Suche nach der Mehrheit Leitartikel von Jochim Stoltenberg über die schwierige Bildung der nächsten Bundesregierung.
Berlin (ots)
Die Lage ist vertrackt. Je länger der Wahlsonntag Vergangenheit ist, desto glanzloser wird Angela Merkels doch eigentlich strahlender Sieg. Alle zieren sich, mit der mächtigen Frau anzubandeln. Demokratisch ist es nicht. Bislang galt, dass jeder gern regieren will; je nach Wählerwillen auch als Juniorpartner. Parteien wollen gestalten, zumindest mitgestalten.
Franz Müntefering hat ja recht: Opposition ist Mist. Dafür tritt keine Partei im Wahlkampf an. Aber der ist ja erst eine Woche vorbei. Deshalb ist noch alles Spekulation. Noch müssen CDU und CSU überlegen, wie sie ihren Sieg in Regierungsmacht umsetzen. SPD und Grüne müssen ihren Frust über das erneute Votum des Volkes gegen sie abarbeiten. Erst dann wird bei einem von ihnen die Einsicht einkehren, dass in einer Demokratie das Interesse des Landes Vorrang hat vor dem der Partei; dass Verweigerung die demokratischen Spielregeln verletzt. Die SPD hat mit ihrer Bereitschaft zu Sondierungsgesprächen mit der Union einen ersten vorsichtigen Schritt getan. Die Grünen mit ihrer Neulings-Führungscrew scheinen überfordert, jetzt den historischen Schwenk zu den Schwarzen zu wagen. Eine Minderheitsregierung Merkel schließlich wäre ein unverantwortliches Vabanquespiel. Allein politisches Spielmaterial ist in dieser Phase des gegenseitigen Abtastens eine rot-rot-grüne Koalition.
Wahlprogramme sind Wunschkataloge der Parteien, keine Dogmen. Die Versprechungen werden zwangsläufig in vom Wähler erzwungenen Koalitionen relativiert. Die CDU hat dennoch einen taktischen Fehler gemacht, als sie Steuererhöhungen zur Diskussion stellte, statt darüber erst in echten Verhandlungen zu pokern. Aber wäre das wirklich auch Wahlbetrug? Beharren auf der reinen Parteilehre würde Koalitionen ausschließen. Und wie war das eigentlich bei der Wahl 2005? Da hatte die SPD gegen Merkels Ankündigung polemisiert, die Mehrwertsteuer um zwei Punkte zu erhöhen. Als die große Koalition stand, waren es drei Punkte mehr. So sind Koalitionsverhandlungen. Wer das für undemokratisch hält, muss ein anderes Wahlrecht fordern. Nicht etwa die Herabsetzung der Fünfprozenthürde, sondern das Mehrheitswahlrecht. Mit ihm schafft der Wähler klare Mehrheiten und erlaubt dem Regierungschef, sein Programm kompromisslos abzuarbeiten. Doch dafür gibt es in Deutschland überhaupt keine Mehrheit.
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