Die Kanzlerin pokert hoch - Leitartikel
Berlin (ots)
Ohne Deutschland geht derzeit nichts mehr in Europa. Ohne unser Geld wäre der Euro am Ende. Trotzdem war der Ärger über die Deutschen in Europa selten größer als heute. Man mag es nicht, wenn Berlin den Takt vorgibt. Kanzlerin Merkel sollte sich davon nicht beeindrucken lassen. Wir brauchen uns nicht wegzuducken, uns nicht zu schämen, nur weil Deutschland im Moment ziemlich alleine dasteht. Die Forderung nach harten und automatischen Strafen, nach echter Haushaltskontrolle und eiserner Disziplin ist richtig. Nur sie kann - wenn überhaupt - die Finanzmärkte davon überzeugen, dass sich etwas ändern wird in Europa, dass ein griechisches oder italienisches Schuldendrama nie wieder stattfinden wird. Derart tief greifende Änderungen lassen sich nicht eben mal durch die Änderung einer Protokollnotiz herbeiführen, wie Brüssel das gerne möchte. Dazu braucht man eine ordentliche Änderung der EU-Verträge, wie Merkel es will. Die Kanzlerin pokert hoch. Viele EU-Länder sind gegen eine Änderung, weil sie ein Scheitern oder neue Begehrlichkeiten fürchten. Berlin sollte diese Bedenken ernst nehmen und nicht - wie ein hoher Regierungsvertreter - besserwisserisch darüber urteilen. Aber am Ende sollte Merkel hart bleiben. Ihre Pläne sind besser als die weichgespülten Forderungen aus Brüssel. Klappt es dann nicht, ist das kein Beinbruch: Dann schließen eben nur die 17 Euro-Länder einen Sondervertrag, in dem sie mehr oder weniger das Gleiche festlegen. Merkel ist also in einer relativ kommoden Situation. Aber wird das alles reichen, um die Märkte zu beruhigen? Wohl nicht. Denn neben glaubwürdigen Reformen braucht Europa jetzt auch einen glaubwürdigen Rettungsschirm. Die bisherigen Rettungsgerüste reichen nicht aus. Es deutet alles darauf hin, dass die nervösen Märkte nur dann Ruhe geben, wenn die Europäische Zentralbank noch stärker einspringt und nahezu unlimitiert Anleihen von Krisenstaaten aufkauft. Merkel ist eine der wenigen, die sich dagegenstemmen. Diesen Widerstand wird sie vermutlich nicht durchhalten können. Obwohl der Preis für diese Rettungsaktion hoch sein könnte: unkalkulierbare Inflation in Deutschland in einigen Jahren. Europa steht jetzt an der Schwelle zu einer neuen Zeit. Den meisten Ländern passt der deutsche Rigorismus nicht: Sie wollen zwar eine engere Zusammenarbeit, mehr Gemeinschaft, aber nicht die deutsche Härte. Aber nur alles zusammen macht Sinn. Das mag für einige Länder ein Kulturschock sein. Das mag für die europäischen Institutionen eine unzulässige Machtverschiebung bedeuten. Es geht aber beim Gipfel nicht um Verlierer oder Gewinner, sondern um ein neues Europa. Natürlich war das "alte" Europa" eine Erfolgsgeschichte: Frieden, Freizügigkeit und Stabilitätsexport in ehemals kommunistische Länder. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, wie wir heute wissen. Europa, das war eben auch die unverantwortliche Anhäufung von Schulden, sinnlose Ausgabenpolitik und ineffiziente Wirtschaftsstrukturen in einigen Ländern. Man hat einfach weggeschaut. Damit muss Schluss sein.
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