Medienmitteilung
Frühjahrstagung der Angestellten Schweiz vom 7. April 2006 in Olten:
Work-Life-Balance nur ein Schlagwort?
2006-04-07T11:30:00
Zürich (ots) - Arbeit und Familie, Hobby und Freunde, Freizeit und
Freiwilligenarbeit: Das alles soll der moderne Mensch unter einen
Hut bringen. Oft scheitert er daran in einer Zeit, in der die
Ansprüche immer höher geschraubt werden. Die Ansprüche der
Arbeitgeber, die Ansprüche der Gesellschaft, aber auch die Ansprüche
an uns selber. Da kommt die Idee, all die verschiedenen Bereiche in
ein gesundes Gleichgewicht zu bringen, wie gerufen. Das Zauberwort
dazu heisst Work-Life-Balance. Der Begriff der Work-Life-Balance hat sich mittlerweile verbreitet
etabliert, gerade auch in der Arbeitswelt. Doch wie weit wird die
Work-Life-Balance wirklich umgesetzt und gelebt? Was braucht es
überhaupt dazu? Darüber referierten und diskutierten an der
Frühjahrstagung der Angestellten Schweiz am 7. April in Olten
ausgewiesene ExpertInnen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf fordert Taten Anna Christen, die
Leiterin Gleichstellungspolitik von Travail.Suisse, forderte zu
Beginn der Veranstaltung Taten auf verschiedenen Ebenen: der
individuellen, der betrieblichen und der politischen. Aber auch auf
der gesellschaftlichen Ebene, bei unseren Wertvorstellungen,
forderte sie ein Umdenken, wenn es z.B. um das Rollenverständnis von
Frau und Mann geht. Anna Christen zeigte verschiedene Faktoren auf, welche die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Frauen und Männern behindern
können, z.B.:
Frauen verdienen 20% weniger als Männer
Der Staat gibt nur 1,6% des Bruttoinlandprodukts für
Familien aus, aber fast 12% für die Altersvorsorge
Der Teilzeitarbeit haftet oft noch der Makel des
Zusatzverdienstes an
Es arbeiten vor allem Frauen Teilzeit (60%, Männer 12%); die
Frauen v.a. wegen der Familie, die Männer wegen Weiterbildung
Frauen werden am Arbeitsplatz gerade im Zusammenhang mit
Schwangerschaft und Mutterschaft noch immer in vielfacher Hinsicht
diskriminiert
Das Angebot an Krippen, Horten und anderen Formen von
Kinderbetreuung ist absolut ungenügend
Kinder sind ein Armutsrisiko (eigentlich hätten die Frauen
gerne etwas mehr als 2 Kinder, die Geburtenrate liegt bei 1,4) Gemäss eigener Einschätzung haben Männer und Frauen in etwa
gleichem Ausmass am wenigsten Probleme bei der Vereinbarkeit von
Beruf und Privatleben, wenn sie alleine oder in einer kinderlosen
Paarbeziehung leben, stellte Anna Christen fest. Bei Frauen und
Männern würden die Schwierigkeiten der Vereinbarkeit mit zunehmender
Kinderzahl steigen. Am schlimmsten sei es bei Alleinerziehenden und
bei Vätern mit drei und mehr Kindern. Anna Christen kritisierte aber
auch, dass das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie feminisiert
werde: Frauen sollen die Mehrfachbelastung von Erwerbsarbeit und
Karriere und Familienarbeit möglichst optimal gestalten, während
sich die Männer vorwiegend auf ihre berufliche Karriere und
Ernährerrolle konzentrieren. Für eine bessere Work-Life-Balance von Männern und Frauen mit
Kindern forderte Anna Christen u.a.:
Die Diskriminierung von Frauen und Müttern am Arbeitsplatz
verhindern
Ein flächendeckendes Angebot an familienexterner
Kinderbetreuung
Bekämpfung der Familienarmut, z.B. mit einheitlichen
Familienzulagen
Lohngleichheit für Fauen und Männer
Mehr Teilzeitarbeit für Männer Work-Life-Balance nur für Leute, die nicht gerne arbeiten?
