Futter für die Landespolitik/ Ein Leitartikel von Andreas Abel
Berlin (ots)
Berlin - was ist das eigentlich? In sozialer Hinsicht kein Gemeinwesen mit Nuancen, vielmehr ein Flickenteppich mit gewaltigen, schroffen Unterschieden. In dieser Massierung sind sie nirgendwo in Deutschland größer. Zwischen der Thielallee oder dem Messelpark in Dahlem und dem Moritz- oder dem Wassertorplatz in Kreuzberg liegen Welten. Die Differenzen in der Sozialstruktur sind so groß, dass man kaum noch von vergleichbaren Lebensräumen sprechen kann. Ist das tatsächlich dieselbe Stadt?
Das mag auf den ersten Blick wenig überraschen. Befasst man sich aber intensiver mit dem neuen Berliner Sozialstrukturatlas, offenbaren sich viele Details, die neu und aufschlussreich sind. Wichtig sind sie allemal. Diese Fleißarbeit aus dem Hause des Gesundheits- und Sozialsenators Mario Czaja ist keine wissenschaftliche Spielerei. Sie lenkt ausdrücklich den Blick auf Aufgaben der Politik und Verwaltung, versteht sich als "handlungsorientiert". Das ist ein richtiger Ansatz. Versorgung in der Pflege, Verteilung der Arztpraxen, Gesundheitsvorsorge: all das muss wohnortnah sein, damit es funktioniert. Und es muss bedarfsgerecht sein, damit es bezahlbar bleibt. Ähnliches gilt für die Planung von Kitas und Schulen und natürlich auch von Wohnungen. Der Atlas sollte also nicht nur Grundlage in Czajas Verwaltung selbst, sondern tunlichst überall im Senat sein.
Die Daten- und Analysesammlung erfüllt aber noch einen weiteren Zweck: Sie zeigt im Längsschnitt der vergangenen zehn Jahre, also im Vergleich mit den Daten der Berichte von 2003 und 2008, ganz präzise und detailreich, wie Berlin sich verändert hat. Und wo. Zum Guten wie zum Schlechten. Die Bezirke Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg haben sich in dieser Zeit sozial ungemein verbessert und im Ranking nach vorne geschoben. Das ist das Ergebnis der Gentrifizierung - mit all ihren Verwerfungen und kritikwürdigen Veränderungen. Das Auf und Ab der Bezirke ist kaum durch die Politik des Senats gesteuert worden, hier wirkten andere Faktoren stärker. Dennoch wäre es falsch, daraus eine Lizenz zum Nichtstun abzuleiten. Politik muss diese Veränderungen beobachten und auch eingreifen: Ungleichgewichte abbauen, Tendenzen erkennen und in der Planung berücksichtigen. Das hat nichts mit Dirigismus zu tun, viel mehr mit einer Stadt der Vielfalt, die eben nicht zur Stadt der sozialen Rivalitäten werden soll.
Der Kommentar im Internet: www.morgenpost.de/125313385
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