Dem Rechtsstaat dient hier keiner
Leitartikel von Hajo Schumacher
Berlin (ots)
Ob sich Sebastian Edathy an eine Grenze wagte, von der sich Politiker mit Karriereplänen fernhalten sollten oder ob es sich um den Einstieg zu Strafbarem handelte, wird womöglich nie zu klären sein. Fest steht nur, dass sein Ruf ruiniert ist. Und die Karriere von Hans-Peter Friedrich gleich mit. Aber erlebt Deutschland deswegen eine Staatsaffäre? Mitnichten. Im Gegenteil: Es herrscht politischer Alltag. Der Edathy-Skandal gibt uns die Chance, für einen Moment hinter den Vorhang medialer Inszenierungen blicken zu dürfen. Berliner Politik, so lehrt der Fall, besteht offenkundig aus Hysterie und Illoyalität, aus Eseleien und Gequatsche, Misstrauen und Häme. Es handelt sich dabei nicht um Systemversagen, sondern um das System selbst.
Da haut ein Abgeordneter offenbar von Panik gepackt sein bisheriges Leben in Stücke, weil er ahnt, dass nichts zu retten ist. Da tratscht ein Innenminister nach einem undurchschaubaren Kumpelprinzip. Fortan verbreitet sich ein Gerücht, das durch den Hinweis "streng vertraulich" erst richtig spannend wird. Da versetzt die SPD einer - zu Recht - als lästig empfundenen CSU einen wirkungsvollen Nackenschlag. Die Bayern werden sich rächen, das ist klar. Am Ende traut fast keiner keinem, was die Kanzlerin seit jeher vorlebt. Und in Rekordzeit ist diese Koalition angelangt, wo ihre Vorgängerinnen steckten - in der Normalität einer Klimakatastrophe.
Einige Fragen hätte der Bürger dennoch gern beantwortet: Warum informiert der Innenminister nicht seine Chefin, zumindest aber den Kanzleramtsminister oder den Bundestagspräsidenten? Und vor allem: Warum hat Friedrich seinem CSU-Chef nichts erzählt? Ziemlich beste Feinde? Viel Unklares auch auf der anderen Seite: Hatte Edathy einen Wink der Genossen überhaupt gebraucht? Im Sommer 2013, als bekannt wurde, wie weit das Netz der NSA reicht, dass von der US-Botschaft aus Kanzleramt und Regierungsviertel ausgespäht werden, hätte jeder Kinderporno-Kunde seine Festplatten demolieren müssen. Und was genau treibt die Staatsanwaltschaft Hannover, die sich im Wulff-Prozess den Vorwurf des Übereifers gefallen lassen musste? Wenn erste Hinweise Anfang November kamen, wenn Edathys Anwalt Ende des Monats nachhorchte, warum warten die Fahnder ein Vierteljahr bis sie Rechner sicherstellen? Es bleibt der Eindruck, dass jeder Akteur seine eigenen Interessen verfolgte, von denen leider keine dem Rechtsstaat dient.
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