Besuch zur falschen Zeit Jochim Stoltenberg über die Griechenlandreise von Bundeskanzlerin Angela Merkel
Berlin (ots)
Es ist der erste Besuch der Bundeskanzlerin in Athen, seit Griechenlands langjährige Bilanz-, Haushalts- und Vertragsmanipulatoren vor drei Jahren mehr oder minder Insolvenz angemeldet haben. Warum sich Frau Merkel ausgerechnet jetzt in das emotionsgeladene Hellas aufmacht, erschließt sich nicht so recht. Wäre sie früher gefahren, bevor die Griechen fast ausnahmslos sie für das Desaster im Lande verantwortlich gemacht haben, hätte sie durch Aufklärung über Sinn, Hoffnung und Wirkung der bislang nicht gerade kleinlichen Finanzhilfen in Höhe von rund 360 Milliarden Euro vielleicht mehr Verständnis für die Rolle der europäischen Partner, allen voran Deutschlands, gewinnen können. Aber ausgerechnet jetzt, da alle Griechen wie selbstverständlich auf die nächste 31,5-Milliarden-Euro-Tranche setzen? Die aber bleibt so lange ungewiss, bis die Prüfer der Troika zustimmen. Doch die Vertreter der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds sollen einmal mehr erhebliche Zweifel haben, ob die unter stärkstem innenpolitischem Druck stehende griechische Regierung alle Sparauflagen als Voraussetzung für die Auszahlung tatsächlich erfüllt hat. Im November, wenn die Troika ihr Ergebnis vorlegen will, wird die nächste Stunde der Wahrheit schlagen. Nicht allein für die Griechen. Deren Volksseele kocht schon jetzt. Massenproteste, die Griechenlands Hauptstadt gar ins Chaos stürzen können, werden befürchtet, wenn heute die Kanzlerin als zahlungskräftigste, für die meisten Hellenen aber auch geizigste und machthungrigste Regierungschefin Europas in Athen aufkreuzt. Was also will sie, was kann sie unter der Akropolis erreichen? Sie wolle, so das Kanzleramt, den Griechen Solidarität bekunden und Mut machen, den Reformkurs als Voraussetzung für die nächsten Finanztransfers fortzusetzen. Das wird weder der griechischen Regierung noch dem Volk reichen. Beide wollen mehr. Nämlich Zusagen, dass die Sparauflagen gestreckt und die nächsten Milliarden unabhängig vom Troika-Votum fließen. Soll der Besuch also Enttäuschung, Frust und Wut nicht weiter vertiefen, müsste Frau Merkel zumindest ein kleines Gastgeschenk im Gepäck haben. Nicht auszuschließen, dass die Kanzlerin dies zumindest im Sinn hatte. Dafür spricht die barsche Mahnung ihres Finanzministers Wolfgang Schäuble vor ihrem Flug nach Athen und seinem gen Asien. Der Besuch sei kein Signal dafür, dass Griechenland schon jetzt mit weiteren Hilfszahlungen rechnen dürfe, allein die Erfüllung aller Sparauflagen sichere den nächsten Kredit, Wirtschaft und Finanzen seien so in Ordnung zu bringen, damit das Land spätestens ab 2020 wieder auf eigenen Füßen steht, bekräftigte Schäuble. Tönt so der wichtigste Minister der Kanzlerin, wenn er keinen Zweifel am Einknicken seiner Chefin hätte? Er hatte wohl. Und recht hat er auch, dass es das Ergebnis der Troika abzuwarten gilt, ehe Griechenland und seine Partner über die weitere Zukunft - eine gemeinsame oder gar eine getrennte - nachdenken. Deshalb wäre es klüger gewesen, die Kanzlerin hätte mit ihrem ersten Besuch noch etwas länger gewartet.
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