Heutige Väter und Mütter sind zielstrebig in der Arbeit, erheben
aber gleichzeitig den Anspruch an die Berufswelt, nebst der
Erwerbsarbeit Zeit für ein Privatleben zu haben. Mit dieser
Erkenntnis eröffnete Franziska Bischof-Jäggi, Geschäftsführerin der
Familienmanagement GmbH, ihr Referat. In dieser Situation stelle
sich permanent die Frage: Wem fühlt man sich mehr verpflichtet, dem
Berufs- oder dem Familienleben? Eine Antwort darauf zu finden und
eine Balance herzustellen, das sei höchst anspruchsvoll ist also
sicher nichts für Leute, die nicht gerne arbeiten. Work-Life-Balance
habe aber nicht zum Ziel, ein Leben in ausgeglichener
Mittelmässigkeit anzustreben, sondern es erleichtere und ermögliche
Höchstleistungen beruflich und privat, stellte Franziska Bischof
klar. Denn nur wer sich immer wieder auch an Grenzen wagt, kommt
weiter mental, emotional und körperlich. Eine wichtige Voraussetzung für eine gute Work-Life-Balance sei,
selbst die Kontrolle und Verantwortung über sein Leben zu haben.
Wer das Gefühl hat, permanent fremdgesteuert zu sein und
vermeintlichen Sachzwängen Folge leisten zu müssen, kann sich klein
und eingeengt fühlen. Interessant findet Franziska Bischof, dass
oft selbst nach aussen erfolgreiche Menschen in einem erstaunlichen
Ausmass fremdbestimmt sind. Wichtig für unsere Work-Life-Balance sei schliesslich der Umgang mit
der Zeit und zwar in Kombination mit Qualität. Denn noch mehr als
genügend Zeit zu haben wünschten sich Kinder von ihren Eltern, dass
diese weniger müde und gestresst seien und auf ihre Fragen eingehen
würden. Familienfreundliche Unternehmenspolitik rechnet sich Klaudia
Lehmann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Prognos AG, stellte
eine betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse einer
familienfreundlichen Unternehmenspoltik vor. Die Studie kommt zum
klaren Schluss, dass sich für ein Unternehmen eine
familienfreundliche Politik auch wirtschaftlich lohnt: Damit
entsteht eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, sagte Klaudia
Lehmann. Kosten und Nutzen familienorientierter Massnahmen wurden in einer
Modellrechnung am Beispiel einer fiktiven AG mit 1500 Beschäftigten
ermittelt. Auf der Kostenseite ist ein Paket familienfreundlicher
Massnahmen berücksichtigt, das flexible Arbeitszeitmodelle,
verlängerten Mutterschaftsurlaub (kostenneutral),
Vaterschaftsurlaub, Beratungs- und Vermittlungsangebote, Telearbeit
und betrieblich unterstützte Kinderbetreuung umfasste. Auf der
Nutzenseite lässt sich für das Unternehmen ein Einsparpotenzial
durch folgende Effekte realisieren: Rückkehreffekt:
Mitarbeiterinnen kehren nach dem Mutterschaftsurlaub häufiger in den
Betrieb zurück. Dadurch entstehen weniger Fluktuationskosten.
Teilzeiteffekt: Eltern mit Kinderbetreuungspflichten wird
ermöglicht, ihre Teilzeitpensen sukzessive nach Bedürfnis zu
erhöhen. Müttter können nach der Rückkehr höhere Teilzeitpensen
übernehmen. Das Unternehmen spart Kosten für Ersatzkräfte.
Karriereeffekt: Er ermöglicht Müttern und Vätern trotz familiärer
Aufgaben qualifizierte Berufslaufbahnen. Das erlaubt dem
Unternehmen, höhere Positionen intern neu zu besetzen, was
Personalbeschaffungskosten spart. Das Modellunternehmen wendet für familienorientierte Massnahmen
jährlich 247 000 Franken auf. Sie spart aber 267 000 Franken an
Personalbeschaffungskosten. Der Überschuss von 20 000 Franken
entspricht einer Rendite von 8%. Diese Rendite ist vorsichtig
gerechnet. Schwerer messbare Wirkungen wie eine höhere Motivation
oder gesteigerte Identifikation mit dem Unternehmen wurden nicht
berücksichtigt, tragen aber zweifellos ebenfalls zum
wirtschaftlichen Erfolg bei. Novartis Beispiel eines familienfreundlichen Unternehmens Novartis
beschäftigt weltweit 80 000 Menschen in 140 Ländern, 10 000 davon
arbeiten in der Schweiz. Bei den Angestellten sind von den Frauen
33% Mütter, von den Männern 58% Väter. Im Management sind es 30%,
respektive 71%. Novartis bietet, wie die Diversity-Beauftragte Dr. Katharina Amacker
