Medienmitteilung
SNF: Bild des Monats Juli 2006: Wald und Wild: Eine Neubewertung
2006-07-18T09:30:00
Bern (ots) - Text und Bild unter:
http://www.presseportal.ch/de/galerie.htx?type=obs Einfluss von Reh, Hirsch und Gemse geringer als angenommen Der Wildverbiss gilt als eines der grössten Probleme im
Gebirgswald. Doch die etablierten Ansichten zur Rolle der Huftiere
im Wald müssen relativiert werden. Forschende der Eidgenössischen
Forschungsanstalt WSL haben nämlich im Nationalen
Forschungsprogramm «Landschaften und Lebensräume der Alpen» (NFP
48) zeigen können, dass das Wild nur einer von vielen Faktoren ist,
die sich auf die Verjüngung und Artenzusammensetzung eines
Waldbestandes auswirken. Zu den schönsten Erlebnissen eines Waldspaziergangs gehört die
Begegnung mit einem Reh, einem Hirsch oder einer Gemse. Für
Forstleute hört der Spass aber dann auf, wenn zu viel Wild im Wald
lebt. Für sie steht fest, dass das Wild den Wald frisst. Zu viele
Huftiere im Wald seien ein Problem, weil sie die Sterblichkeit
junger Bäume massiv erhöhen und dadurch die Artenzusammensetzung
und Struktur des Waldes in eine von der Forstwirtschaft
unerwünschte Richtung lenken. Nur: Stimmt dieser Vorwurf? Denn
wissenschaftliche Beweise für das «Waldsterben von unten» lagen
bisher keine vor. Deshalb haben Forschende um Josef Senn von der Eidgenössischen
Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im
Nationalen Forschungsprogramm «Landschaften und Lebensräume der
Alpen» (NFP 48) den Einfluss des Wildes auf den Gebirgswald
untersucht. Die Forschungsresultate förderten Überraschendes
zutage: Das Wild ist nicht die einzige und mit Sicherheit nicht die
wichtigste Ursache für die unbefriedigende Waldverjüngung und den
geringen Anteil an Weisstannen im Schweizer Gebirgswald. Mäuse schaden kleinen Weisstannen mehr als das Wild
Die Forschenden fanden keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl
verbissener Weisstannen und der Dichte und Alterszusammensetzung
der Jungbäume. Beispielsweise schafften es im
Untersuchungsgebiet «Vorbergwald» bei Sarnen besonders viele
Weisstannen aus der Reichweite des Wildes emporzuwachsen dies
obwohl der Wald intensiv vom Wild genutzt wird. «Will man die
Populationsdynamik der Weisstanne und die Verjüngungssituation im
Wald verstehen, reicht es deshalb nicht, sich auf den
Einflussfaktor Huftier zu beschränken», erklärt Senn.
Mindestens genauso wichtig seien die Konkurrenz zwischen den
Pflanzen um Platz und Licht sowie Trockenperioden während der
Keimung. Ein grosser Teil der Verluste an Weisstannen-Keimlingen
scheint auch auf das Konto von Mäusen zu gehen. Die Forschenden
konnten nämlich zeigen, dass die Häufigkeit verbissener Weisstannen
bis 10 Zentimeter Höhe vom Vorkommen dieser kleinen Säugetiere
abhing und nicht von der Huftierdichte. Auch die bisherige Praxis, junge Bäume mit verbissenen Trieben
als todgeweiht anzusehen, muss hinterfragt werden. «Unsere
Experimente haben ergeben, dass eine Weisstanne unter günstigen
Lichtverhältnissen einen verbissenen Haupttrieb innerhalb von zwei
Jahren vollständig kompensieren kann», sagt Senn. Diese Fähigkeit
zur Kompensation kann als Anpassung an einen potenziellen Verbiss
interpretiert werden. Der Verbiss beeinflusst deshalb oft nur die
Wachstumsgeschwindigkeit. Waldentwicklung bis weit ins 20. Jahrhundert praktisch wildfrei
Ein grosses Fragezeichen setzen die Forschenden auch hinter die
Annahme der Forstwirtschaft, die geringen Anteile grosser
Weisstannen im Gebirgswald seien auf den Wildverbiss
zurückzuführen. Senn weist darauf hin, dass die heute alten Bäume
sich zu einer Zeit entwickelt haben, als es in den Schweizer
Wäldern fast kein Wild gab. Vor 100 Jahren waren Hirsch und Reh in
der Schweiz ausgestorben, und Gemsen überlebten im Gebirge nur in
geringen Dichten. Bis weit ins 20. Jahrhundert erfolgte die
Waldentwicklung praktisch wildfrei. Anhand von alten
Forstinventuren und Nutzungsaufzeichnungen konnten die Forschenden
nachweisen, dass in diesem Zeitraum die Anteile der Weisstanne und
vieler Laubbäume trotzdem abgenommen haben, während sich die Fichte
ausbreitete. Behindert wurde die Verjüngung und Ausbreitung der Weisstanne
vor allem durch Eingriffe der Forstwirtschaft zugunsten der Fichte
und die intensiv betriebene Waldweidewirtschaft. Von den
Forschenden durchgeführte Forstinventuren in der Zentralschweiz
deuten zudem darauf hin, dass in höheren Lagen auch in wenig
genutzten Waldbeständen die Weisstanne von Natur aus nicht die von
der Forstwirtschaft erhofften Anteile erreichen kann. «Die Angaben
der potenziellen Tannenanteile beruhen auf illusorischen Annahmen,
die selbst mit einer völligen Elimination des Wildes nicht erreicht
werden können», sagt Senn. Die Forschenden nehmen an, dass Wildtiere die zukünftige
Waldstruktur nicht wesentlich beeinflussen werden. «Vielfältige
Wälder mit einem grossen Angebot an alternativer Nahrung können
auch bei starkem Nutzungsdruck durch Wild erfolgreich eine neue
Baumgeneration bilden», erklärt Senn. Huftiere könnten die
Waldentwicklung verlangsamen, die Richtung der Entwicklung jedoch
nicht ändern. Für weitere Informationen:
Dr. Josef Senn
Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft
(WSL)
Zürcherstrasse 111
CH-8903 Birmensdorf
Tel: +41 (0)1 739 23 81
Fax: +41 (0)1 739 22 15
E-Mail: josef.senn@wsl.ch Text und Bild dieser Medieninformation können auf der Nationalfonds-
Homepage abgerufen werden http://www.snf.ch/medienmitteilung
Permalink:
https://www.presseportal.ch/de/pm/100002863/100512955
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