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Hamburg (ots)

Leitartikel Hamburger Abendblatt

Freispruch erster Klasse

Ein Kommentar von Matthias Iken

Am Ende des Kesseltreibens herrscht betretenes Schweigen. Das Gericht hat Christian Wulff, der vor zwei Jahren von einem Sturm der Empörung aus dem Amt des Bundespräsidenten gefegt wurde, freigesprochen. Es ist ein Freispruch erster Klasse - "für die erlittenen Durchsuchungen" steht dem Niedersachsen eine Entschädigung zu. Für das ehemalige Staatsoberhaupt ist es ein Moment des Triumphs, für den Rest der Republik ein Moment der Demut und des Innehaltens.

Die Staatsanwaltschaft etwa hatte sich zuletzt in ihrem starren Festhalten an der Anklage fast schon blamiert. Von der Fülle der Vorwürfe - von der Annahme eines Kredites unter Freunden, Gratisurlauben und Vergünstigungen - war am Ende wenig, ja lächerlich wenig übrig geblieben. Am Ende ging es um ein Hähnchen und ein Glas Sekt: Der Vorwurf "Korruption", der nach Schweizer Konten und Schwarzen Kassen klingt, war zusammengeschnurrt auf eine Oktoberfest-Verköstigung durch den Filmmanager David Groenewold. Deshalb, so der fast schon groteske Vorwurf der Ankläger, habe Wulff sich später für den Film Groenewolds stark gemacht. Man muss extrem unbedarft in politischen Fragen sein, um einen solchen Zusammenhang zu konstruieren.

Innehalten sollten auch die Medien - die Causa Wulff war kein Ruhmesblatt, auch nicht für den Verfasser dieser Zeilen. Am Anfang standen berechtigte Fragen, Recherchen, die zur Arbeit der Journalisten unbedingt dazugehören. Mehr und mehr aber hat sich in der Medienrepublik die Jagd nach der Nachricht in eine Treibjagd auf den Präsidenten verwandelt. Und weil jeder mitschießen wollte, landeten die seltsamsten Treffer auf Nachrichten-Seiten, in Zeitungsspalten und Fernsehschirmen. Deutschland diskutierte ernsthaft, ob ein geschenktes Bobbycar für den Präsidentensohn nicht den Tatbestand der Korruption erfülle. Und empörte sich über die Tatsache, dass die Wulffs für Übernachtungen bei Freunden nicht 150 Euro bezahlten. Welch Bigotterie.

Die Facebook-Demokratie ist im Fall Wulff an ihre Grenzen gestoßen. Es gibt Fragen, die etwas komplexer sind, als dass sie sich mit gefällt mir oder gefällt mir nicht beantworten lassen. Nicht alles, was missfällt, taugt gleich zum Skandal: Christian Wulff hat zweifellos viele Fehler begangen, hat zu langsam und zu defensiv auf Vorwürfe reagiert, hat sich in seiner selbstverliebten Art angreifbar gemacht. Im Schloss Bellevue drängte sich der Eindruck auf, das Amt sei eine Nummer zu groß für den Rechtsanwalt aus Osnabrück.

Maßlos aber war die Empörung über seine Vergehen. Und fast alle stimmten ein - ohne Rücksicht auf das Amt und das Bild der Politik insgesamt. Um sich selbst ins Licht zu rücken, waren viele Parteifreunde und Gegner bereit, das Ansehen der Berliner Republik weiter zu ramponieren. Sigmar Gabriel etwa sprach der "Type im Bundespräsidialamt" sogar das Recht auf den Zapfenstreich ab; Claudia Roth zürnte über einen spießigen, kleinbürgerlichen, weinerlichen "Schnäppchenjäger".

Auch viele Bürger haben sich in dieser Causa nicht mit Ruhm bekleckert. Demonstranten warfen mit Schuhen, als sei ein Despot ins Schloss Bellevue eingezogen; Protestierer überdröhnten noch den Zapfenstreich mit Vuvuzelas, pfiffen mit Trillerpfeifen und brüllten "Schande".

Die Schande, das zeigt das Urteil des Hannoveraner Landgerichts, aber ist eine andere. Christian Wulff hilft das wenig - er bekam die Höchststrafe, bevor das Gericht geurteilt hat. Er verlor sein Amt, seine Frau, seine Ehre. Immerhin hält die Republik nun kurz inne. Vielleicht zieht sie sogar Lehren aus dem Fall Wulffs. Die nächste Aufregung sollte eine Nummer kleiner, die nächste Empörung schwächer, die nächste Treibjagd ganz ausfallen. Urteile sollten nicht Medien, Oppositionelle oder Wutbürger fällen, sondern Gerichte.

Kontakt:

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Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de

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