Medienmitteilung
SNF: Neue Ärzteschulung für eine bessere Beratung zur
Pränataldiagnostik
2006-08-14T09:25:00
Bern (ots) - Besser beraten in der Schwangerschaft Ein von Ethikern, Psychologen und Medizinern entwickelter
Leitfaden
kombiniert mit einer Schulung der Ärztinnen und Ärzte verbessert
die
Beratung von Paaren, die ein Kind erwarten. Dies hat eine
Evaluation
im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Integration und
Ausschluss» (NFP 51) ergeben. Die Fachgesellschaft «gynécologie
suisse» hat nun die Herausgeberschaft des Leitfadens übernommen und
die Ärzteschulung in ihr Weiterbildungsangebot aufgenommen. Schwangere Frauen und ihre Partner sind heute mit verschiedenen
Methoden der pränatalen Diagnostik konfrontiert. Dazu gehören
Ultraschall-Untersuchungen und verschiedene biochemische und
genetische Tests. Innert kurzer Zeit müssen die Frauen und ihre
Partner entscheiden, welche dieser Verfahren sie in Anspruch nehmen
wollen. Die ärztliche Beratung soll ihnen dabei helfen, eine gut
informierte Entscheidung zu treffen eine schwierige Aufgabe. Aus diesem Grund hat ein interdisziplinäres Gremium aus Ärzten
und
Psychologen unter der Leitung von Ruth Baumann-Hölzle vom Institut
Dialog Ethik ein Beratungskonzept mit Leitfaden und
Schulungsprogramm für Ärzte erarbeitet. Beteiligt waren die
Universitätsspitäler Basel und Zürich sowie Teilnehmerinnen und
Teilnehmer mehrerer Ärztetagungen. Die Grundlage bildeten frühere
Arbeiten des Instituts Dialog Ethik und des Vereins für
ganzheitliche Beratung und kritische Information zu pränataler
Diagnostik. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms
«Integration und Ausschluss» (NFP 51) wurde dieses Beratungskonzept
von der Psychologin Denise C. Hürlimann evaluiert. An der Studie
haben fast 200 Schwangere und 31 Allgemeinmediziner und Gynäkologen
teilgenommen. Die Forscherin hat Beratungsgespräche vor und nach
der
Einführung der Schulung und des Leitfadens auf Tonband aufgenommen
und ausgewertet. Zusätzlich hat sie Ärzte und Schwangere befragt. Ihre Untersuchung ergab, dass die Konsultationen, in denen die
Pränataldiagnostik thematisiert wurde, nach der Schulung und mit
dem
Gesprächsleitfaden insgesamt nur wenig länger dauerten als vorher.
Das Gespräch aber war strukturierter und der Argumentationsstil hat
sich verbessert: Die Ärztinnen und Ärzte gingen vermehrt auf die
spezifische Lebenssituation der zu beratenden Schwangeren ein, sie
brachten ihre persönliche Meinung seltener zum Ausdruck, stellten
Sachverhalte vermehrt graphisch dar und berieten junge und ältere
Frauen nun ähnlicher. Sie bestellten die Schwangeren auch
tendenziell früher zur ersten Konsultation, so dass diesen mehr
Zeit
für die Entscheidfindung zur Verfügung stand. Schwangere werden
besser bei ihrem Entscheid unterstützt, welche Tests sie vornehmen
lassen und welche Konsequenzen sie aus dem Resultat ziehen wollen,
resümiert Denise Hürlimann. Ethisches Dilemma wird ernst genommen Wenn die werdenden Mütter
von
Ärztinnen und Ärzten beraten wurden, die geschult waren und den
Leitfaden benutzten, äusserten sie sich differenzierter zu ihrer
Entscheidfindungssituation. Aber: Weder bei den Schwangeren noch
bei
den Ärzten erhöhte sich die Sicherheit, sich richtig entschieden zu
haben. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema machte die
Ärztinnen und Ärzte zwar fachlich sicherer, emotional aber fühlten
sie sich eher verunsichert. In der Schulung wurde vielen
Medizinern
bewusster, wie komplex die Problematik pränataler Untersuchungen
ist, sagt die Psychologin Denise Hürlimann. So gesehen sei die
emotionale Unsicherheit der Ärzte nicht negativ zu bewerten: Das
ethische Dilemma, in dem sich die werdenden Eltern befinden, erhält
