit helfe man den Pharmafirmen, den Verkauf von 
Ritalin-Produkten anzukurbeln. Schliesslich befinde sich das Postfach
von Elpos zwar in Bremgarten. Weder Meinrad Ryffel noch seine Frau 
praktizierten aber dort.
Sinngemäss macht Elpos mit der Beschwerde geltend, durch die 
Veröffentlichung der beanstandeten Berichte habe der «Tages-Anzeiger»
die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Entstellung von Tatsachen) der 
«Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und 
Journalisten» verletzt.
C. Am 15. Juni 2009 wies die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG
vertretene Redaktion des «Tages-Anzeiger» die Beschwerde als 
unbegründet zurück. Leitthema des Artikels sei die Frage gewesen, 
welche Mechanismen den zunehmenden Ritalinverkäufen zu Grunde liegen 
könnten. Der Autor sei im Zuge seiner Recherchen zur Überzeugung 
gelangt, mit der steigenden Bekanntheit einer Diagnose nehme auch die
Bekanntheit der Behandlungsformen zu. Diese These habe er u.a. mit 
dem Beispiel des Kinderbuchs von Novartis, der TV-Sendung «Gesundheit
Sprechstunde» und der Selbsthilfegruppenorganisation Elpos gestützt. 
«Drei Kanälen also, mit denen der Bekanntheitsgrad der Diagnose ADHS 
gesteigert wurde und wird.» Wenn Elpos die Berichterstattung als 
Angriff auf ihre Selbsthilfeorganisation empfände, sei sie 
offensichtlich ausserstande, die Artikel unvoreingenommen zu lesen. 
Der «Tages-Anzeiger» behaupte nicht im Entferntesten, Elpos 
unterstütze das Geschäft der Pharmafirmen aktiv, forciere 
Medikamentenverschreibungen oder handle in irgendeiner Form unlauter.
Bei der Bremer Studie habe der «Tages-Anzeiger» gar nicht behauptet, 
dass sie sich unbesehen auf die Schweiz übertragen lasse. Der Bericht
stelle die Herkunft der Studie transparent dar und zitiere sogar den 
Novartis-Kommunikationsleiter mit der Aussage, die Studie lasse sich 
nicht «eins zu eins» auf die Schweiz übertragen. Schliesslich sei von
Dr. Meinrad Ryffel sowohl die Privatadresse als auch diejenige seiner
Praxis in Bremgarten (und zusätzlich in Münchenbuchsee) eingetragen.
D. Am 1. Juni 2009 gelangte Meinrad Ryffel in seiner Funktion als 
Co-Präsident der Schweizerischen Fachgesellschaft 
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (SFG ADHS) unter 
Bezugnahme auf die Beschwerde von Elpos an den Presserat und 
beanstandete seinerseits die aus seiner Sicht unsachliche Serie von 
«Tages-Anzeiger»-Artikeln zum Thema ADHS. Vergeblich habe er den 
Journalisten Maurice Thiriet darauf hingewiesen, eine in den Artikeln
nicht offen gelegte Informantin des «Tages-Anzeiger» sei eine 
ehemalige VPM-Aktivistin. Diese führe seit Jahren einen Feldzug gegen
die medikamentöse Behandlung der ADHS. Er erwarte vom Presserat eine 
«objektive und umfassende Untersuchung dieser journalistisch wenig 
überzeugenden Artikelserie mit Aufklärung der offensichtlichen 
Verbindungen mit dem früheren VPM».
E. Am 2. Juni 2009 wies der Presserat Meinrad Ryffel darauf hin, 
dass er nicht auf blosse Anzeige hin tätig werde. Die Beschwerde von 
Elpos richte sich einzig gegen den Artikel vom 28. Februar 2009 und 
der Presserat sehe keine Veranlassung, die ganze Artikelserie von 
sich aus aufzugreifen. Es sei der SFG ADHS aber unbenommen, eine 
eigene - von Elpos unabhängige - Beschwerde einzureichen.
F. Am 23. Juni 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die 
Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem
Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther 
Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina t.
G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 
30. Oktober 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerdeführerin sieht die Wahrheitspflicht verletzt, 
