Hamburger Abendblatt zum Mindestlohn
Hamburg (ots)
Ein Kommentar von Karsten Kammholz
Der Bundeskanzlerin wird die Eigenschaft nachgesagt, eigene Festlegungen möglichst lange vor sich her zu schieben. In konkreten Streitfeldern beobachtet Angela Merkel lieber sämtliche Strömungen und Meinungen ausgiebig, um sich dafür am Ende sicher zu sein, mit ihrer Entscheidung die Mehrheit hinter sich zu wissen. In der Mindestlohnfrage ist es nicht anders. Erst jetzt, zwei Wochen vor dem Leipziger Parteitag, öffnet sich die CDU-Chefin den Forderungen des Arbeitnehmerflügels nach Lohnuntergrenzen in allen Branchen. Merkel wird es nicht bereuen, ihren langjährigen Widerstand aufzugeben. Eine Regierungspartei - zumal mit einem C im Namen - sollte nicht nur stolz darauf verweisen, wie sie die Arbeitslosigkeit klein hält. Sie sollte auch darauf hinarbeiten, gerechte Löhne zu ermöglichen. In diesem Punkt aber stellen amtliche Quellen der Politik ein miserables Zeugnis aus: Mehr als jede dritte Frau und nahezu jeder zweite Jugendliche unter 25 Jahre arbeitet mittlerweile unterhalb der Niedriglohnschwelle. Jobs zu finden, ist nicht mehr die dringlichste Sorge auf dem Arbeitsmarkt. Fürs Arbeiten genügend Geld zu bekommen, stellt das wahre Problem dar. Die Idee, eine Kommission aus Gewerkschaften, Arbeitgebern und Wissenschaftlern Vorschläge für branchenspezifische Mindestlöhne erarbeiten zu lassen, ist dennoch sinnvoller als die Festlegung auf einen politisch bestimmten, flächendeckenden Mindestlohn: zum einen, weil in Ländern wie Frankreich und Spanien der verbindliche Mindestlohn für die hohe Jugendarbeitslosigkeit mitverantwortlich gemacht wird und der deutschen Politik daher eine Warnung sein sollte, zum anderen, weil Parteien nicht die besseren Tarifpartner sind. Je unabhängiger die angedachte Lohnfindungskommission arbeiten kann, desto sachlicher kann sie im Dienste der Arbeitnehmer handeln. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 sollte die zaudernde Merkel ein Interesse daran haben, ein solches Gremium noch in dieser Legislaturperiode ins Leben zu rufen. Den Wählern könnte so ein erneuter Überbietungswettbewerb der Parteien über Mindestlohnforderungen erspart bleiben.
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