Medienmitteilung
Fehlende Lehrstellen, wachsende Jugendarbeitslosigkeit
2004-10-13T08:56:24
Bern (ots) - Angesichts der dramatischen Lage - diesen Freitag
werden die neuesten (immer noch leicht beschönigten) Zahlen des
Lehrstellenbarometers bekannt gegeben fordert der SGB unverzüglich
einen Pakt für die Beschäftigung, sowohl der Schul- wie der
LehrabgängerInnen. Der folgende Beitrag benennt und begründet
Massnahmen. Jetzt endlich einen Pakt für die Beschäftigung der
Jungen Übersicht Immer frühere, harte, oftmals demütigende Lehrstellensuche. Wenig
zielgerichtete 10. Schuljahre oder andere Brückenangebote. Eine
häufig nicht wunschgemäss verlaufende Lehre. Seit Jahren real
sinkende Lehrlingslöhne. Nach dem erfolgreichen Lehrabschluss erste
Arbeitslosigkeit. Und der ausgehöhlte Jugendschutz führt zu mehr
Nacht- und Sonntagsarbeit für Jugendliche. Kurz: eine wachsende Zahl
Jugendlicher wird ausgegrenzt. So kann es nicht weitergehen. Sonst
wird ein grosser Teil einer ganzen Generation der Frustration
beruflicher Perspektivenlosigkeit ausgesetzt. Der soziale Absturz
mit den bekannten Folgen würde unvermeidlich. Die Aufwertung der
beruflichen Bildung gegenüber der Allgemeinbildung mit dem neuen
Berufsbildungsgesetz, der Berufsmatur und den neuen Fachhochschulen
fände ein rasches Ende. Jetzt braucht es mehr als das Warten auf den
Aufschwung, mehr als bundesrätliche und kantonale Appelle an die
Wirtschaft, mehr als die bereits dank des politischen Drucks der
Gewerkschaften und der Jugendverbände (Lehrstellen-Initiative, lipa)
ergriffenen Massnahmen im Rahmen der TaskForce Lehrstellen 2003. Wir
brauchen sofort einen Pakt für die wachsende Zahl der
Schulabgänger/innen, insbesondere dort, wo die dualen
Ausbildungsangebote fehlen, in den grösseren Städten: - Die fehlenden betrieblichen Angebote müssen mit zehn Prozent mehr
vollschulischen Angeboten für zukunftsweisende Berufe (Handels- und
Fachmittelschulen, öffentliche Lehrwerkstätten mit Angeboten auch
für sozial Schwächere) kompensiert werden. - Lehren mit degressiven
Schulanteilen (Basislehrjahr mit anschliessender beruflicher Praxis)
sind besonders zu fördern. - Die Brückenangebote (10. Schuljahre
usw.) brauchen einen klaren Bildungsauftrag; sie müssen überall
gratis sein. - Für die sozial Schwächeren muss die Attest-Ausbildung
(die aufgewertete Anlehre) vermehrt angeboten werden. -
Branchenfonds sollen die Kosten der ausbildenden Betriebe auf alle
Branchenteilnehmer verteilen. Einen Pakt für die Beschäftigung
braucht es sofort auch für die arbeitslosen Lehrabgänger/innen:
- Weiterbeschäftigung der Ausgelernten im Lehrbetrieb
während eines Jahres, sofern dies nicht zu Lasten der beruflichen
Grundbildung geschieht.
- Die in der beruflichen Grundbildung nicht aktiven
Betriebe, die grosse Mehrheit, übernehmen die Lehrabgänger/innen
während eines Jahres zu einem Teilzeitpensum von 3 bis 4 Tagen die
Woche zum branchenüblichen Grundlohn. Für die verbleibenden 1 bis 2
Wochentage werden im Rahmen eines Paktes für die Beschäftigung der
Jungen Weiterbildungsprogramme zur Verbesserung der
Beschäftigungsfähigkeit angeboten. Finanziert wird diese
Weiterbildung über den Pilotartikel der Arbeitslosenversicherung
und, wo nötig und möglich, aus den paritätisch verwalteten
Bildungsfonds. Damit erhalten die Jungen die fehlende berufliche
Erfahrung und die erste vertiefende Weiterbildung. Die Betriebe
müssen angesichts der immer noch unsicheren Konjunkturaussichten
nicht für einen vollen Lohn aufkommen.