weil die beanstandeten Berichte des «Tages-Anzeiger» der Leserschaft 
fälschlicherweise suggerierten, Elpos mache aktiv Werbung für Ritalin
und unterstütze die Pharmaindustrie bzw. werde von dieser 
unterstützt. Für den Presserat ist dieser Vorwurf bei unbefangener 
Lektüre nicht erstellt. Zwar könnte aufgrund der Verwendung des Verbs
«ankurbeln» im Lead des Artikels auf der Frontseite vom 28. Februar 
2009 («Eine breit angelegte Studie zeigt, dass Selbsthilfegruppen für
hyperaktive Kinder und Erwachsene den Verkauf des Medikaments Ritalin
ankurbeln.»), tatsächlich der Eindruck entstehen, Selbsthilfegruppen 
setzten sich aktiv für die medikamentöse Behandlung von ADHS ein. Vom
Dachverband Elpos ist allerdings erst später, im Lauftext, die Rede. 
Diesem ist ausdrücklich zu entnehmen, Elpos werde von der 
Pharmaindustrie nicht direkt, sondern bloss indirekt unterstützt, 
indem Pharmafirmen Informations- und Weiterbildungsanlässe 
mitfinanzierten.
Ohnehin macht bereits der Titel «Ritalin-Hersteller umgehen 
Werbeverbot für Medikamente» deutlich, dass sich die Hauptkritik des 
Berichts gegen die Pharmaindustrie richtet. Entsprechend stehen die 
Aktivitäten von Elpos nicht im Zentrum. Der Autor vermutet - 
ausgehend vom Befund der Bremer Studie und von der starken Zunahme 
der Verschreibung von Ritalin und verwandten Medikamenten in jüngster
Zeit auch in der Schweiz -, die Informationstätigkeit von Elpos 
verstärke auch hierzulande diese Nachfrage und diene damit indirekt 
den Interessen der Pharmaindustrie.
Der Presserat hält in konstanter Praxis fest, dass aus der 
«Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver Berichterstattung» 
abzuleiten ist (vgl. hierzu zuletzt die Stellungnahmen 10 und 
52/2009). Entsprechend ist es berufsethisch zulässig, diese These in 
einem Medienbericht zu vertreten, zumal der Autor die wichtigsten 
Fakten nennt, auf denen sie beruht.
2. Soweit Elpos weiter beanstandet, Maurice Thiriet erwecke durch 
unzutreffende Adressangaben den falschen Eindruck einer engen 
Verbindung zwischen der Selbsthilfeorganisation, der Schweizerischen 
Fachgesellschaft ADHS sowie der beruflichen Tätigkeit von Dr. med. 
Meinrad Ryffel, erscheint die Beschwerde als offensichtlich 
unbegründet. Der Presserat kann das Ausmass der Zusammenarbeit 
aufgrund der ihm vorgelegten Unterlagen zwar nicht abschliessend 
beurteilen. Die bekannten Fakten deuten aber zumindest auf eine 
Zusammenarbeit hin. So sind die Postadressen von Elpos und SFG ADHS 
identisch. Meinrad Ryffel ist in directories.ch mit je einer Praxis 
in Bremgarten und Münchenbuchsee verzeichnet. In seiner Eigenschaft 
als Co-Präsident der SFG ADHS hatte Meinrad Ryffel zudem Kenntnis von
der Presseratsbeschwerde von Elpos. Unter diesen Umständen ist für 
den Presserat eine Verletzung der Ziffern 1 und/oder 3 der 
«Erklärung» durch die Thematisierung der erwähnten personellen und 
organisatorischen Verknüpfungen nicht ersteööt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Der «Tages-Anzeiger» hat mit den Artikeln «Ritalin-Hersteller 
umgehen Werbeverbot für Medikamente» und «ADHS thematisieren und 
Ritalin verkaufen» in der Ausgabe vom 28. Februar 2009 die Ziffern 1 
(Wahrheitspflicht) und 3 (Entstellung von Tatsachen) der «Erklärung 
der Pflichten und Rechte der Journalistinnen Journalisten» nicht 
verletzt.

Kontakt:

SCHWEIZER PRESSERAT
CONSEIL SUISSE DE LA PRESSE
CONSIGLIO SVIZZERO DELLA STAMPA
Sekretariat/Secrétariat:
Martin Künzi, Dr. iur., Fürsprecher
Bahnhofstrasse 5
Postfach/Case 201
3800 Interlaken
Telefon/Téléphone: 033 823 12 62
Fax: 033 823 11 18
E-Mail: info@presserat.ch
Website: http://www.presserat.ch

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