Kommentar zur Eröffnung eines von Google finanzierten Instituts in Berlin
Berlin (ots)
Das Internet wächst und wuchert, Dienste und Angebote sprießen im Cyberspace wie Pilze aus feuchtem Waldboden. Auf Webseiten wird gepöbelt oder verunglimpft, ohne dass so ein in der Offline-Welt unakzeptables Verhalten irgendwie geahndet würde. Gerichte müssen jetzt klären, wie und ob Provider wie Google, die den Nutzern Raum im Netz zur Verfügung stellen, für solche Inhalte verantwortlich zu machen sind. Höchste Zeit, dass auch die Wissenschaft ernsthaft beginnt, quer durch die Disziplinen das Phänomen Internet und seine Folgen für die gesellschaftliche Entwicklung zu untersuchen. Dass erst der finanzielle Impuls einer Internetfirma wie Google dazu führt, in Berlin das erste themenübergreifende Forschungsinstitut zu Internet und Gesellschaft in Deutschland zu gründen, ist jedoch kein Zufall. Traditionsbehaftete Institutionen stehen immer noch ein wenig hilflos vor der digitalen Welt. Das gilt für deutsche Universitäten, die eben nicht aus eigenem Antrieb ein Institut zur Erforschung eines der wichtigsten Phänomene unserer Zeit aufgebaut haben. Den politischen Parteien führt der bunte Haufen der Piraten die neuen Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Politik mit und im Web vor Augen. Das Problem trifft aber auch die Wirtschaftsförderer. Ihre bürokratischen Abläufe sind meist viel zu langsam, um in der dynamischen Welt der Start-ups helfen zu können. Das gilt gerade in einer Stadt wie Berlin, die sich spätestens seit dem Entstehen des Web 2.0 mit seiner interaktiven Mitmach-Struktur zu einem der wichtigsten Produktionsorte für Netzangebote entwickelt hat. Hunderte kleiner und kleinster Unternehmen sind dabei, aus und mit dem Internet Geschäftsideen umzusetzen. Aus der ganzen Welt strömen kreative Geister in die Stadt, um hier in kleinen, aber von Anfang an international vernetzten Firmen zu arbeiten. An der offiziellen Stadtpolitik ist dieser Trend vollkommen vorbeigegangen. Heiße Firmen siedeln sich in Dachgeschossen in Mitte und in Kreuzberger Fabriketagen an, ohne dass die Wirtschaftsförderer davon erfahren. Die einzige nennenswerte Initiative für Netzinfrastruktur, ein kostenfreies WLAN in der ganzen Stadt, scheiterte an den Bedenken der Verwaltung, weil die Antennen die Ampelmasten verunstalteten. Im Sinne der Marktwirtschaft ist es tröstlich, dass da eine neue Branche entsteht, die nicht nach Subventionen ruft. Angelsächsische Kapitalgeber spielen eine größere Rolle als deutsche Behörden. Aber für einen neuen Senat muss es ein Ziel sein, den Aufstieg Berlins zur Internethauptstadt zu unterstützen. Wenn Verwaltungen schon wenig von den Geschäften an sich verstehen, so sollten sie doch helfen: indem Räume günstig bleiben, die Stadt ihre kreative und tolerante Atmosphäre behält und auch Internetgründer einen kurzen Draht zu unbürokratischen Beratungs- und Finanzierungsangeboten bekommen. Dazu müsste die Politik jedoch erst einmal zuhören, was die Web-Gemeinde eigentlich braucht. Das neue Institut kann hier eine wichtige Rolle übernehmen: als Mittler zwischen der Online- und der Offline-Welt.
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