Begründung Die zwei entscheidenden Schnittstellen im Leben der Jugendlichen Die seco-Arbeitsmarktstatistik der 15- bis 24jährigen
(Volkswirtschaft 10/04), die Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz,
Aargau und Zug (AMOSA-Situationsanalyse 04) und die Schweizerische
Arbeitskräfteerhebung (Sake) des Bundesamtes für Statistik (BFS)
unterstreichen, dass die Jugendarbeitslosigkeit trotz anziehender
Konjunktur ein gravierendes und anhaltendes Phänomen ist. Die
Jugendarbeitslosigkeit liegt einen Viertel höher als die
durchschnittliche Arbeitslosigkeit mit steigender Tendenz. Für das
2. Quartal 2003 waren nach Sake-BFS 51'000 Jugendliche erwerbslos.
Gemäss seco meldeten sich aber in diesem Zeitraum bei der Regionalen
Arbeitsvermittlung (RAV) nur etwa die Hälfte (23'000 Jugendliche)
als arbeitslos. Sowohl für das Verständnis der Entwicklung als auch für das
Ergreifen von Massnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit ist es
sinnvoll, die Jugendlichen nach zwei Altersgruppen gesondert zu
betrachten. Es handelt sich zum ersten um die 15- bis 19jährigen (in
der Regel Übergang von der Sekundarstufe I auf die Sekundarstufe
II ) und zweitens um die 20- bis 24jährigen (Übergang vom Bildungs-
ins Beschäftigungssystem, grossmehrheitlich mit Lehrabschluss auf
Arbeitssuche). Es braucht Massnahmen für beide Altersgruppen. 1. Schnittstelle:
Übergang Sekundarstufe I ins weiterführende Bildungssystem,
Sekundarstufe II Lehrstellenmarkt spielt zugunsten der Ausbildner und zu Lasten der
Auszubildenden Obwohl aufgrund des öffentlichen Druckes die von Bund, Kantonen und
Wirtschaft ergriffenen Massnahmen in den letzten Jahren eine Zunahme
des Lehrstellenangebotes bewirkten, spielt der Lehrstellenmarkt
nicht. Er wird aufgrund der heute bekannten demografischen
Entwicklung auch in den nächsten vier Jahren mit Bestimmtheit nicht
spielen. Das Bundesamt für Statistik rechnet mit einer Zunahme der
Lernenden in der Sekundarstufe II bis 2008. Allein für die
Berufsbildung geht das BFS von einer jährlichen Steigerung von 5 bis
11 Prozent aus. In den nächsten vier Jahren müssten demnach nur zur
Aufrechterhaltung des unerfreulichen Status quo jährlich mehrere
Tausend neue Ausbildungsplätze im dualen Berufsbildungssystem
geschaffen werden. Für einen funktionierenden Lehrstellenmarkt braucht es ein Angebot,
das die Nachfrage um 12 bis 20 Prozent übersteigt. Davon können die
Auszubildenden heute nur träumen. Der nachhaltige Nachfrageüberhang
hat auch zur realen Senkung der durchschnittlichen Lehrlingslöhne
geführt (Kosten und Nutzen der Lehrlingsausbildung 2003). Einige
Ausbildner wollen diese unhaltbare Situation sogar mit dem Verkauf
von Lehrstellen ausnützen (50'000 Franken für eine
Informatiklehrstelle). Viele Betriebe nutzten die schwierige Lage für zahlreiche
Jugendliche aus, um eine verschärfte Selektion über eigene
Testverfahren durchzusetzen. Sie stellen damit die Bedeutung der
abgeschlossenen Volksschule in Frage. Die Arbeitsbedingungen für die Auszubildenden verschlechtern sich in
einigen Branchen weiter. Das seco hat bereits einige
