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Schweizer Presserat - Conseil suisse de la presse - Consiglio svizzero della stampa

Media Service: Schweizer Presserat Stellungnahme 55/2009 Parteien: X. c. «Tages-Anzeiger» Beschwerde abgewiesen

Interlaken (ots)

Satire
I. Sachverhalt
A. Am 12. Mai 2009 berichtete der «Tages-Anzeiger» in einem Anriss
auf der Frontseite über eine Israel-Reise von Papst Benedikt XVI. 
(«Papst Benedikt ehrt Holocaust-Opfer»). Bei seinem Besuch der 
Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem habe der Papst der sechs Millionen 
von Nazis ermordeten Juden gedacht und zum entschlossenen Kampf gegen
den Antisemitismus aufgerufen. Die Kirche fühle sich verpflichtet, 
alles zu tun, dass der Hass die Herzen der Menschen nie wieder 
erfasse. Illustriert war der Anriss mit einer Karikatur von Felix 
Schaad mit dem Titel «Schatten der Vergangenheit». Die Zeichnung 
zeigt den Papst mit einem christlichen Kreuz in der Hand. Im 
zugehörigen Schattenbild verwandelt sich das christliche Kreuz in ein
Hakenkreuz. Oben links auf der Karikatur ist der Schriftzug «Yad 
Vashem» zu lesen.
Auf der gleichen Frontseite druckte der «Tages-Anzeiger» unter dem
Titel «Papst ohne Mut und Demut» einen Kommentar von Michael Meier 
ab. Der Kommentator kritisiert, der Papst habe zwar vom Mitgefühl der
Kirche für die Opfer gesprochen, nicht aber von der Mitschuld der 
Kirche an der Katastrophe. Im Vergleich zu Johannes Paul II., der im 
Jahr 2000 den Hass von Christen gegenüber Juden gegeisselt hatte, 
habe die kurze Rede von Benedikt XVI. uninspiriert gewirkt. «Abermals
wurde spürbar, wie unwohl es dem deutschen Papst beim Thema Holocaust
ist.»
B. Am 15. Mai 2009 gelangte der katholische Diakon X. mit einer 
Beschwerde gegen den «Tages-Anzeiger» an den Presserat. Das 
Hakenkreuz in der Hand des Papstes (im Schattenbild) unterstelle 
implizit eine Verbindung zwischen dem Papst und dem Nazi-Regime. 
Diese Anspielung verstosse gegen Ziffer 8 der «Erklärung der 
Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Die 
Darstellung verletze die Würde des Papstes und das religiöse 
Empfinden katholischer Gläubiger.
C. Am 12. Juni 2009 wies die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG
vertretene Redaktion des «Tages-Anzeiger» die Beschwerde als 
unbegründet zurück. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers 
suggeriere die beanstandete Karikatur keine Verbindung zwischen 
Naziherrschaft und Papst, sondern beziehe sich eindeutig auf den 
päpstlichen Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Dies ergebe
sich sowohl aus dem Schriftzug «Yad Vashem» als auch aus dem Titel 
der Karikatur. Die Darstellung des Hakenkreuzes im Schattenbild 
symbolisiere die Naziherrschaft als Teil der deutschen Geschichte. 
«Sie bezieht sich ferner auf die Jugendjahre von Joseph Ratzinger, 
welcher in dieser Zeit aufwuchs und der Hitlerjugend angehörte. 
Gegenstand der Karikatur ist somit die Vergangenheit von Joseph 
Ratzinger, welche ihre Schatten auf den Besuch der Gedenkstätte Yad 
Vashem wirft.» Die Karikatur und der Kommentar auf der gleichen Seite
übten zwar Kritik an der Amtsführung von Papst Benedikt XVI., 
verunglimpften seine Persönlichkeit aber nicht. Ebenso wenig 
suggeriere die Karikatur eine Verbindung zwischen den 
Glaubensinhalten der katholischen Kirche und dem Nationalsozialismus.
Der «Tages-Anzeiger» übe Kritik am Papst und nicht an katholischen 
Glaubensinhalten.
D. Am 23. Juni 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die 
Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem
Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther 
Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 
3. November 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Die Freiheit von Kommentar und Kritik gilt auch gegenüber 
Kirchen und religiösen Gemeinschaften sowie gegenüber Elementen ihrer
Glaubensüberzeugungen. Satirische Beiträge zu religiösen Themen sind 
zulässig, sofern sie nicht religiöse Symbole verunglimpfen und 
lächerlich machen oder die Gefühle von Gläubigen verletzen 
(Stellungnahmen 8/1996 und 19/2002). Bei Prüfung der Frage, ob 
satirische Beiträge und Karikaturen diskriminierend wirken oder die 
Menschenwürde verletzen, ist ein grosszügiger Massstab angebracht 
(Stellungnahme 55/2008).
2. Der Papstbesuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und 
die Äusserungen von Benedikt XVI. zum Holocaust bildeten den 
Ausgangspunkt der beanstandeten Karikatur von Felix Schaad. Darauf 
deuten sowohl der Kontext der Karikatur - beide Themen werden im 
Anriss des Hauptartikels und im Kommentar von Michael Meier 
angesprochen - als auch die Schriftzüge «Schatten der Vergangenheit» 
und «Yad Vashem» hin. Der Presserat hat mehrfach darauf hingewiesen, 
dass zwischen Bildern und den sie umgebenden Texten (Bildlegenden, 
Titel usw.) ein Verweisungszusammenhang besteht. Das Bild 
verdeutlicht den Text, der Text erläutert das Bild (Stellungnahmen 
41/2000, 51/2001). Entsprechend ist die beanstandete Karikatur in 
engem Zusammenhang mit den beiden zugehörigen Texten zu sehen.
3. Hauptartikel und Kommentar kritisieren ausschliesslich 
Handlungen und Äusserungen von Papst Benedikt XVI. in seiner Funktion
als Papst. Michael Meier kritisiert in seinem Kommentar, zwar habe 
Benedikt vom Mitgefühl der Kirche für die Opfer, nicht aber von der 
Mitschuld der Kirche gesprochen. Dadurch - so wertet es der 
Kommentator - werde spürbar, wie unwohl es dem Papst beim Thema 
Holocaust sei. Die Karikatur setzt diese Kritik bildlich um. Durch 
die als solche erkennbare satirische Überzeichnung der Kritik einer 
konkreten Amtshandlung wird der Papst nicht in seinem Menschsein 
herabgesetzt. Eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» ist unter 
dem Gesichtspunkt der Menschenwürde deshalb zu verneinen.
4. Ebenso wenig folgt der Presserat dem Beschwerdeführer, soweit 
dieser das Empfinden katholischer Gläubiger durch die Karikatur 
verletzt sieht. Wie bereits in Ziffer 3 der Erwägungen ausgeführt, 
richtet sich die Kritik des «Tages-Anzeiger» gegen ein konkretes 
Verhalten des Papstes und nicht gegen katholische Glaubensinhalte. 
Der Presserat hat in der Stellungnahme 12/2006 darauf hingewiesen, 
dass Satire und Karikatur zu religiösen Themen nicht auf besondere 
Empfindlichkeiten von orthodoxen Gläubigen abzustellen hat. Eine 
diskriminierende Herabsetzung einer Religionsgemeinschaft ist zu 
verneinen, wenn ein Medienbericht lediglich Handlungen und 
Meinungsäusserungen von Verantwortlichen kritisiert, ohne diese 
Kritik zu verallgemeinern (Stellungnahme 49/2001). Die beanstandete 
Karikatur verstösst deshalb auch nicht gegen das 
Diskriminierungsverbot.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Der «Tages-Anzeiger» hat mit der Karikatur «Schatten der 
Vergangenheit» in der Ausgabe vom 12. Mai 2009 die Ziffer 8 
(Respektierung der Menschenwürde; Diskriminierung) nicht verletzt.

Kontakt:

SCHWEIZER PRESSERAT
CONSEIL SUISSE DE LA PRESSE
CONSIGLIO SVIZZERO DELLA STAMPA
Sekretariat/Secrétariat:
Martin Künzi, Dr. iur., Fürsprecher
Bahnhofstrasse 5
Postfach/Case 201
3800 Interlaken
Telefon/Téléphone: 033 823 12 62
Fax: 033 823 11 18
E-Mail: info@presserat.ch
Website: http://www.presserat.ch

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