nun im Beratungsgespräch das ihm zustehende Gewicht. Angesichts einer Schwangerschaft und des Angebots an
vorgeburtlichen Tests sehen sich Frauen und ihre Partner plötzlich
mit schwierigen Fragen konfrontiert, sagt Ruth Baumann-Hölzle vom
Zürcher Institut Dialog Ethik. Die Risikoerhebung durch Methoden
der
Pränataldiagnostik wie Ultraschall, Bluttest oder
Fruchtwasseruntersuchung verlange ein Nachdenken darüber, ob die
werdenden Eltern ein allfällig behindertes Kind bekommen oder einen
Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. Rechnung getragen
werden müsse dem begrenzten Zeitfenster, dem Risiko des Eingriffs,
der Möglichkeit falsch negativer und falsch positiver Resultate,
der
Unmöglichkeit, den Entscheid rückgängig zu machen, sowie dem Recht
auf Nichtwissen. Wenn Ärzte diese Themen reflektieren, kann das
helfen, ein neues Bewusstsein zu schaffen: hin zu einem
informierten, autonomen Entscheid der Schwangeren und ihres
Partners, sagt die Ethikerin. Die zwei Tage dauernde Ärzteschulung befasst sich daher nicht
nur
mit pränatalen Testverfahren sondern auch mit Rechtsfragen, mit der
Arzt-Patienten-Kommunikation und mit ethischen Fragen der
Entscheidungsfindung. Und sie stellt auch eine Einführung in den
Leitfaden für das Gespräch mit der Schwangeren dar. Dieser enthält
auf 30 Seiten Kommunikationstipps und erläutert sieben konkrete
Schritte der Beratung: vom Ausdruck der Freude über die
Schwangerschaft bei der ersten Konsultation bis zum Entscheid der
Frau und ihres Partners für ein Austragen des Kindes oder für einen
Schwangerschaftsabbruch. «Gynécologie suisse» übernimmt Herausgeberschaft Eine grosse
Verbreitung im Lande und die verdiente Bewährung in der Praxis,
wünscht Wolfgang Holzgreve, der Präsident von «gynécologie suisse»
(Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) dem
Gesprächskonzept. Es könne helfen, die Beratungskompetenz der
Ärztinnen und Ärzte weiter zu verbessern. «Gynécologie suisse» hat
deshalb kürzlich die Herausgeberschaft des überarbeiteten
Leitfadens
übernommen und sich zu einer landesweiten Streuung entschlossen.
Bald sollen neben der deutschen auch eine französische, eine
italienische und eine englische Fassung vorliegen. Ausserdem hat
die
Fachgesellschaft die Ärzteschulung in ihr Weiterbildungsangebot
aufgenommen. Über 100 Ärztinnen und Ärzte haben den Kurs bereits
besucht. Leitfaden
Leitfaden für vorgeburtliche Untersuchungen. Gesprächs- und
Informationskonzept für den Arzt und die Ärztin zur Begleitung der
schwangeren Frau und ihres Partners. Hrsg.: Gynécologie suisse
(SGGG, Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und
Geburtshilfe), Bern
(Tel. + 41 (0)31 352 07 20, www.sggg.ch) Evaluationsstudie
Hürlimann DC, Baumann-Hölzle R. Der Beratungsprozess in der
pränatalen Diagnostik. Schweiz Ärztezeitung 2006, Band 87 (22),
S. 978-980 (www.saez.ch) Weitere Auskünfte:
Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle
Institut Dialog Ethik - Interdisziplinäres Institut für Ethik im
Gesundheitswesen
Sonneggstrasse 88
CH-8006 Zürich
Tel. +41 (0)44 252 42 01
Fax +41 (0)44 252 42 13
E-Mail: info@dialog-ethik.ch Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Wolfgang Holzgreve
Vorsteher und Chefarzt
Frauenklinik
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 21
CH-4031 Basel
Tel. +41 (0)61 265 90 99 / +41 (0)78 910 00 91
Fax +41 (0)61 265 91 99
E-Mail: wholzgreve@uhbs.ch Der Text dieser Medienmitteilung steht auf der Website des
Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung:
www.snf.ch/medienmitteilung
Permalink:
https://www.presseportal.ch/de/pm/100002863/100514240
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