Endlich: Neustart bei Fackelschein - Leitartikel von Marius Schneider
Berlin (ots)
Rituale des Abschieds haben eine heilende Wirkung. Vor allem Kinderpsychologen und Kirchenmenschen wissen das. Doch wenn Rituale in der Öffentlichkeit ablaufen, sodass Bilder entstehen, die alle sehen können, steht diese Wirkung der Heilung auf dem Prüfstand. Auch beim Großen Zapfenstreich: viel Ritual, viel archaisches Brimborium, meist auch hübsche Bilder mit Helmen und Fackeln und einem (tragischen) Helden, die ihre eigene Geschichte davon erzählen, wer da geht und was er hinterlässt. Guttenbergs bübisches Glucksen, als die Bundesblechbläser "Smoke On The Water" spielen, Köhlers und Schröders feuchte Augen, als sie "ihr Lied" hören - den "Saint Louis Blues" der eine, "I Did It My Way" der andere. In diesen Szenen verdichtet sich noch einmal, was vorher passiert ist: Abwahl, Rücktritt, Scheitern. Der Kreuzungspunkt von Bedeutung des Amtes und persönlichem Schicksal. Manchmal auch das Gefühl der verletzten Eitelkeit, weil man nun halt doch gehen muss - viel Tragik mit Trommelwirbel. Jetzt also Wulff. Und mithin die Frage: Ist auch dieser Abschied heilsam? Über die Würde des Amtes und die Würdelosigkeit des Amtsinhabers ist viel geschrieben und gestritten worden. Beides kam an diesem Abend vor dem Schloss Bellevue noch einmal fast schmerzlich nah zusammen: Da steht einer, der die Geduldsgrenze vieler Bürger deutlich überdehnt hat - und die Soldaten salutieren. Doch genau deshalb ist dieses Ritual des Abschieds so wichtig und richtig: Es ist vorbei, lautet die Botschaft - endlich, möchte man anfügen. Endlich ist es nun Zeit, die Dinge wieder an den Ort zu stellen, wo sie hingehören: Die weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft werden juristisch das aufarbeiten, was juristisch auf dem Tisch liegt, inklusive Unschuldsvermutung bis zum endgültigen Urteil - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und die Wahl des neuen Bundespräsidenten wird es uns politisch hoffentlich ermöglichen, das aufzuarbeiten, was uns der Fall Wulff auch politisch hinterlässt. Das ist zuallererst die Wiedererweckung der Autorität eines Amtes, das diese Republik braucht: einen Bundespräsidenten, der eben nicht direkt gewählt wird, mit all den medial verstärkten Vereinfachungen, Versprechungen und Anbiederungen, die so ein Wahlkampf eben mit sich bringt. Sondern ein Verfassungsorgan, das seine Unabhängigkeit mit der Kraft des Wortes und der Qualität überparteilicher und gesamtgesellschaftlicher Gedanken ausfüllen muss. Dazu gehört aber zweitens auch die wichtigste inhaltliche Botschaft, die Christian Wulff in seiner knappen Amtszeit hatte: die Zukunft einer bürgerlichen Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung, in der die Frage nach der Stellung des Islam auf die Tagesordnung gehört. Christian Wulff hat dies wie kein Bundespräsident vor ihm klar benannt - zuletzt in seiner Abschiedsrede gestern Abend. Und seine Frage ist, wie man vor allem auch in Berlin jeden Tag sehen kann, noch keinesfalls befriedigend beantwortet. Der Neuanfang ist also wichtig. Er wird möglich durch das Ritual des Endes. Die Bilder der letzten Nacht geben das sichtbare Zeichen dieses Neustarts. Ab heute sollte er endlich beginnen.
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