New York! Der entfesselte William Klein
Ein Dokument
Nach acht Jahren in Europa kehrt William Klein 1954 und 26-jährig in seine Geburtsstadt zurück. New York ist ihm vertraut und doch fremd. Die Stadt, in der er sich einst ausgeschlossen gefühlt hat, hat sich stark verändert. Er beschliesst, New York radikal neu zu erfassen – subjektiv, intuitiv und mit unerwarteten Perspektiven. Er porträtiert die boomende Metropole, die Stadt von Coca-Cola, Wall Street, grossen Autos und blinkenden Reklametafeln als einen dunklen, rauen und bedrückenden Ort – und schafft seine berühmteste und zugleich einflussreichste Arbeit: das Fotobuch „New York 1954–1955“. Er gestaltet das Buch als vielleicht erster Fotograf integral selbst: in Fotografie, Typografie, Layout, Umschlaggestaltung, Text. Es gilt als ein Meilenstein der Fotografiegeschichte, welches die Fotografie aus ihrem engen konventionellen Korsett befreit hat.
Die Photobastei zeigt eine Auswahl von 130 Bildern aus dem Buch in einer Ausstellung vom 12. September bis 3. November in Zürich.
William Klein war der Sohn immigrierter Juden. Er studierte zunächst Soziologie und leistete dann seinen Militärdienst. Am 13. Juli 1947 besuchte er zum ersten Mal Paris (als GI). Wenig später trat er in das Atelier von André Lhote (wie Henri Cartier-Bresson), dann in das Atelier von Fernand Léger ein. Seit der Amerikaner nach Paris kam, suchte er das Experiment. Er hat verschiedene künstlerische Genres – Malerei, Fotografie und Film – ausprobiert, immer erfüllt von grosser Neugier und Lebensenergie. Früh beobachtete er den Einfluss der Massenmedien und ihre Auswirkungen auf eine konsumorientiere Gesellschaft. Sowohl in seiner Street Photography als auch in seinen späteren Filmen setzte Klein sich für die Rechte der Afroamerikaner ein.
New York fühlte sich für Klein nach acht Jahren in Europa vertraut und zugleich fremd an. Eine Welt von McCarthy, und Marilyn Monroe, von Elvis und Ausschweifungen, eine Welt mit Wasserstoffbomben, McDonalds und vielen Versprechungen des Kapitalismus. New York war lauter, schneller, heller und paranoider, ängstlicher und verlassener geworden. Er streifte einige Monate durch die Stadt und fotografierte, was er überall fand. Gruppen von Menschen, die abhängen, Fassaden, Schilder, Beerdigungen, Uptown, Downtown, Sport, Arbeit, Freizeit, Polizisten, Ganoven und überall die lebendige Kakophonie des Kommerzes. Es gab Schmutz und brodelnde Spannungen, aber auch Freude, Menschlichkeit und gute Laune. Kleins Fotos zeigen New York ungeschminkt, als einen Ort des Rassismus, der Armut, der Aggression und als einen Ort, an dem es sich die Reichen sehr öffentlich sehr gut gehen lassen.
Er durchstreifte New York und entschied sich ein Buch zu gestalten, welches bahnbrechend werden würde.
„Ich hatte eine merkwürdige Art von doppeltem Blick, der eine war jener des Parisers, der andere jener unverbesserliche Blick des Klugscheissers aus New York. Mir war klar, dass der Kulturschock, den ich verspürte, irgendwann abklingen würde, also ging ich in die Stadt und fotografierte ununterbrochen, und zwar buchstäblich aus Rache. Ich hatte eine Ader getroffen, ich musste das Buch machen, alles, was ich als Maler gelernt hatte, mit meiner eigenen New Yorker Verrücktheit verbinden und loslassen. Ich sah das Buch als eine durchgedrehte Boulevardzeitung, ekelhaft, überfärbt, brutales Layout, mit schreienden Schlagzeilen.
Als armes Kind fühlte ich mich von diesem brillanten Big Apple ausgeschlossen und war sauer. Als ich zurückkam, stellte ich fest, dass New York eher ein Bratklops war, und jubelte [....]. Was mich Minute für Minute erstaunte, war, dass alles zum Mitnehmen da war. Zeichen, Mantel, Gesicht, Blick.. Ich sah das Buch im Sucher: Das ist eine Doppelseite - diese Zeitungstitel, aufgereiht an einem Kiosk, die GUN GUN GUN, wiederholen. Es war alles so offensichtlich und auch, alles so einfach verfügbar. Ich hatte die vorgetäuschte Objektivität und die unsichtbare Kameraethik satt. Ich beschloss, sichtbar zu sein, einzugreifen und es zu zeigen. Anklänge an Brecht, aber auch an einen distanzierten Paparazzi.“
Klein selber urteilte nicht, aber sehr wohl die Fotografie selbst. Sein Stil ist direkt, mit starken Kontrasten, verschwommenen Konturen und Bewegungsunschärfen - kompromisslos, risikobereit und abseits gängiger Konventionen. Damit steht er in völligem Gegensatz zu der technisch perfekten, ästhetisch ausgerichteten Fotografie der 1950er-Jahre. Seine rücksichtslose und forsche Bildgestaltung war eine sehr bewusste Zerschlagung aller Konventionen der "guten Fotografie".
