Medienmitteilung
SNF: Wissenschaftliche Erkenntnisse und politische Empfehlungen des
NFP 52
2007-06-26T11:00:00
Bern (ots) - Den Kindern zu ihren Rechten verhelfen und ihre
Anliegen ernst nehmen Kinder und Jugendliche wachsen in der Schweiz unter
unterschiedlich günstigen Bedingungen auf, und Erwachsene trauen
den nachfolgenden Generationen oft wenig zu. Benachteiligt werden
besonders die Kinder schlecht ausgebildeter, ausländischer und
finanziell schwacher Eltern. Politik und Erwachsene sind daher
aufgefordert, die Anliegen von Jugendlichen vermehrt ernst zu
nehmen, deren oft unterschätzte und ungenutzte Potenziale zu
fördern und die Ungleichheit ihrer Chancen zu beheben. Dies sind
die wichtigsten Erkenntnisse und Empfehlungen des Nationalen
Forschungsprogramms «Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen
im gesellschaftlichen Wandel» (NFP 52). Kinder und Jugendliche sind die Zukunft eines Landes. Wenn sie
in ihrer ersten Lebenszeit benachteiligt werden, überschattet dies
ihre ganze Biographie. Wachsen sie hingegen unter günstigen
Bedingungen auf, steigen die Chancen, dass sie ihre Potenziale
ausschöpfen und sich entfalten können. Ausgehend von der Tatsache,
dass die Lebensbedingungen in den letzten Jahren generell
schwieriger geworden sind, erforscht das Nationale
Forschungsprogramm «Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im
gesellschaftlichen Wandel» (NFP 52) seit 2003 die
Lebensverhältnisse und Bedürfnisse von Jugendlichen und ihren
Familien in der Schweiz, um Erkenntnisse für eine
generationenübergreifende Jugend- und Sozialpolitik zu
gewinnen. Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl
Die zwei wichtigsten Erkenntnisse des NFP 52 lauten: Erstens trauen
Erwachsene Kindern und Jugendlichen oft wenig zu. Wie die
Soziologin Marlis Buchmann im Rahmen einer repräsentativen
Langzeitstudie des Schweizerischen Kinder- und Jugendsurveys Cocon
belegt, besitzt die Mehrheit der Heranwachsenden entgegen der
vorherrschenden Meinung ein hohes Mass an Mitgefühl und eine grosse
Bereitschaft, in ihrem Leben Verantwortung zu übernehmen. Doch
diese Fähigkeiten werden von den Erwachsenen nicht genügend
genutzt. Die Juristin Andrea Büchler und die Psychologin Heidi
Simoni weisen nach, dass im Scheidungsverfahren der Kantone Zürich
und beider Basel nur ein Drittel der betroffenen Kinder zur
Anhörung vor Gericht geladen und nur ein Zehntel tatsächlich
angehört wird, nach Auskunft mancher untersuchten Kinder erst noch
mangelhaft. Die Regelung des Sorgerechts erfolgt teilweise zu stark
aus dem Blickwinkel der Eltern und berücksichtigt die Interessen
des Kindes zu wenig. Die Wissenschaftlerinnen empfehlen deshalb,
die Gesetzgebung dahingehend zu revidieren, dass die elterliche
Sorge nach der Scheidung beiden Elternteilen belassen wird. Zweitens wachsen Kinder in der Schweiz nach wie vor unter
unterschiedlich günstigen Bedingungen auf. Den Kindern schlecht
ausgebildeter, ausländischer und finanziell schwacher Eltern
Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien bilden eine besondere
Risikogruppe ist oft die Zukunft auf ein besseres Leben verbaut.