Globalbewilligungen für die Ausweitung der Nacht- und Sonntagsarbeit
bewilligt. Der Bundesrat will demnächst das Jugendschutzalter
generell von 19 auf 18 Jahre senken. Lehrstellenbarometer und Lehrvertragsstatistik malen zu rosig Am 15. Oktober 2004 wird wiederum das Lehrstellenbarometer
veröffentlicht. Aufgrund der bereits veröffentlichten Zahlen aus
Zürich und Basel dürfte es unsere Einschätzung im allgemeinen
bestätigen. Das Lehrstellenbarometer und die Lehrvertragsstatistik
färben allerdings die wirkliche Lage für die Auszubildenden zu
rosig. Der bisher einzige objektive Indikator zur Beobachtung des
Lehrstellenmarktes, die Lehrstellenstatistik des BFS, muss heute
ebenfalls mit einigen Fragezeichen gelesen werden. Das überall zu
beobachtende Wachstum der Lehrstellenwechsler/innen ein Phänomen,
das auch mit dem Lehrstellenmangel verknüpft ist kann mit dem
heutigen Instrument nicht erfasst werden. Wer im Laufe der
beruflichen Grundbildung zwei Lehrverträge abschliesst, wird in der
BFS-Lehrvertragsstatistik doppelt gezählt. Dieser statistische
Mangel wurde in der TaskForce Lehrstellen 2003 erkannt. Eine neue
Erhebungsmethode wird vorbereitet. Bis es soweit ist, müssen die
BFS- Zahlen leicht nach unten korrigiert werden. Brückenangebote brauchen Bildungsauftrag Aufgrund des Lehrstellenmarktversagens wurden regional und kantonal
unterschiedliche Initiativen im Bereich der Brückenangebote aus
dem Boden gestampft. Das Nationale Forschungsprogramm 43 Bildung
und Beschäftigung sowie die an PISA anknüpfende Studie Transition
von der Erstausbildung ins Erwerbsleben (TREE) kommen zum Schluss,
dass heute bereits rund ein Viertel der Schulabgänger/innen sich in
der instabilen Zone des Übergangs aufhalten muss. Diese
grösstenteils kantonal und kommunal, teilweise aber auch privat
finanzierten Zwischenlösungen wurden als kurzfristige Notlösung
gegen eine noch grössere Jugendarbeitslosigkeit entwickelt. Sie
untergraben aber langfristig die Bildungsgerechtigkeit und führen zu
zeitraubenden Umwegen, ohne dass ein harmonisierender und
zielgerichteter Bildungsauftrag ersichtlich wird. Marktversagen der Staat muss handeln Mit der Lehrstelleninitiative, lipa, wollten die Jugendverbände und
der SGB dem Lehrstellenmarkt neue Impulse verleihen und neue duale
Angebote schaffen. Bundesrat, Parlament und Wirtschaft versprachen,
die Probleme ohne lipa selbst zu lösen. Die grosse Mehrheit der
Stimmenden glaubte ihnen. Seither gab es in der Wirtschaft gemessen
an den Bedürfnissen nur geringe Verbesserungen, die der gestiegenen
Nachfrage nicht gerecht werden. Der Staat musste mit den
Brückenangeboten kurzfristig einspringen. Weil die Versprechen nicht
eingehalten wurden, sind nun vermehrt öffentlich finanzierte
Berufsbildungsangebote mit einem klaren Bildungsauftrag anzubieten.
Diese Angebote müssen auch die sozial Benachteiligten integrieren.
Die Bildungsökonomen, die im Auftrag des BBT Kosten und Nutzen der
Lehrlingsausbildung aus der Sicht der Schweizer Betriebe erforscht
haben, kommen zum gleichen Schluss: Der Staat könnte antizyklisch
vollschulische Ausbildungen anbieten, zum Beispiel Basislehrjahre.
