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Ein Desaster für Berlin Leitartikel von Joachim Fahrun über den Mikrozensus und die Folgen für den Landeshaushalt

Berlin (ots)

An Warnungen hatte es Berlins Finanzsenator seit Monaten nicht fehlen lassen. Wenn der Zensus vorliege, werde das zu Einnahmeverlusten führen, hatte Ulrich Nußbaum (parteilos, für die SPD) zuletzt in seine Ausblicke auf die finanzielle Zukunft der Stadt geschrieben. Dass es aber derartig schlimm kommen würde, ist dann doch ein Schock.

Nun kann sicherlich auch der lokalpatriotische Berliner damit leben, dass seine Metropole eben doch noch nicht in den Club der Städte mit mehr als dreieinhalb Millionen Einwohnern zurückgekehrt ist. Aber auch der Zensus hat ergeben, dass die Einwohnerzahl in der letzten Zeit deutlich gewachsen ist und Berlin mit seiner Dynamik an der Spitze aller Bundesländer liegt. Aber für die ohnehin angespannte Haushaltslage sind die knapp 180.000 Einwohner, die statistisch mit einem Mal verloren gegangen sind, eine Katastrophe.

Eine knappe halbe Milliarde Euro wird die Stadt nun pro Jahr weniger aus dem Länderfinanzausgleich bekommen, der immerhin jeden sechsten Euro in den Landesetat bringt. Weil die Berechnungen ab dem Zensus-Stichtag vom Mai 2011 neu zu erstellen sind, muss Berlin auch fast eine Milliarde Euro für 2012 und 2013 zurückzahlen. Selbst wenn der Finanzsenator bisher für das laufende Jahr von stark steigenden Steuereinnahmen ausgehen kann, ist klar: Ein ausgeglichener Haushalt für 2013 ist kaum mehr zu schaffen.

Dem Finanzsenator liefern die Ergebnisse der Volkszählung vor dem im Juni geplanten Senatsbeschluss zum Haushaltsplan 2014/15 ein paar gute Argumente, Forderungen der anderen Senatoren abzuwehren. Eine halbe Milliarde Euro dauerhaft weniger Einnahmen, das entspricht fast der Hälfte aller Ausgaben für Kitas oder zwei Dritteln der Kosten der Kultur. Berlin erlebt jetzt schon einen Vorgeschmack auf die Zeit nach 2019. Denn dann läuft das System des Länderfinanzausgleichs aus. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass die zahlungsunwilligen Südländer die Berliner dann weniger üppig alimentieren werden als bisher.

An den Problemen der Stadt ändert sich jedoch wenig, weil statistisch 180.000 Einwohner verschwunden sind. Der Wohnungsleerstand ist auch im Zensus nicht gerade üppig, die Integrationsprobleme einiger Zuwanderer und der Bildungsnotstand in vielen Schulen schrumpfen nicht, weil 100.000 Ausländer doch nicht in Berlin leben.

Angesichts der horrenden Dimensionen der Fehlannahmen müssen sich Statistiker und Meldeämter nun kritische Fragen gefallen lassen. 180.000 Menschen, die es offiziell nicht gibt, sind fast so viele wie Spandau Einwohner hat. Es ist ja noch nachvollziehbar, dass sich nicht alle Menschen abmelden, wenn sie wegziehen. Aber man fragt sich, wie es sein kann, dass die Behörden von 40.000 mehr Wohnungen ausgegangen sind als nun gezählt wurden. So zeigt der Zensus erneut, dass Statistiken eben doch mit Vorsicht zu genießen sind. Und dass es als Hilfsmittel für Politik und Verwaltung nötig ist, genauer hinzuschauen und sich nicht nur auf Rechenmodelle zu verlassen.

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