Der Zukunft zugewandt Leitartikel von Rainer Haubrich über das neue Berliner Schloss und die Chancen für die Stadt.
Berlin (ots)
Es wird wieder rekonstruiert in Deutschland. Dresden machte mit seiner 2005 vollendeten Frauenkirche den Anfang, Braunschweig baute sein Schloss genauso wieder auf wie jüngst Hannover. Potsdam hat sein Stadtschloss fast vollendet, die Garnisonkirche soll folgen. Selbst Frankfurt am Main, stolz auf seine Skyline, rekonstruierte jüngst das Palais Thurn und Taxis und die Stadtbibliothek und geht nun an den Wiederaufbau von Teilen der Altstadt.
Wenn der Bundespräsident heute den Grundstein für die Rekonstruktion des Berliner Schlosses legt, handelt es sich hier also keineswegs um eine Extravaganz der Hauptstadt. Der Wiederaufbau folgt einer großen Zeitströmung. Was ihn von anderen unterscheidet, sind nicht nur die Dimensionen des Barockbauwerks. Es ist vor allem die völlig neue Bestimmung des Gebäudes als Humboldt-Forum. In der Tradition des Bildungsideals und der Neugier auf die Welt, für die die Gebrüder Humboldt stehen, soll hier ein Haus der Weltkulturen entstehen - mit den Berliner Sammlungen außereuropäischer Kunst, mit einer Bibliothek und einem Veranstaltungszentrum. Das Äußere schaut zurück in die Geschichte, das Innere weit voraus ins globalisierte 21. Jahrhundert.
Diese Doppelgesichtigkeit des Projekts führt dazu, dass es zwischen den Fronten zweier kulturpolitischer Lager steht, die sich jeweils nur zur Hälfte damit identifizieren. Weite Teile des traditionsorientierten Bürgertums ersehnen die prächtige Hohenzollernresidenz und hätten dort gern ein Preußenmuseum und die Berliner Gemäldegalerie untergebracht. Der Gedanke, dass hier künftig "Inka-Töpfe" oder Südsee-Einbäume gleichberechtigt Nofretete oder Caspar David Friedrich auf der Museumsinsel gegenübergestellt werden sollen, hat für dieses Milieu wenig Reiz. Die Multikulti-Avantgarde wiederum fiebert dem Ort der Weltkulturen entgegen, hätte hier aber lieber eine gläserne, flimmernde oder bizarr geformte Architektur gesehen.
Dabei ist es gerade die vom Bundestag 2002 mit Zweidrittelmehrheit beschlossene Mischung, die das Projekt so einzigartig macht: Einerseits kehrt mit dem Schloss von Andreas Schlüter ein Bauwerk von europäischem Rang zurück, das Berlins Mitte zusammenhielt; andererseits wird die Museumsinsel erweitert um Meisterwerke aus China, Indien, Japan, Afrika, Lateinamerika und Polynesien. Künftig wird dann die Kunst fast aller Zeiten und Weltregionen zu sehen sein.
Die Verbindung von historischer Gebäudehülle und modernem Inhalt hat in Berlin schon einmal gut funktioniert: beim Reichstagsgebäude. Warum sollte es beim Berliner Schloss nicht auch gelingen? Es kehrt in hellem Sandstein zurück, mit einem zeitgenössischen Inneren. Und auch hier werden die Besucher auf dem Dach im Schatten der Kuppel einen Kaffee trinken können. Von diesem Ort aus wurde einst Preußen und zuletzt das "Ruhelose Reich" der Deutschen regiert. In Zukunft sucht hier ein in sich ruhendes, der Zukunft zugewandtes Deutschland den Austausch mit der ganzen Welt.
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