Leitartikel
Der Regierende entdeckt die Wirtschaft
Berlin (ots)
Klaus Wowereit hat seine nunmehr vierte Regierungserklärung gehalten. An den ganz großen Emotionen fehlte es, doch der trockene Vortrag sollte nicht täuschen. Diese Erklärung ist ein Wendepunkt. Noch in keiner Grundsatzrede zuvor hat Wowereit das Gedeihen der Wirtschaft so in das Zentrum seines Regierungshandelns gestellt. Und das ist gut so. Man mag das für einen weiteren Beweis der Wandlungsfähigkeit des Regierenden halten - eben noch Klassenkämpfer jetzt Freund der Wirtschaft. Man darf es aber auch als Erkenntnis aus den Fehlern der Vergangenheit sehen. Denn all die sozialdemokratischen Chefthemen des Regierenden der Vergangenheit - seien es soziale Gerechtigkeit oder Integration, die Wowereit natürlich auch gestern erwähnte - sie lassen sich nur bewältigen, wenn die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt nach oben zeigt. Wenn Berlin nicht weiter am Tropf der anderen Bundesländer hängen will, dann muss es auf die Berliner Unternehmen setzen. Sie erwirtschaften den Wohlstand der nach wie vor armen Stadt. Eine simple Erkenntnis eigentlich, die man gern schon früher aus berufenem Munde gehört hätte. Denn so unterschiedlich wie die Hauptstadt in all ihren Facetten ist, so unterschiedlich ist auch die wirtschaftliche Entwicklung. Da gibt es die Boom-Bereiche in der Gesundheitswirtschaft, in den kreativen Branchen und an den Universitäten. Spitzenforschung erzeugt schon seit Jahren auch Spitzen-Jobs. Aber es gibt auch nach wie vor das andere Berlin: das Berlin der Armut, das Berlin der fehlenden Arbeitsplätze für Hunderttausende Geringqualifizierte. Insofern ist es richtig, wenn Rot-Schwarz nun auch für diese Menschen nicht nur einen Job im dritten Arbeitsmarkt für viel Geld schafft (ÖBS), sondern versucht, sie auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Das wichtigste Projekt nicht nur für Wowereit, sondern für die Stadt ist in diesem Jahr die Eröffnung des Hauptstadtflughafens. Wenn in Schönefeld und Umgebung wirklich die von der Politik versprochenen 40.000 neuen Arbeitsplätze entstehen, dann sind das nicht nur Jobs für Uni-Absolventen, sondern gerade auch im Dienstleistungsbereich. Nach den gestrigen Absichtserklärungen wird sich Wowereit vor allem daran messen lassen müssen, ob er es wirklich schafft, in seiner Verwaltung den Mentalitätswandel umzusetzen - weg vom staatlichen Dirigismus hin zu unternehmerfreundlichen Behörden. Es sind eben leider zu oft Berlins Ämter und Behörden, die Unternehmer immer noch zu oft bremsen und in Vergleichsstudien als wichtigster Standortnachteil der Stadt genannt werden. In den nächsten Wochen droht schon wieder das Kleinklein der Haushaltsplanaufstellung. Die Vorgaben geben wenig Spielraum: Nur um 0,3 Prozent dürfen die Ausgaben wachsen. 63 Milliarden Schulden sind ein enges Korsett für die Politik. Die CDU wird noch merken, wie schwer es ist, vor diesem Hintergrund Politik zu gestalten. Aber ein wirtschaftlicher Aufschwung ist die Grundlage dafür, dass mehr Menschen einen Job bekommen, der auch gut bezahlt wird, dass die Haushaltslage aufgrund höherer Steuereinnahmen besser wird und dass man sich damit wieder einen politischen Spielraum ermöglicht.
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