aufzeigte, für Familien eine ganze Palette von attraktiven
Leistungen in diversen Bereichen:
Finanzen: Familienzulage von Fr. 120.--, Kinderzulage von
Fr. 200.--, Krippensubvention und Ausbildungsstiftung
Arbeitszeit: Gleitzeit, Telearbeit, Teilzeitmodelle und
Beratung
Kinderbetreuung: Betreuungsplätze, Feriencamp, Notfallplätze
und Beratung
Dienstleistungen: Campus Services, E-Shopping, spezielle
Parkplätze, Kinder im Personalrestaurant
Wertschätzung: Kinder am Arbeitsplatz, Familientag, Tochter-
/Sohn-Tag, Sponsoring Prognos-Studie Der Erfolg der Familienpolitik von Novartis lässt sich u.a. daran
ablesen, dass der Frauenanteil im Management von 14% im Jahr 2000
auf 25% im letzten Jahr gesteigert werden konnte. Dennoch sieht
Katharina Amacker ihr Unternehmen noch nicht am Ziel. Erst 2,7% der
Männer und ebensoviel der ManagerInnen arbeiten Teilzeit. Im
Topmanagement finden sich erst 13% Frauen und Teilzeit gilt nach wie
vor als Karrierekiller. Doch Novartis ist daran, auch mentale
Barrieren abzubauen. Den Worten die Reglemente bestehen sollen
nun möglichst viele weitere Taten folgen. Arbeitsmarktfähige Angestestellte dank bewusster Work-Life-Balance
Wir wollen arbeitsmarktfähige Angestellte, sagte der
Geschäftsführer der Angestellten Schweiz, Vital G. Stutz, zu Beginn
seines Referats. Denn eines haben wir erkannt: Nur die
Arbeitsmarktfähigkeit kann uns in der modernen flexiblen Arbeitswelt
die Sicherheit (mindestens teilweise) zurückgeben, die wir bereits
verloren glaubten. Wie kann man aber diese Arbeitsmarktfähigkeit erlangen? Eine ganz
wichtige Voraussetzung sei die permanente Weiterbildung. Eine
weitere aber, und damit kam Vital Stutz zum Kern seines Vortrags,
sei eine gute Work-Life-Balance. Arbeit ist nämlich kein
Selbstzweck, sagte er, und schon garn nicht dürfe sie krank machen.
Wenn nun von den modernen Angestellten gefordert werde, dass sie
arbeitsmarktfähig sein müssten, dann sei es doppelt wichtig, dass
sie gesund seien. Denn nur gesunde Menschen könnten arbeitsmarkfähig
sein. Vital Stutz zeigte auf, dass Work-Life-Balance und
Arbeitsmarktfähigkeit noch viele weitere Berührungspunkte haben. Zum
Beispiel könne man in der Familie neue Energie für die Arbeit
gewinnen. Umgekehrt helfe eine gute Arbeitsmarktfähigkeit das
wirtschaftliche Auskommen einer Familie sichern. Ein soziales
Netzwerk könne uns helfen, unsere Arbeitsmarktfähigkeit besser
einzuschätzen, es könne uns aber auch nützlich sein, wenn wir eine
neue Stelle suchen. Die Arbeitsmarktfähigkeit hat einen Einfluss auf die Work-Life-
Balance. Das Umgekehrte gilt aber auch. So fasste Vital Stutz seine
Analyse zusammen. Darum lägen die Arbeitsmarktfähigkeit und die
Work- Life-Balance ihrer Mitglieder den Angestellten Schweiz so am
Herzen. Nun gelte es, die Masse der Arbeitnehmenden und die
Arbeitgeber für das Thema zu sensibilisieren. Ganz konkret forderte
Vital Stutz u.a. familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, einen
Vaterschaftsurlaub oder gute Karrieremöglichkeiten für Frauen.
Ebenso bedeutend sei aber, dass sich die Angestellten an ihrer
Arbeitsstelle selbst einbringen könnten, dass sie als Mitunternehmer
anerkannt würden. Und schliesslich sei es eine wichtige Aufgabe,
dafür zu sorgen, dass eine gute Work-Life-Balance von der
Gesellschaft als eine wertvolle Leistung anerkannt werde. Mit
Massnahmen, Information und Aufklärung, mit Aktionen und Forderungen
wollten die Angestellten Schweiz diese Ziele erreichen. Für Rückfragen:
Hansjörg Schmid, Leiter Kommunikation, Tel. 044 360 11 21,
Natel 076 443 40 40 Die Angestellten Schweiz sind die stärkste Arbeitnehmerorganisation
der Branchen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) und
Chemie/Pharma. Rund 27 000 Angestellte sind Mitglied. Angestellte
Schweiz entstand aus dem Zusammenschluss der beiden Verbände
Angestellte Schweiz VSAM (MEM, gegründet 1918) und VSAC (Chemie,
gegründet 1993).
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https://www.presseportal.ch/de/pm/100006251/100507470
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