Das widerspricht dem Prinzip der Chancengleichheit und der UNO-
Konvention über die Rechte des Kindes. Die Ökonomin Regina Riphahn
zeigt auf, dass das elterliche Bildungsniveau die Berufskarriere
der Kinder stark beeinflusst. Kinder von wenig gebildeten Eltern
haben schlechtere Chancen auf einen höheren Bildungsabschluss als
Kinder von Eltern mit hohem Bildungsgrad. Je später die Weichen für
den höheren Bildungsweg gestellt werden, desto geringer ist das
Ausmass der «Bildungsvererbung» durch die Eltern. Eine Anpassung
der kantonalen Schulsysteme und Stipendienwesen könnte diese
Benachteiligung korrigieren. Ebenfalls deutlich benachteiligt
wachsen Kinder von Migranten und Migrantinnen auf. So ist ihre
Abhängigkeit vom finanziellen Status des Elternhauses im Schnitt
rund 30 Prozent höher als bei den Schweizer Altersgenossen.
Besonders ausgeprägt ist diese Abhängigkeit bei Südeuropäern und
Südeuropäerinnen. Benachteiligte Bedürftige
In der reichen Schweiz sind Kinder aus prekären Verhältnissen
generell benachteiligt. Der geringe Bildungsstand und der tiefe
sozioökonomische Status der Eltern sind die massgeblichsten Gründe
für Kinderarmut. Der Ökonom Yves Flückiger hat verschiedene
Messinstrumente untersucht, mit denen Behörden und Wissenschaft die
Armut bestimmen und die Höhe der Unterstützungsleistungen
festlegen. Seine Ergebnisse zeigen, dass gegenwärtig die Armut von
kleinen Familien mit ein bis zwei Kindern unterschätzt wird. Es ist
also nicht sicher, ob die bedürftigsten Kinder unterstützt werden.
Flückiger empfiehlt, dass die Konferenz für Sozialhilfe (Skos) die
geläufigen Äquivalenzskalen überprüft und den tatsächlichen
Verhältnissen anpasst. Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter empfehlen Politik und
Gesellschaft grundsätzlich, die unterschätzten und ungenutzten
Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen stärker zu berücksichtigen
und diese sowie ihre Familien besser zu unterstützten, damit
sie sich zu selbstständigen und verantwortungsbewussten Mitgliedern
von Staat und Gesellschaft entwickeln können. Auskunft zum NFP 52 allgemein:
Prof. Pasqualina Perrig-Chiello
Präsidentin der Leitungsgruppe NFP 52
Institut für Psychologie
Universität Bern
Muesmattstrasse 45
CH-3000 Bern
Tel.: +41 (0)31 631 40 35 oder +41 (0)61 331 75 19
E-Mail: pasqualina.perrigchiello@psy.unibe.ch Auskunft zu den erwähnten Forschungen:
Prof. Marlis Buchmann
Jacobs Center for Productive Youth Development
Universität Zürich
Culmannstrasse 1
CH-8006 Zürich
Tel.: +41 (0)44 634 40 02
E-Mail: buchmann@soziologie.unizh.ch Prof. Andrea Büchler
Lehrstuhl für Privat- und Wirtschaftsrecht
Universität Zürich
Rämistrasse 74
CH-8001 Zürich
Tel.: +41 (0)44 634 48 43
E-Mail: andrea.buechler@rwi.unizh.ch Prof. Regina Riphahn
Department of Economics
Universität Erlangen
Lange Gasse 20
D-90403 Nürnberg
Tel.: ++49 (0)911 5302 268
E-Mail: Regina.Riphahn@wiso.uni-erlangen.de Prof. Yves Flückiger
Département dEconomie Politique,
Faculté des sciences économiques et sociales
Université de Genève
Bd. du Pont dArve 40
CH-1211 Genève 4
Tel.: +41 (0)22 379 82 63
E-Mail: yves.flueckiger@ecopo.unige.ch www.nfp52.ch Der Text dieser Medienmitteilung sowie die anderen Unterlagen zur
Medienkonferenz stehen ab dem 26.6.2007, 11.00 Uhr auf der Website
des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung: http://www.snf.ch
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Permalink:
https://www.presseportal.ch/de/pm/100002863/100537221
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