Alle Storys
Folgen
Keine Story von BERLINER MORGENPOST mehr verpassen.

BERLINER MORGENPOST

Gesunde Skepsis der Richter
Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Berlin (ots)

Den Klägern sei Dank, den Verfassungsrichtern großer Dank. Denn auch wenn Deutschlands höchstes Gericht die Klagen abgewiesen hat, sorgt der Urteilsspruch für Klarheit und Beruhigung: In der Politik, in der Euro-Zone und auf den Finanzmärkten. Der Euro-Rettungsschirm ist mit dem Grundgesetz und damit mit den parlamentarischen Grundsätzen vereinbar. Aber er hat auch Grenzen. Die schreiben die Richter in aller Deutlichkeit vor und entkräften damit die in Deutschland sich immer weiter ausbreitende Sorge, ja Angst, in ein Fass ohne Boden einzahlen zu müssen. Bei der bislang vereinbarten Haftungsgrenze von 190 Milliarden Euro ist Schluss. Es sei denn, der Bundestag beschließt etwas anderes. Damit bekräftigen die Richter wie schon im Lissabon-Urteil die Rechte des Parlaments. Insbesondere bezüglich eines europäischen Einigungsprozesses, der sich mehr und mehr unter Umgehung, ja Missachtung der nationalen Parlamente, im konkreten Fall des Bundestags vollzieht. Ohne den Gang nach Karlsruhe hätte es diese neuen parlamentarischen und damit demokratischen Leitplanken nicht gegeben.

Aus dem Richterspruch, der ja erst nur ein vorläufiger, aber gewiss schon ein wegweisender ist, lässt sich noch etwas anderes herauslesen. Nämlich die ziemlich große Skepsis der Richter gegenüber der Vertragstreue innerhalb der EU. Davon kündet die Auflage, der ESM-Rettungsschirm sei für Deutschland nur bindend, wenn die Haftungsgrenze völkerrechtlich abgesichert wird. Das bedeutet, alle Euro-Mitglieder haben anzuerkennen, dass Deutschlands Haftung die vereinbarte Summe nicht übersteigen darf. In welcher Form das geschehen soll, lassen die Richter offen. Aber ihr Verdikt ist klar. Genährt wohl auch aus der Erfahrung, dass es in der EU zur schlechten Gewohnheit geworden ist, es mit dem, was gemeinsam vereinbart worden ist, nicht besonders genau zu nehmen. Auch Deutschland hat da schwer gesündigt und die Stabilitätsgrenzen verletzt. Aber wir haben hoffentlich gelernt. Das müssen nun auch jene Südländer, die insgeheim gehofft haben mögen, Deutschland weiter zur Kasse zu zwingen, um sich ihr Finanzlotterleben bezahlen zu lassen. Wie ernst es die Karlsruher Richter meinen, machen sie zudem mit der Auflage deutlich, der deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat dürfe ohne Absprache mit Bundestag und Bundesrat nichts entscheiden. Damit ist die Horrorvorstellung, dass sich die Euro-Zone zu einer Haftungsunion entwickelt, beseitigt. Deshalb ist der gestrige Tag ein guter für alle, die es ernst meinen mit einem Europa, das weder von der Brüsseler Bürokratie dominiert noch von den Regierungschefs manipuliert wird. Sondern das demokratisch legitimiert ist und auf das sich die Bürger verlassen können.

Das wird die beschworene Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion nicht leichter machen. Die gegenwärtige tiefe Krise hat zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. Nur wenn nationale Eigeninteressen durch konkretes Handeln aller überwunden werden, kann Vertrauen zurückgewonnen werden. Ohne das wird Europa weiter vor sich hinsiechen.

Kontakt:

BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
  • 12.09.2012 – 00:12

    Nicht der elegante Weg /Leitartikel von Hajo Schumacher

    Berlin (ots) - Wie bearbeitet die klassische deutsche First Ladyein öffentliches Geraune? Über Johannes Rau war Bösartiges im Umlauf. Christina Rau hat weise geschwiegen. Oder Eva Julia Köhler. Sie hätte abrechnen können mit Kanzlerin und Medien. Würdevolle Ruhe. Und wie hätte eine Dame von Welt pikanteGerüchte mit Stil gekontert? Sie hätte beiläufig erwähnt, dass ihre eine Hure mit Herz allemal lieber sei als ...

  • 10.09.2012 – 20:47

    Großprojekt? Keine Hexerei / Leitartikel von Thomas Fülling

    Berlin (ots) - Am Berliner Flughafen Schönefeld beginnt am heutigen Dienstag die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA). Das ist nach all den peinlichen Terminverschiebungen und Kostenexplosionen am BER eine wirklich gute Nachricht. Nicht nur, weil in Selchow innerhalb von nur zwei Jahren ein komplett neues Messegelände entstanden ist. Die modernen Hallen und das großzügige Freigelände werden trotz des ...

  • 08.09.2012 – 21:58

    Die richtige Entscheidung / Leitartikel von Christine Richter

    Berlin (ots) - Es ist dann doch ganz schnell gegangen: Die Berliner Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz bat am Sonnabend um ihre Entlassung. Nach nur neun Monaten im Amt. Und auf Druck von CDU-Landeschef Frank Henkel - auch wenn sie das öffentlich nicht sagte. Es ist, ob freiwillig oder nicht ganz freiwillig, die richtige Entscheidung. Sybille von Obernitz ist von Beginn an in ihrem Amt nicht klar gekommen. Zum ...