Wichtiger als gute Geschäfte Jochim Stoltenberg über das deutsch-russische Verhältnis und den Besuch der Kanzlerin bei Wladimir Putin
Berlin (ots)
Sie haben etwas von enttäuschter Liebe, zumindest von Erwartung, die trog, die deutsch-russischen Beziehungen. Nach dem Ende des Kalten Krieges, nach Maueröffnung, Zustimmung zur Wiedervereinigung und Abzug ihrer Soldaten hofften die Russen, dass ihnen im Gegenzug die Tore gen Westen weit aufgestoßen würden. Quasi als Dank für das historisch einmalige Ereignis, dass eine Siegermacht freiwillig das Feld räumt. Wir Deutschen andererseits verbanden mit Gorbatschows Glasnost- und Perestroika-Politik und anschließend mit Boris Jelzins Abschaffung der Staatswirtschaft die Perspektive, Russland würde sich zu einer offenen demokratischen Gesellschaft hin entwickeln. Gut 20 Jahre später hat sich beides als Träumerei entpuppt. Und die Verantwortung dafür tragen beide Seiten. Die Abkühlung zwischen Berlin und Moskau ist besonders spürbar, seit Wladimir Putin das Zepter schwingt. Aus Enttäuschung über angeblich mangelnden Respekt seitens der Europäer und einer Partnerschaft, in der die Russen nicht so dominieren können, wie sie es gern täten, versucht der Kreml-Chef, sein Land zu alter Macht zurückzuführen. Auch, indem er die zarten Anfänge demokratischer Entwicklungen samt dem Entstehen einer Zivilgesellschaft brutal zu ersticken versucht. Auf deutscher Seite befeuert das die Kritik am System Putin. Bis hin zu der vom Bundestag beschlossenen Resolution, die die demokratischen Missstände in Russland anprangert - unmittelbar vor dem Moskau-Besuch der Bundeskanzlerin samt großer Regierungsdelegation. Es war also ein höchst kompliziertes Umfeld, in dem sich Wladimir Putin und Angela Merkel gestern im Kreml trafen. Zumal auch ihr persönliches Verhältnis ein eher gestörtes ist. Statt Süßholz zu raspeln, ist es in einer solch verdrückten Lage ratsamer, Klartext zu reden. Das hat die Kanzlerin offenkundig getan. Sie hat die Repression gegen Oppositionelle wie die Sängerinnen der Punkgruppe Pussy Riot ebenso kritisiert wie die verschärften Hochverratsgesetze und das Gesetz zur Registrierung von Nichtregierungsorganisationen als "ausländische Agenten". Putin zeigte sich davon erwartungsgemäß zwar wenig beeindruckt. Aber entscheidend ist: Die Kanzlerin hat deutlich gemacht, dass es neben verlässlich guten Wirtschaftsbeziehungen auch noch gesellschaftspolitische Werte gibt, deren Einhaltung den Grad der Gesamtbeziehungen zwischen beiden Ländern bestimmen. Es ist genau diese Erkenntnis, die den Petersburger Dialog als russisches Diskussionsforum zur Stärkung der Zivilgesellschaften so wichtig macht. Er bleibt der Ort, an dem offen und ungefährdet über Missstände in den Entwicklungen hin zu mehr Demokratie diskutiert werden darf. Dass auch Putin zusammen mit der Kanzlerin das Forum mit seiner Präsenz beehrte, signalisiert zumindest, dass er diesen einen Ort der freien Aussprache respektiert.
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