Juncker wird es/ Ein Leitartikel von Jochim Stoltenberg
Berlin (ots)
Sie hätte ihr Bekenntnis zur Kür des künftigen EU-Kommissionspräsidenten wohl gern noch ein bisschen hinausgeschoben. Nicht etwa in der heimlichen Hoffnung, Jean-Claude Juncker am Ende vielleicht doch noch zu verhindern. Vielmehr eingedenk des taktischen Kalküls, Zeit zu gewinnen. Mit dem Ziel, mit den 28 Staats- und Regierungschefs (EU-Rat) einen möglichst einvernehmlichen Vorschlag für die Person des nächsten Präsidenten zu finden. Nachfolger des Portugiesen Barroso wird nämlich nicht automatisch der Sieger der Parlamentswahl, wie es in den letzten Tagen suggeriert und vorlaut verlangt wurde.
Nach dem EU-Vertrag sind es die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedsländer, die einen Vorschlag für den Kommissionspräsidenten machen. Dabei haben sie allerdings das Wahlergebnis zu berücksichtigen und erst am Ende muss das Parlament zustimmen. Wer einen Automatismus im konkreten Fall zugunsten Junckers einfordert, nimmt einmal mehr die Verträge der EU nicht besonders ernst. Davor gilt es angesichts böser Erfahrungen immer wieder zu warnen.
Gesetze wie Verträge werden beschlossen und geschlossen, um einer Gesellschaft oder Organisation einen verlässlichen Rahmen und damit Halt zu geben. Sie sind folglich einzuhalten. Das gilt natürlich auch auf allen EU-Ebenen. Die Europäische Union ist in ihre tiefe Sinnkrise getaumelt, weil sie ihre eigenen Verträge gebrochen hat. Angefangen hat es mit der Verletzung des Maastricht-Vertrags zum Werterhalt des Euro durch Deutschland; Griechenland wurde in den Euro-Klub aufgenommen, obwohl es die Kriterien nicht erfüllte; oder zuletzt wurden Bulgarien und Rumänien aus politischen Gründen EU-Mitglieder, ohne den vertraglichen Voraussetzungen gerecht zu werden.
Mit ihrer Offenbarung wollte die Kanzlerin offensichtlich den immer lauter werdenden Verdacht entkräften, sie wolle das Wählervotum vom vergangenen Sonntag ignorieren. Auch wenn es nun für sie noch schwieriger wird, die Juncker-Gegner in Großbritannien, Ungarn, Schweden und Finnland zu bekehren, kann seit gestern als sicher gelten: Der nächste EU-Kommissionspräsident heißt Jean-Claude Juncker. Ihn wird der Rat vertragskonform vorschlagen, dann wird das Parlament ihn gemäß des Wahlergebnisses bestätigen. So ist es konsequent. Alles andere wäre auch ein Desaster für Demokratieverständnis und Vertragstreue in Europa.
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