Diese müssten allgemeine Kompetenzen vermitteln, so dass sich die
Absolvent/innen nach der Krise auf einen Beruf spezialisieren
können, der vom Markt nachgefragt wird (Jürg Schweri, BUND
28.1.04). Das Argument, dass vollschulische Angebote nicht arbeitsmarktgerecht
ausbildeten, ist mit der jüngsten Entwicklung ebenfalls entkräftet:
Die Jugendarbeitslosigkeit ist in der deutschen Schweiz trotz sehr
hohem Anteil an dualen, marktnahen Ausbildungen fast ebenso hoch wie
in der französischsprachigen Schweiz, die einen viel höheren Anteil
an vollschulischen Angeboten kennt. Die Neuerungen im Berufsbildungsgesetz sofort umsetzen Mit dem neuen Berufsbildungsgesetz wurde die quantitativ nie
bedeutende Anlehre von der Attest-Ausbildung für sozial
Benachteiligte abgelöst. Dieses neue, nach oben durchlässige
Berufsbildungsgefäss muss jetzt von der Wirtschaft umgesetzt werden. Viele Berufsverbände möchten von der Möglichkeit der Schaffung von
allgemein verbindlichen Berufsbildungsfonds in den Branchen Gebrauch
machen. Dieses Instrument muss nun unbürokratisch rasch eingeführt
werden. Jugendschutz muss bleiben Die zuständigen Behörden (seco) sind den Betrieben mit
Globalbewilligungen für Nacht- und Sonntagsarbeit auch für
Auszubildende weit entgegengekommen, in der Hoffnung, dass mehr
Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt würden. Dies geschieht aber
nicht. Der Bundesrat darf dem Druck der Wirtschaft zu Lasten der
Jungen nicht nachgeben. 2. Schnittstelle:
Übergang vom Bildungs- ins Beschäftigungssystem Ausgelernte werden ein Jahr weiterbeschäftigt Die Jugendarbeitslosigkeit an dieser Schnittstelle entwickelt sich
entlang der Konjunktur. Allerdings sind die 20- bis 24jährigen weit
überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Prognosen
für den konjunkturellen Aufschwung sind umstritten. Die Hoffnung,
dass die Jungen mit dem Aufschwung automatisch ins
Beschäftigungssystem gelangen können, ist selbst beim seco gering. Die Vorschläge von AMOSA sind umzusetzen, reichen aber bei weitem
nicht. Die Forderung nach einer Weiterbeschäftigung der Ausgelernten im
Lehrbetrieb während mindestens eines Jahres ist zentral. Zu beachten
ist allerdings, dass dies nicht zu Lasten der 15- bis 19jährigen
geschehen darf. Die AMOSA-Studie kann so gelesen werden, dass es
wichtiger sei, jetzt Ausgelernte anstelle von Lehrlingen
einzustellen, weil für die Schulabgänger/innen schon Möglichkeiten
vorhanden seien. Es wäre aber verfehlt, diese beiden höchst
sensiblen Altersgruppen gegeneinander auszuspielen. Geschähe dies
aber trotzdem im grösseren Ausmass, wären unsere Forderungen nach
erweiterten schulischen Angeboten mit klarem Bildungsauftrag in der
ersten Schnittstelle umso wichtiger. Damit das Herumreichen des Schwarzen Peters vermieden wird, sind
jene Betriebe, die sich nicht an der beruflichen Grundbildung
beteiligen die grosse Mehrheit -, stärker herausgefordert, junge
Ausgelernte einzustellen, als die in der beruflichen Grundbildung
aktiven Betriebe. Damit dies in einer konjunkturell noch unklaren Lage leichter
geschieht, soll die Arbeitslosenversicherung mit ihrer Möglichkeit
des Pilotartikels Finanzierungen von Weiterbildungen übernehmen. Pakt der Sozialpartner für die Jugendbeschäftigung In vielen Branchen sind paritätisch verwaltete, oft gut dotierte
Bildungsfonds eingerichtet. Die Branchenverbände müssen deshalb nach
praktikablen Modellen suchen, mit denen möglichst viele junge
Arbeitslose sowohl den Weg ins Beschäftigungs- als auch ins
Weiterbildungssystem finden. Die Branchenvertretungen der SGB-
Verbände werden deshalb in den nächsten Wochen entsprechende
Vorschläge einbringen. Auskunft: Peter Sigerist, Zentralsekretär Ressort Bildung, Fix 031
377 01 23; Mob 079 404 56 85
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