Schmidts Rede, Gabriels SPD
Berlin (ots)
Es ist eine der besseren Seiten der deutschen Sozialdemokratie, dass sie am Ende doch lernfähig ist. Dass sie alle Sprüche, alle Besserwisserei, alle Sozialstaatsduseligkeit, auch alle Kleinbürgerlichkeit, die ihr innewohnt, beiseite legen und einen überzeugenden Weg einschlagen kann. Mindestens seit Gründung der Bundesrepublik ist ihr das allen Irrtümern und Narreteien zum Trotz immer wieder gelungen. Mit Willy Brandt. Mit Helmut Schmidt, diesem bemerkenswerten Staatsgreis, dem sie gestern wieder huldigte. Mit Gerhard Schröder, der sich vorerst noch selbst huldigen muss. Auch mit Müntefering, Steinmeier, Steinbrück in den Zeiten der großen Koalition unter Angela Merkel. Das war ja keine ganz schlechte Regierung, wie man mittlerweile weiß. Insofern muss sich auch niemand wundern, dass die SPD heute, gut zwei Jahre nach ihrer desaströsen Wahlniederlage, wieder einen Parteitag abhält, bei dem man sich nicht mehr fragt: Wie lange geht das noch gut mit denen? Wann lösen die sich endlich selbst auf? Sondern: Wann regieren die wieder? Und wer wird dann Kanzler? Es ist, gar kein Zweifel, zum Teil ein Verdienst des immer noch unterschätzten Parteichefs Sigmar Gabriel, dass dieser Regenerations-Prozess so zügig und ohne die üblichen selbstzerstörerischen Grabenkämpfe verläuft. Eine Integrationsleistung, vor der die Parteitagsdelegierten heute, bei den Vorstandswahlen, den Hut ziehen dürften. Sie täten jedenfalls gut daran. Einen kraftvolleren, gedankenschnelleren, umsichtigeren Bundesvorsitzenden hatte die SPD lange nicht. Dabei entwächst Gabriels größte Stärke vermutlich jener Schwäche, mit der er vor zwei Jahren ins Amt kam. Man traute dem vormaligen "Popbeauftragten" der Partei ja nicht viel zu, damals, außer großen Sprüchen und einer gewissen Prinzipienlosigkeit. Vermutlich hatte er auch selbst erheblichen Zweifel an seinem Erfolg. Vielleicht sogar Sorge, dass er es sein könnte, der die SPD endgültig in den Abgrund führt. Sie stand ja schon an der äußersten Kante. Also arbeitet Gabriel von Beginn an mit und nicht gegen Steinmeier. Also bekommt Steinbrück seinen Platz, dessen Ambition Gabriel ja auch hätte ignorieren können, ohne dass die Partei ihm das besonders übel genommen hätte. Also dampft er seine zukunftsweisende Parteireform ein, als er merkt, dass die Genossen nicht Schritt halten können mit seinem Tempo. Also pflegt er auch die zweite Reihe mit dem gewandten Thomas Oppermann an der Spitze. Holt sich Rat bei Gerhard Schröder, von dessen Agenda und Steuer-Kurs Gabriel weniger weit entfernt ist, als manch Parteifreund sich das vielleicht erhofft. Ein strammer Linkskurs, den mancher Sozialdemokrat sich noch immer wünscht in scharfer Abgrenzung zu Schwarz-Gelb, sieht jedenfalls anders aus. Einen solchen, da darf man sich sicher sein, hätte der Festredner dieses Sonntags noch nicht mal mit seiner puren Anwesenheit aufgewertet. Helmut Schmidts welt- und geschichtsschweifender Auftritt passte in das Bild einer Partei, die auf dem Weg zurück ist in die Mitte der Gesellschaft, die gefestigt ist und deren Stärke - nicht Schwäche - sich auch darin ausdrückt, dass es in ihren Reihen drei potenzielle Kanzlerkandidaten gibt. Angesichts der Instabilität ringsum, auch angesichts der Herausforderungen, die vor jedem nächsten Kanzler liegen, ist das keine schlechte Nachricht.
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