«Aktuelle fotografische Bücher versetzen mich in Schlaf - ein sakrales Bild auf der rechten Seite, eine leere Seite auf der linken. Unantastbar, akademisch, langweilig.»
Viele Fotograf:innen entschieden sich dafür, ihr Medium ausschliesslich als Bildkunst zu betrachten, die sich von der grafischen Kunst unterscheidet. Sie verliessen sich auf Redakteure und Designer, die ihnen bei der Gestaltung ihrer Bücher halfen. Klein war der erste, der damit brach. New York war in jeder Hinsicht seine Produktion und eine Provokation: in Fotografie, Typografie, Layout, Umschlaggestaltung, Text.
Kein Wunder wollte in den USA kein Verlag diese ungeschminkte Sicht auf Amerika drucken. Diese Kartoffel war zu heiss für ein Amerika, das gerade den Krieg gewonnen hatte und in welcher sich eine grosse Mittelschicht mit ihren eigenen Idealen von Familie, Auto, Kühlschrank und Waschmaschine ausbildete. Es wurde von den grossen New Yorker Verlagen als zu grob und antiamerikanisch abgelehnt. Die Fotografie Kleins war ihnen zu radikal!
Das Buch wurde schliesslich und nur in Europa gedruckt, zuerst in Frankreich, dann in Italien und England. Es gewann den französische Fotobuchpreis Prix Nadar und gefühlt jeder und jede amerikanische Fotograf:in hatte (und hat) ein Exemplar bei sich zu Hause. Es gilt heute als eines der einflussreichsten Fotobücher. Kleins Fotoarbeit und Buch haben frischen Wind in die Fotografie und v.a. die Dunkelkammer gebracht hat.
Die Ausstellung in der Photobastei in Zürich zeigt eine Auswahl von 130 Bildern aus dem Buch New York 1954.55. Life is Good and Good for You is New York: Trance Witness Revels vom 12. September bis 3. November.
William Klein (19. April 1926 in New York; † 10. September 2022 in Paris)
wird New York als Sohn immigrierter ungarischer Juden geboren. Nach einem Studium der Soziologie und dem Militärdienst reist er 1947 als GI nach Europa und macht Paris zu seinen Lebensmittelpunkt. Er beginnt eine Lehre im Atelier von Fernand Léger und stellt Anfang der 1950er-Jahre erstmals abstrakte geometrische Gemälde aus. Gleichzeitig beginnt er, sich für Fotografie und Film zu interessieren. Er führt ein fotografisches Tagebuch und arbeitet mit Federico Fellini, Pier Paolo Pasolini und Louis Malle an Filmprojekten. Bis 1965 ist er als Modefotograf für die Vogue tätig. Die Titel seiner Fotobücher wie New York 1956, Rom, 1959, Moskau, 1964, In & Out of Fashion, 1994, Close Up, 1989, Paris + Klein, 2002, sind zu festen Bestandteilen der Nachkriegsgeschichte der internationalen Fotografie geworden. Daneben entstehen über 20 Spiel- und Dokumentarfilme, u. a. Mr. Freedom, 1969, Muhammad Ali, the Greatest, 1964–74, die vielfach von seinem politischen Engagement und Interesse am Zeitgeschehen geprägt sind. Klein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der französische Fotobuchpreis Prix Nadar, der International Photography Award und der Lucie Award for Lifetime Achievement.
12. September bis 3. November 2024
3. Stock jeweils Mi & So, 12 - 18 h; Do - Sa, 12 - 21 h
Sihlquai 125, 8005 Zürich, photobastei.ch
Eintritt: 12/8 CHF
Eröffnung/Vernissage:
Donnerstag, 12. September, ab 18 Uhr
Medienkontakt: Romano Zerbini Verein PhotoCreatives / Photobastei Sihlquai 125 8005 Zürich email: romano.zerbini@photobastei.ch T +41 44 240 22 00 M +41 79 220 09 84